Die defektorientierte Wahrnehmung von Menschen ist in der Weihnachtszeit besonders beliebt. "Licht ins Dunkel" feiert sich – neben ähnlichen Trittbrettaktionen – wieder einmal selbst, da soll Freude aufkommen, wenn die Spendenden sich Wohlfühleinheiten erkaufen. Motto: "Toll, wie viel Licht wir wieder ins Dunkel gebracht haben."

Es geht nicht darum, dass eine Unterstützung diverser Projekte nicht wichtig wäre. Aber einen Teil der Menschen zu einer großen Masse von Hilfsempfänger zu machen, die angeblich im "Dunkeln" sitzen, ist erniedrigend. Trotz der bereits seit Jahren anhaltenden Proteste bleibt die Aktion so schwerfällig wie die Gesellschaft selbst. In einem typischen "Licht ins Dunkel"-Spot hieß es ein Mal: "Mit einer Behinderung ist der Weg zum Glück länger." Solche Denkweisen teilen unsere Welt in Helfende und Hilfsbedürftige, in jene, die Licht haben und jene, die im Dunkeln sitzen.

Dabei sitzen wir alle selbst oft genug im Dunkeln. Im Dunkeln des Konsumismus, im Dunkeln des Wachstums, im Dunkeln der heilen Welt. Menschen, die die eine oder andere Beeinträchtigung oder Behinderung haben, dürfen niemals zu Objekten, auch nicht von Beglückungsaktionen, werden, sie sind Wert und Licht in dieser Welt wie wir alle.

Vizekanzler und Kanzler bei der "Licht ins Dunkel"-Gala.
Screenshot: ORF TVthek

Es geht um Augenhöhe

Gemeinsam an einem Tisch sitzen und nicht auf die Schulter klopfen, gemeinsam die Gesellschaft gestalten, damit alle bekommen, was sie zu ihrem Leben brauchen, Menschen in ihrem Vermögen und Dasein anerkennen und nicht auf den Defekt reduzieren.

Da haben sehr viele noch nicht verstanden, was Inklusion bedeutet. Dass Segregation grundsätzlich niemals mit Inklusion vereinbar ist, dass jede Form von Sonderanstalten und Sondereinrichtungen das genaue Gegenteil von Inklusion sind, egal wie viele Ausflüge und Besuche stattfinden. Die "UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" sinnerfassend lesen, würde nicht schaden.

Inklusion betrifft alle

Inklusion ist kein Prinzip der Erziehung, Betreuung oder Wohnformen für Menschen mit Behinderung. Inklusion ist das Prinzip, dass Menschen grundsätzlich verschieden sind, die Unterschiede aber niemals zum Anlass für Segregation – in welcher Form auch immer – werden dürfen.

An dem Tag, wo uns “Behindertenheime” so absurd vorkommen wie “Sonderanstalten für Rechtshänder”, “Brillenträgerheime” oder “Arbeitslosenheime” wäre ein wesentlicher Schritt geschafft. Traurig, dass sie uns in Zusammenhang mit Pflegebedürftigen, aber auch im Falle von flüchtenden Menschen so ungemein geläufig sind. „Heim“ ist allzu oft ein Synonym dafür, dass die Gesellschaft nicht weiß, wohin mit jenen Menschen, die ein „besonderes“ Kriterium erfüllen.

Aber zugegeben: medienwirksamer sind schön ausgestattete Heimzimmer, supergefederte Rollstühle und dankbare Spendenempfänger. Weihnachten eben. Wem das immer noch zu tragisch ist, der kann mit seiner Spendenwut ja auf Gnadenhöfe für Tiere ausweichen.

Das Problem ist aber nicht, dass x oder y einen besonderen Rollstuhl braucht, sondern, dass dieser Rollstuhl nicht von uns selbstverständlich bereitgestellt wird. Spendenaktionen sollten für marode Banken eingeführt werden und im Gegenzug staatliche Garantien für Menschen. Ich wünsche dem Diskurs jenseits von Partei- und Ideologiegrenzen einen Durchbruch in der Erkenntnis, wie revolutionär und bereichernd für alle die Umsetzung der Inklusion sein kann und dass Inklusion keine Verlierer produziert. Von der Gestaltung der Lebensmöglichkeiten für alle profitieren eben auch alle.

Die ganze Gesellschaft

Eine „ganze Gesellschaft“ spendet nicht für jene, die ausgegrenzt werden, eine „ganze Gesellschaft“ grenzt sie erst gar nicht aus.

Eine Wandlung unserer segregierenden Gesellschaft zu einer inklusiven gibt es nicht zum Nulltarif. Soviel muss auch klar sein. Nichts ist zynischer als Pseudoinklusion ohne entsprechender Bereitstellung von Mitteln.

Gerade in Zeiten der Pandemie sind nun ganz neue Betroffene auf verschiedenste Hilfen angewiesen, die ihnen von der Gesellschaft vorenthalten werden. Die Folgen für Long-Covid-Erkrankte sind derzeit noch nicht einmal richtig wahrgenommen, Menschen werden neuerlich allein gelassen. Wir brauchen viel mehr Energie und Änderungswillen als die größte Spende ins Dunkel. Aber es wäre wirklich Licht!

Viele Betroffene beziehungsweise Menschen aus Institutionen wollen oder können nicht offen kritisieren, weil sie auf die Mittel durch die Aktion „Licht ins Dunkel“ angewiesen sind. Sie sind zum „mitspielen“ gezwungen. So geht Segregation – nicht Inklusion!

Solange Spenden Segregation fördern, machen sie Weihnachten ganz finster.

PS. Wer Menschen hinter ihrem Rücken zu Objekten macht, disqualifiziert sich nachhaltig. Soviel zum "Fotogate" in der Galashow. (Bernhard Jenny, 30.11.2021)

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