Sly & the Family Stone: Sly im hellen Outfit und Zottelboots. Im November 1971 erschien mit "There's a Riot Going On" das Meisterwerk der US-Band.

Foto: Imago

Kurz blitzen die 1960er noch einmal auf. Das Lied Family Affair verströmt noch einmal jenen Optimismus, von dem sich die Hippies im Verein mit der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung eine Veränderung zum Guten erhofften. Doch 1971 schien diese Hoffnung genauso tot zu sein wie Martin Luther King, die Kennedy-Brüder John Fitzgerald und Robert oder Malcolm X. Der Reaktionär Richard Nixon saß als Präsident im Weißen Haus, der Vietnamkrieg tobte. 1971 war kein gutes Jahr.

Nicht für Amerika, erst recht nicht für das schwarze Amerika. Darum blieb der Nummer-eins-Hit Family Affair der Lichtpunkt eines ansonsten düsteren Albums, das Musikgeschichte geschrieben hat: Vor 50 Jahren erschien There’s a Riot Going On von Sly & the Family Stone. Es brachte die Radikalisierung Amerikas in den Mainstream – mit neuen Methoden.

Antwort auf Marvin Gaye

Für die Kunst sind schlechte Zeiten oft gute Zeiten. 1971 war so ein Jahr. Auf dem Label Motown hatte Marvin Gaye ein sozialkritisches Konzeptalbum veröffentlicht: What’s Going On gilt als eines der besten Alben der Geschichte. Im selben Jahr veröffentlichte Isaac Hayes mit Black Moses ein Manifest schwarzen Selbstbewusstseins. In einem zur Kreuzform ausklappbaren Cover inszenierte er sich in Erlöserpose. Weniger abgehoben, aber dennoch high produzierte Sly Stewart There’s a Riot Going On. Es ist das gewagteste Werk dieser drei Meilensteine – und beantwortete Marvin Gayes Frage.

SlyATFamilyStoneVEVO

Sly & the Family Stone war die Band des heute 78-jährigen Sylvester Stewart. 1966 gegründet, schuf er ein Crossover aus Soul und Psychedelic Rock und war ein Pionier der Funk-Musik, die er auf There’s a Riot Going On neu definierte: Das Album war vom Einsatz eines Drum-Computers geprägt. Zwar hatte Robin Gibb von den Bee Gees für Saved by the Bell schon damit gearbeitet, doch Stewart machte die Maschine richtig populär. Er legte damit einen Grundstein für den Hip-Hop und Hits wie Timmy Thomas’ Why Can’t We Live Together (1972) oder Rock Your Baby (1974) von George McCrae.

Nicht Hansi Hinterseer machte Zottelboots populär, es war Sly Stewart.
Foto: Imago

Sly & the Family Stone galten als eine der besten Livebands in den Staaten. Sie traten 1969 in Woodstock auf, waren Headliner beim New Yorker Harlem Cultural Festival und veröffentlichten im selben Jahr das Album Stand!, einen Klassiker mit dem Hit Everyday People. Die Band war auf einem Höhenflug; und high war auch ihr Chef. Er sang nicht nur Songs wie I Want to Take You Higher, der in San Francisco aufgewachsene und in Los Angeles lebende Musiker soll beständig mit einem Geigenköfferchen voller Dope unterwegs gewesen sein.

Sly and the Family Stone - Topic

Sly & the Family Stone waren eine multiethnische Band, was Anteil an ihrem Erfolg gehabt haben mag. Die Black-Panther-Bewegung versuchte, nach der Ermordung schwarzer Führer prominente Vertreter der afroamerikanischen Kultur für ihre Sache zu gewinnen: Stewart war wie viele ein empfänglicher Adressat für derlei Begehrlichkeiten. Er war von den USA enttäuscht, die Flucht ins Drogennirwana brachte mehr Probleme als Linderung.

Funky Drum-Computer

Unter diesen Rahmenbedingungen und von der Plattenfirma bedrängt, endlich Neues zu veröffentlichen, nahm er There’s a Riot Going On auf. Darauf verschmelzen persönliche Befindlichkeiten mit gesellschaftlichen in eine pessimistische Perspektive, die Stewart multiplizierte, indem er experimentierte. Neben dem Drum-Computer verwendete er Unmengen an Overdubs: Er mischte verschiedene Aufnahmen zusammen, übereinander, was einen gepressten, stellenweise dumpfen Sound ergab, der einer gesellschaftlichen Grundstimmung entsprach: Alles schien jeden Moment in die Luft fliegen zu können.

godlike51

Hinzu kam sein nuschelnder Gesang, der Titeln wie Just Like a Baby Düsternis verlieh. So etwas hatte man zuvor nicht gehört. Und im Song Spaced Cowboy jodelt er sogar! Jeder Song ist funky, schon wegen Larry Grahams Slap-Bass-Spiel, jeder trägt Essenzen des Gospels und der Soulmusik in sich, thematisiert, was Black Lives Matter noch heute antreibt.

Dem Hip-Hop bietet das Werk einen immensen Sample-Fundus, und trotz aller Merkwürdigkeiten wurde das Album ein Hit. So ist der Titelsong am Ende des Albums mit einer Länge von null Sekunden angegeben: Far out – in jeder Hinsicht.

There’s a Riot Going On mit der bedeutungsschweren US-Flagge auf dem Cover war der letzte große Wurf Stewarts. Zwar folgten weitere Arbeiten, doch er wurde erratischer, und bald wurde es still um ihn – jahrzehntelang. Heute gilt er als eine der enigmatischen Figuren der Popmusik, ein Freak von immensem Einfluss.

Zum 50. Jubiläum veröffentlicht Sony Music im Dezember sein Meisterwerk erneut. Die Weihnachtsunruhen sind gerettet. (Karl Fluch, 29.11.2021)