Julian H. wird der Prozess gemacht, seit März 2021 ist er in Österreich in U-Haft.

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Es ist der 16. Mai 2019, und in zwei Tagen wird die Regierung platzen. Den ersten Hinweis liefert ein ominöser Brief, der im E-Mail-Postfach der Hofburg landet. Julian H. schreibt darin, er habe in einem "heiklen Medienprojekt" die Korruptionsanfälligkeit der FPÖ belegen können. Nun sei er in Sorge, mit nichtrechtsstaatlichen Mitteln verfolgt zu werden, da die Freiheitlichen den Sicherheitsapparat kontrollieren. Die Mail bezwecke "die Dokumentierung einer drohenden Prognose", schreibt er.

Eine Antwort darauf erhält Julian H. nicht. Das Video, das am nächsten Tag öffentlich wird, erschüttert die gesamte Republik.

Es ist November 2021, und Julian H.s Augen wirken müde, während ihm zwei Polizisten seine Handschellen abnehmen. Kein Wunder, befindet er sich doch seit fast einem Jahr in Haft. Es ist der vierte Tag eines laufenden Gerichtsprozesses gegen ihn. Er wirft einen kurzen Blick zu den Zusehenden und dreht ihnen dann auf der Anklagebank den Rücken zu. Bis auf ein kurzes Gespräch mit seinem Anwalt wird er nicht mehr auffallen.

Dünne Suppe und Kokain

Die Vorwürfe gegen ihn wiegen schwer. Um Ibiza geht es bei diesem Prozess nicht – sondern um den angeblichen Handel mit Kokain. Einem früheren Geschäftspartner soll er mehr als ein Kilo verkauft haben. Sollte H. verurteilt werden, drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Doch die Suppe, die die Ermittlungsbehörden gerührt haben, erscheint bisher dünn. Die Hauptbelastungszeugen widersprechen sich immer wieder gegenseitig. Teils sagen sie anders aus, als sie es selbst zuvor getan haben.

Aber von Anfang an: Die Polizei hatte 2019 133 Gramm Kokain in einem Salzburger Keller entdeckt. Bei ihrer ersten Einvernahme sagte Katharina H., zu deren Wohnung das Kellerabteil gehört, die Drogen hätte ihr Julian H. verkauft. Die gesamte Anklage fußt auf ihren Aussagen sowie auf jenen ihres ehemaligen Geliebten Slaven K., der das Suchtmittel mit ihr gemeinsam erworben haben soll. Die beiden hatten nach eigenen Angaben die Drogen teils selbst konsumiert, teils weiterverkauft. K. wurde 2020 wegen Drogenhandels zu drei Jahren Haft verurteilt.

Ausgiebige Ermittlungen

Es war ein langer Weg für die Ermittlungsbehörden, um überhaupt in dieses Milieu zu gelangen.

Mai 2019: In den Ausschnitten des Ibiza-Videos fantasieren mit Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus zwei hochrangige Politiker über Korruption. Fast sofort stellte sich die Frage nach der vollständigen Aufnahme. Dafür wird eine eigene Sonderkommission im Bundeskriminalamt eingerichtet – die Soko Tape, der sich rund 20 Beamtinnen und Beamte anschließen.

Das Video leitet das Ende der türkis-blauen Regierung ein und ebnet Neuwahlen den Weg. Dieses politische Beben schafft einen enormen Ermittlungsdruck. Die Ermittler spüren der Aufnahme in voller Länge nach. Und sie suchen nach den Hintermännern. Ergebnisse sind so rasch wie möglich gefragt.

Unterschiedliche Beweggründe

Zumindest ein Ermittler der Soko Tape könnte bei dem Unterfangen auch politisch motiviert gewesen sein – Niko R. Wenige Stunden nach dem Erscheinen des Videos schreibt er an den frisch zurückgetretenen Vizekanzler Strache: "Lieber HC, ich hoffe auf einen Rücktritt vom Rücktritt." Die Politik brauche ihn.

Ein weiterer Beamter, der sich in der freiheitlichen Polizeigewerkschaft engagierte, soll den Zeugen Slaven K. gefragt haben, ob er Zugang zum Ibiza-Video hat, weil er es, behauptet K., an Strache weitergeben wolle.

Ibiza auf der Spur

Dem Rätsel um das Video widmet sich aber nicht nur die Polizei, sondern der Betreiber eines rechten Blogs aus Österreich, Gert Schmidt. Er investiert viel, um die Hintergründe aufzuklären. Auf seiner Webseite wird er laufend zahlreiche Hinweise zu den möglichen Hintermännern veröffentlichen. Schmidt wird dabei auch immer wieder falsche Fährten legen und medienrechtliche Prozesse führen.

Und er wird 55.000 Euro an zwei Männer bezahlen, die direkt mit Julian H. in Verbindung standen: Edis S. und Slaven K. – jenem Drogendealer, der nun H. belastet. Die beiden sind frühere Geschäftspartner von H. und belieferten einst auch die Polizei mit Informationen.

Schmidt will mit den Geldern den Lockvogel des Ibiza-Videos aufstöbern. Das nennt er in einer E-Mail an S., der das Geld erhalten und mit K. geteilt haben soll, als Grund für die Geschäftsbeziehung.

Diese Erkenntnis werden sie ihm bekanntlich nicht liefern. Die 40.000 und später 15.000 Euro bekommen sie trotzdem.

Anwaltskosten bezahlt

Auch zahlt Schmidt die Anwaltskosten bei Slaven K.s eigenem Drogenprozess. Zudem tauscht er hunderte Chatnachrichten mit Johann Gudenus aus. Darin sei es um das Ibiza-Video, die Hintermänner und Informationen über den Lockvogel gegangen, sagt er später vor Gericht als Zeuge aus. Er hatte eine erste Strafanzeige gegen H. im Oktober 2019 eingebracht – und an Niko R. weitergeleitet.

Schmidt hat eine geschäftliche Verbindung zum Glücksspielkonzern Novomatic, der im Ibiza-Video prominent vorkommt: Novomatic zahle alle, behauptete Strache vor der falschen Oligarchin, nahm das aber später zurück.

Überwachung

Ein Jahr nach der Veröffentlichung, im Mai 2020, ist die gesamte Aufnahme sichergestellt, verkündet die Soko Tape in den Medien. Mit Julian H.s Gesicht in dem Video ist seine Rolle eindeutig. Wenige Monate später wird auch er ausfindig gemacht worden sein.

Nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Überwachungsmethoden der Ermittlungsbehörden: Sie führen dutzende Hausdurchsuchungen durch, durchkämmen Fluggastdaten und überwachen Telefone. Sie observieren Personen, werten Funkzellen aus, um Standorte zu ermitteln, und so weiter.

Die Bemühungen fruchten: Julian H. wird im Dezember 2020 in Berlin inhaftiert und soll ausgeliefert werden. Zunächst geht es auch um illegale Bild- und Tonaufnahmen. Da sein Vorgehen nach spanischem Recht legal war, wird dieser Vorwurf fallengelassen.

Im März 2021 stimmt ein Gericht der Auslieferung zu, seitdem ist H. in U-Haft in Wien. Im September hat die Hauptverhandlung begonnen. Während der Verhandlungstermine kritisiert der Vorsitzende des Schöffensenats mehrfach die Ermittlungsbehörden: Immer wieder fehlen relevante Informationen im Akt, etwa aus früheren Einvernahmen.

Im Kern sagen die beiden Hauptbelastungszeugen Slaven K. und Katharina H. das Gleiche: Julian H. habe ihnen Kokain verkauft. Doch die Details sind verschwommen. Die Zeugin ändert wiederholt die Angaben zu der Menge an Kokain, die sie gemeinsam mit K. von H. erworben haben soll. Statt an drei Treffen erinnert sie sich plötzlich an vier, auch die Übergabeorte ändern sich. Während eines Termins erleidet sie eine Panikattacke, mehrfach bricht sie in Tränen aus. H.s Verteidigung hat ein psychiatrisches Gutachten zu ihrer Aussagefähigkeit beantragt.

Die bedrohte Mutter in Serbien

Der andere Hauptbelastungszeuge Slaven K. hatte zunächst H. nicht belastet, änderte aber später seine Aussage. Er begründet das damit, dass seine Mutter, die sich in Serbien befindet, von H.s Netzwerk bedroht worden sei. Die Verteidigung will sie daher nochmals befragen. Der Prozess wird vertagt.

H. selbst bezeichnete die Vorwürfe im STANDARD-Interview als "konstruiert". "Es gibt immer wieder neue Vorwürfe, aber keinerlei handfeste Beweise, nur Aussagen von zweifelhaften Zeugen", findet der einstige Privatdetektiv. Für 15 NGOs, die im September einen offenen Brief verfassten, darunter etwa Amnesty International und Epicenter Works, sollen die Behörden die Vorwürfe "in ausufernder Weise verfolgen", um H. mundtot zu machen – und ein Exempel für künftige Aufdeckerinnen und Aufdecker zu statuieren. (Muzayen Al-Youssef, 29.11.2021)