Klaus-Heiner Lehne.

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Der Verdacht, dass es im Europäischen Rechnungshof auf höchsten Ebenen Missbrauch bei Wohnbeihilfen, Spesenabrechnungen und exzessive Nutzung von Dienstautos für private Zwecke gibt, hat im Europäischen Parlament Alarm ausgelöst. "Wenn sich das bestätigt, haben wir in der EU einen handfesten Skandal", schrieb der deutsche Grünen-Abgeordnete Daniel Freund am Samstag auf Twitter.

Er postete einen Bericht des STANDARD und forderte: "Diese "Vorwürfe müssen UMGEHEND aufgeklärt werden." Monika Hohlmeier, EU-Abgeordnete (CSU) und wie Freund Mitglied im Haushaltskontrollausschuss, beschwichtigte. Er solle nicht Verdächtigungen verbreiten, "meinen ersten Ermittlungen nach ist da leider viel falsch", schrieb sie. Man solle "klären, was wahr ist und was nicht".

Die Abgeordneten dürften einiges zu tun kriegen. Die französische Tageszeitung Libération legt mit Enthüllungen über "systemische" unsaubere Praktiken nach – nicht nur im Rechnungshof. Dubiose Machenschaften, politische und persönliche Seilschaften in der Europäischen Volkspartei (EVP) zögen sich hinein auch in EU-Kommission und den Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Ein Netzwerk der EVP

Es werde ein ganzes "Netzwerk" aus höchsten Beamten, Lobbyisten und Politikern bedient, die bei diskreten Treffen ihre Deals machten. Das würde Pflichtwidrigkeiten bezüglich des "Verhaltenskodex" bedeuten, den die Kommission seit 1999 stets verschärft hat, schreibt die Zeitung, die den Stein am Freitag ins Rollen gebracht hat.

RH-Präsident Klaus-Heiner Lehne, der bis 2014 EU-Abgeordneter der EVP war, habe in Luxemburg lediglich eine Art "Briefkastenwohnung", in der auch drei seiner Kabinettsmitarbeiter registriert seien. Der Deutsche sei jedoch – so wie ein Drittel seiner Kollegen im RH-Kollegium – fast nie an seinem Dienstort, kassiere bei einem Gehalt von 24.000 Euro eine Wohnbeihilfe von 3.500 Euro für seine WG.

Ein RH-Sprecher bestätigte knapp, dass alle Genannten "über eine Adresse in Luxemburg verfügen", wie das vorgeschrieben sei.

Laut Libération sei Lehne in Düsseldorf weiter in der CDU tätig, obwohl er zur Unabhängigkeit verpflichtet sei. Und er sei, wie andere RH-Mitglieder auch, durch Essensabrechnungen für Dinner mit Mitarbeitern aufgefallen, einmal für stattliche 476 Euro.

Feine Jagdgesellschaften

Neue Vorwürfe lassen nun Affären von Lehnes Ex-Kollegen Karel Pinxten aufleben. Der frühere Verteidigungsminister war von 2006 bis 2018 Belgiens Vertreter im RH-Kollegium. Jüngst kürzte ihm der EuGH in einer nie da gewesenen Entscheidung die Pension um zwei Drittel, weil er laut den Betrugsbekämpfern von Olaf den Rechnungshof um 500.000 Euro betrogen hatte – durch exzessive Spesen, oder weil er monatelang ohne Grund abwesend war.

Es stellt sich nun die Frage, warum die Verhaltensregeln ausgerechnet bei Europas obersten Rechnungsprüfern so lasch gehandhabt werden. Über den Fall Pinxten tauchen nun weitere Vorwürfe von Verstößen auf, die auch Mitglieder des Europäischen Gerichtshofes und der Kommission betreffen. So habe es 2015 Einladungen zu einem Dutzend Jagden in Frankreich und Belgien und sogenannte Salons mit Prominenten der Wirtschaft gegeben, zu denen hohe EU-Beamte und Kommissare geladen waren. Ausgerichtet wurde das von Lobbyisten der Landbesitzerorganisation (ELO).

Solche Kontakte müssen in EU-Institutionen transparent gemacht werden, schreibt Libération, was häufig unterblieben sein soll. Das zu checken wird nun auch Aufgabe für EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn, der für die Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf zuständig ist. (Thomas Mayer, 28.11.2021)