Die ehemalige Junioren-Weltmeisterin Julia Scheib arbeitet derzeit an ihrem Comeback.

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Die beiden Skirennläuferinnen Franziska Gritsch und Julia Scheib haben gemeinsam Erfolge gefeiert. Beim Europäischen Olympischen Winter-Jugendfestival 2015 gewannen sie im Team die Goldmedaille. Bei der Juniorenweltmeisterschaft 2018 holten sie mit der Mannschaft Bronze. Mittlerweile fahren beide Österreicherinnen im Weltcup. Vergangene Woche teilte Gritsch über Instagram mit, dass sie auf eine Impfung verzichte. Sie müsse ihrem Charakter treu bleiben. Einen Tag später hielt Scheib über die sozialen Medien ein Plädoyer für das Vakzin.

STANDARD: Sie haben sich über die sozialen Medien für die Impfung starkgemacht. Warum?

Scheib: In den vergangenen Monaten wurde viel geredet, das hat einige Menschen verunsichert. Wenn man unsicher ist, sollte man sich eine zweite Meinung einholen. Man sollte sich aufklären lassen. Aber nicht von einem Nachbarn, sondern von einem Experten. Der Nachbar hat weniger Kenntnisse. Darauf wollte ich hinweisen, ich vertraue Fachleuten.

STANDARD: Gritsch schreibt, sie will ihrem Herzen folgen. Klingt doch eigentlich gut, oder?

Scheib: Es gibt viele Lebenslagen, in denen man auf sein Herz hören sollte. Eine weltweite Pandemie gehört für mich nicht dazu. Wir leben in schwierigen Zeiten. Die Krankenhäuser gehen über, das Pflegepersonal rackert sich seit zwei Jahren ohne Pause ab. Es ist der reine Wahnsinn. Man muss an die Allgemeinheit denken.

STANDARD: Müssen Sportlerinnen nicht egoistisch denken?

Scheib: Natürlich. Aber es gibt Situationen, in denen man zurückstecken muss. Und selbst aus einem egoistischen Standpunkt heraus ist die Impfung die vernünftigste Entscheidung. Ich bin gerne gesund. Und ich will auch andere, die sich gar nicht impfen lassen können, bestmöglich schützen. Man sollte in diesen Tagen an das große Ganze denken. Verantwortung darf für einen Spitzensportler kein Fremdwort sein.

STANDARD: Der ehemalige Kitz-Sieger Marco Büchel hat Ihnen applaudiert. Wie fielen die Reaktionen auf Ihren Beitrag allgemein aus?

Scheib: Auf Instagram waren die Reaktionen ausschließlich positiv, auf Facebook sind ein paar negative Stimmen gekommen. Ich habe den Beitrag bewusst neutral formuliert, ich wollte niemanden angreifen: nicht meine Kollegin, nicht die Ungeimpften. Trotzdem haben sich einige Menschen von meinen Worten angegriffen gefühlt. Ich verstehe nicht, weshalb.

STANDARD: Hat sich Ihr Weltbild in den vergangenen zwei Jahren verändert?

Scheib: Man sieht, was wirklich zählt. Meine Welt ist vergleichsweise klein. Ich wünsche mir, dass Zuseher zu den Skirennen kommen dürfen. Aber wichtiger ist, dass die Läden wieder aufsperren können. Dass die Krankenhäuser nicht überlastet sind. Dass man keine Operationen verschieben muss. Da werden persönliche Wünsche sekundär.

Julia Scheib hat Corona, Pfeiffersches Drüsenfieber und zwei Kreuzbandrisse hinter sich.
Foto: GEPA pictures/ Mario Buehner

Die 24-jährige Gritsch galt als eines der großen Talente im Österreichischen Skiverband (ÖSV). Die Tirolerin gewann bei den Juniorinnen sechs WM-Medaillen in Slalom, Super-G und Kombination. Im Weltcup fuhr sie bisher einmal aufs Podium. An den derzeit in Nordamerika stattfindenden Rennen kann sie ohne Impfung nicht teilnehmen. Auch ein Einsatz bei den Olympischen Spielen in Peking 2022 ist nahezu ausgeschlossen. ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober sagt, Gritsch habe sich "entschieden, wie ihr Weg weitergehen wird" – und verweist auf eine Impfquote im Verband von 97 Prozent.

STANDARD: Die Impfquote ist in Sportverbänden wie dem ÖSV höher als in der Gesamtbevölkerung. Trotzdem geraten Profis immer wieder in den Blickpunkt der Debatte. Warum?

Scheib: Aus dem Sport ist zu wenig gekommen. Ich hätte mir viel früher das ein oder andere Statement aus dem Spitzensport erwartet. Es hätte Kampagnen geben sollen, damit hätte man einiges bewegen können. Aber immerhin werben jetzt David Alaba und Marko Arnautovic für die Impfung. Da werden sicher einige ihren Vorbildern folgen.

STANDARD: Hätte die Politik schon im Sommer Sportler mobilisieren sollen?

Scheib: Man hat einiges verschlafen, es sind Fehler passiert. Aber nur weil man den richtigen Zeitpunkt verpasst hat, darf man die Bemühungen nicht einstellen. Im Gegenteil, man sollte jetzt umso aktiver werden. Nur leider passiert noch immer zu wenig. Ich frage mich, warum. Aber ich bin Skifahrerin und keine Politikerin.

STANDARD: Hat die Corona-Krise Auswirkungen auf Ihre sportliche Karriere?

Scheib: Ich bin in meinem Rhythmus. Training, Rennen, Training, Rennen. Wir waren abgeschottet, haben getestet und unsere Masken getragen. Das sind Kleinigkeiten. In meinem Beruf hat sich wenig geändert. Das ist ein Privileg, anderen Menschen geht es nicht so gut. Man darf die Lebensrealität nicht aus den Augen verlieren.

STANDARD: Trotz der Vorsichtsmaßnahmen haben Sie sich 2020 infiziert. Wie ist es Ihnen ergangen?

Scheib: Es war ein milder Verlauf. Trotzdem war es vor dem Saisonstart unangenehm. Ich war zwei Wochen kränklich und habe einige Rennen verpasst. Ich hatte Rückenschmerzen und Probleme mit der Luft. Als ich mir die Infektion eingefangen habe, gab es noch keine Impfung. Im Grunde hat es die ganze Trainingsgruppe erwischt. Es hat sich rasant verbreitet.

STANDARD: Man hört, Sie hätten auch Ihren Geschmackssinn verloren.

Scheib: Ich habe sicher fünf, sechs Wochen absolut nichts gerochen oder geschmeckt. Ich hätte in eine Knoblauchzehe oder in eine Zwiebel beißen können, ohne irgendetwas zu bemerken. Das fühlt sich nicht gut an. Meine Mutter hat in dieser Zeit trotzdem immer sehr gut für mich gekocht. Zumindest sah es so aus.

Julia Scheib im Super-G von Garmisch-Partenkirchen im Jänner 2021.
Foto: APA/EPA/Guelland

Julia Scheib wurde 2018 Junioren-Weltmeisterin im Riesentorlauf vor Shootingstar Katharina Liensberger. Bei ihrem Weltcup-Debüt im Riesentorlauf gelang Scheib auf Anhieb die Qualifikation für den zweiten Durchgang, in ihrem ersten Super-G fuhr sie direkt in die Punkteränge. Aber der Skisport ist eine Knochenmühle. Derzeit arbeitet die Sportlerin nach ihrem zweiten Kreuzbandriss an einem Comeback. Der Heilungsprozess nach ihrem Sturz im Februar verlief nicht optimal, im Sommer musste die Steirerin zweimal operiert werden.

STANDARD: Verletzungen und Erkrankungen zeichnen Ihren Weg. Pechvogel oder Part of the game?

Scheib: Im Skisport ist das Risiko sehr hoch. Ich bin in Form, fahre gut – und dann passiert wieder etwas. Das zehrt an der Substanz. Aber ich kann nicht von Februar bis Oktober herumsitzen und mir denken, dass ich so arm dran bin. Bringt mir nichts, bringt anderen nichts, wäre vergeudete Lebenszeit.

STANDARD: Haben Sie sich die Karriere in Ihren Anfängen einfacher vorgestellt?

Scheib: Ich habe mir gar nichts vorgestellt. Bei den Schülerrennen waren die Schülerrennen wichtig. Im Europacup der Europacup. Ich hatte keine Tagträume. Bevor ich mir über den Weltcup Gedanken machen konnte, bin ich dort schon mitgefahren. Ich kann gute Läufe fahren, ich will Rennen gewinnen.

STANDARD: Wann wird es so weit sein?

Scheib: Wenn alles passt, ist alles möglich. Zuvor muss ich aber schmerzfrei meinen Sport betreiben können. Dafür arbeite ich jeden Tag hart. Aber im Grunde wünsche ich mir nur, was sich alle wünschen: ein Stück Normalität. Meine Großmutter ist 90 Jahre alt. Ich möchte endlich wieder mit ihr ohne Sorge Weihnachten feiern können. (Philip Bauer, 29.11.2021)