Erst Ende März bekam der Kosovo die ersten Impfdosen, eine davon ging in den Arm von Premier Albin Kurti. Ein halbes Jahr danach folgte die vierte Welle, nun sind die Zahlen fast auf null.

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Fragt man im Kosovo, wie die Corona-Lage so ist, dann kommt manchmal achselzuckend die Antwort, man habe kein Problem mehr, "wir hatten es eh schon alle". Tatsächlich sind die Infektionszahlen dort verschwindend gering – vor allem im Vergleich zu Österreich. Wurde im Kosovo etwa die Durchseuchung erreicht? Und wenn ja: Welchen Preis musste das Land dafür bezahlen?

Zuerst ein Blick auf den Ist-Stand. Aktuell liegt die Zahl der täglichen Neuinfektionen im Sieben-Tage-Schnitt im Kosovo bei sechs Fällen pro eine Million Einwohnerinnen und Einwohner. Das ist auch im Vergleich zu den Nachbarländern Serbien (360), Nordmazedonien (191), Albanien (177) und Montenegro (481) ein geringer Wert. Im Vergleich zu Österreich gilt das noch viel mehr: Dort sind es momentan im Durchschnitt 1370 Fälle.

Österreich, der Kosovo und seine Nachbarländer im Vergleich.
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Herdenimmunität auf Zeit

Im Kosovo, auf den ersten Blick momentan also Vorzeigeland, wird allerdings deutlich weniger getestet als in Österreich: Pro tausend Personen werden im Kosovo täglich 0,83 Corona-Tests durchgeführt, in Österreich sind es fast 53. In dem Zusammenhang relevant ist aber auch die Test-Positivrate. Je niedriger diese ist, desto eher findet man mit den durchgeführten Tests die positiven Fälle auch.

Im Kosovo liegt diese Test-Positivrate bei 0,7 Prozent und damit sogar niedriger als in Österreich, bekanntlich vorne dabei, wenn es um Tests geht (2,8 Prozent). Damit ist diese Test-Positivrate ein Hinweis darauf, dass im Kosovo zumindest nicht so wenig getestet wird, dass man eine etwaige Welle schlicht übersehen würde.

Betrachtet man diese Kurven, dann fällt aber auch auf: Der Kosovo hat seine vierte Welle schon hinter sich. Ende August, als in Österreich die Inzidenz mit einem Wert von etwa 140 noch recht gering war, wurden dort mit einem Sieben-Tage-Durchschnitt von 1000 Fällen pro eine Million Einwohner so viele Infektionen gezählt wie nie zuvor.

Die Lage auf den dortigen Intensivstationen spitzte sich zu, eine nächtliche Ausgangssperre wurde verhängt, auch Clubs schlossen. Doch schon Mitte September überholte Österreich den Kosovo, danach ging es hierzulande mit den Infektionszahlen steil bergauf.

Herdenimmunität auf Zeit

Diese Situation im Kosovo deutet für die beiden Komplexitätsforscher Stefan Thurner und Peter Klimek auf eine Herdenimmunität hin. Das ist in gewisser Weise eine logische Folge: "Wenn ich eine große Welle habe, dann habe ich über kurze Zeit auch viele Leute, die genesen sind, und damit einen sprunghaften Anstieg an Leuten, die einen effektiven Immunschutz haben", sagt Klimek.

Nur: Das bedeutet nicht, dass die Krise im Kosovo – oder in anderen Ländern, in denen momentan viele Personen genesen sind – nun vorbei ist. "Wenn ich mit vollem Karacho in die Durchseuchung hineinfahre, dann erkaufe ich mir nur ein paar Wochen bis Monate Ruhe", sagt Klimek. Thurner dazu: "Es ist ja nicht so, dass, wenn man die Herdenimmunität einmal hat, das Thema erledigt ist. Ich muss bei einer hohen Immunität bleiben." Denn: Die Genesenen werden sich früher oder später erneut anstecken – und die Gefahr, dass sie relativ zeitgleich ihren Immunschutz verlieren, ist hoch.

Österreich hat verglichen zum Kosovo und seinen Nachbarsstaaten eine hohe Durchimpfungsrate.
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Da kommt die Impfung ins Spiel, auch die leistet freilich einen Beitrag zur Herdenimmunität – in Österreich einen größeren als im Kosovo. Denn während hierzulande etwa 65 Prozent vollimmunisiert sind, sind das im Kosovo nur 42. Um den Herdenschutz nicht zu verlieren, muss man also, so Thurner, die Immunität rechtzeitig erneuern – entweder mit einem weiteren Impfstich oder mit weiteren Infektionen.

Kollateralschäden durch Durchseuchung

Die Übersterblichkeit im Kosovo war und ist extrem hoch.
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Doch Letztere haben einen hohen Preis: zahlreiche Todesfälle. Das zeigt das Beispiel Kosovo besonders deutlich. Die Übersterblichkeit lag dort Ende September – von diesem Zeitpunkt sind die aktuellsten verfügbaren Daten – bei über 160 Prozent. Das bedeutet: Es starben zu dem Zeitpunkt mehr als zweieinhalb Mal so viele Menschen im Kosovo, wie in einem normalen Jahr zu erwarten wäre. Sie starben auch, weil sich so viele Menschen gleichzeitig infizierten, dass das Gesundheitssystem damit überlastet war.

Das ist ein extrem hoher Wert: In Österreich wurde die höchste Übersterblichkeit seit Beginn der Pandemie im Oktober 2020 gemessen, da lag sie bei 57 Prozent.

Doch auch das hatte massive Auswirkungen: Insgesamt registrierte die Statistik Austria für das Jahr 2020 einen Rückgang der Lebenserwartung um ein halbes Jahr – das war der stärkste Rückgang seit Beginn derartiger Aufzeichnungen im Jahr 1951. (Gabriele Scherndl, 30.11.2021)