Wien – Die aktuell sehr hohe Zahl der täglich verabreichten Corona-Impfungen in Österreich ist zum Großteil auf sogenannte Booster-Impfungen zurückzuführen. "Booster" wird diese dritte Impfdosis genannt, weil sie die Schutzwirkung gegen das Virus Sars-CoV-2 erhöht, also die impfinduzierte Immunantwort des Körpers verstärkt. Möglich ist die dritte Impfung laut den neuesten Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums (NIG) für Erwachsene nun schon vier Monate nach der zweiten, empfohlen wird der Booster jedenfalls sechs Monate danach.

Je mehr Zeit in dieser Pandemie vergeht, desto mehr lernt auch die Wissenschaft dazu. Hatten Expertinnen und Experten im Frühjahr noch gehofft, dass mit der zweiten Impfung ein stabiler Immunschutz einhergeht, so zeigte sich im Sommer – zuerst in Israel –, dass diese Hoffnung verfrüht war. Mittlerweile liegen zahlreiche Studien aus verschiedenen Ländern zur Dauer des Immunschutzes nach Impfungen vor, einige davon sind allerdings noch nicht peer-reviewt, also noch nicht unabhängig begutachtet.

Die Studien zeigen ein relativ einheitliches Bild: einen im Zeitverlauf abnehmenden Impfschutz und bei allen Impfstoffen ein deutlich steigendes Infektionsrisiko etwa fünf Monate nach der zweiten Corona-Impfung.

Blick nach Israel

In Hinblick auf die Wirksamkeit der neuen Impfstoffe wird gern nach Israel geschaut, denn dort wurde die erste breitangelegte Impfkampagne mit dem Impfstoff Comirnaty von Biontech und Pfizer durchgeführt. Eine der aktuellsten Untersuchungen zur Wirksamkeit des Vakzins ist die vor wenigen Tagen im "British Medical Journal" publizierte Studie eines Forschungsteams rund um Ariel Israel vom israelischen Krankenversicherer Leumit Health Services.

Mit den Monaten nimmt der Impfschutz vor einer Corona-Infektion deutlich ab.
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Für die Untersuchung sind die Daten von über 80.000 mit Comirnaty geimpften Personen ausgewertet worden – und zwar hinsichtlich des Risikos einer Covid-Infektion, nicht aber in Hinblick auf die Symptomatik, den Schweregrad oder das Risiko eines Krankenhausaufenthalts. Im Studienzeitraum (15. Mai bis 17. September) erfolgten die meisten Neuinfektionen durch die inzwischen weltweit vorherrschende Delta-Variante von Sars-CoV-2.

Impfschutz nimmt mit der Zeit ab

Das Ergebnis: In den ersten drei Monaten nach der zweiten Impfung lag der Anteil der Infizierten unter den Geimpften bei 1,3 Prozent. Im vierten Monat nach der zweiten Injektion erhöhte sich die Ansteckungsrate auf 2,4 Prozent, im fünften Monat auf 4,6 Prozent, im sechsten Monat auf 10,3 Prozent, und sie stieg danach auf 15,5 Prozent an. Daraus errechnete das Forschungsteam das Infektionsrisiko im Vergleich zum Impfschutz, der in den ersten 90 Tagen nach der zweiten Impfung besteht: Im vierten Monat nach der zweiten Impfdosis steigt das Risiko um das 2,37-Fache an, fünf Monate danach auf das 2,82-Fache.

Hoher Schutz der Impfung vor Hospitalisierung

Dass der Impfschutz mit der Zeit nachlässt, hat auch eine US-Forschungsgruppe rund um die Epidemiologin Sara Tartof gezeigt. Die im renommierten Journal "Lancet" erschienene Studie hat die Effektivität des mRNA-Impfstoffs von Biontech/Pfizer bei über 3,4 Millionen Kunden und Kundinnen des Gesundheitsdienstleisters Kaiser Permanente in Südkalifornien untersucht. Davon haben sich während der siebenmonatigen Studiendauer 5,4 Prozent mit dem Virus infiziert. Bis zum Ende des Studienzeitraums am 8. August des heurigen Jahres hatten 33,4 Prozent der Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen eine oder mehrere Impfdosen erhalten.

Der Untersuchung zufolge sinkt der Schutz vor einer Sars-CoV-2-Infektion von 88 Prozent im ersten Monat nach der zweiten Impfung auf 47 Prozent nach fünf Monaten. Der Schutz davor, wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden zu müssen, bleibt auch bei der Delta-Variante des Virus bis zu sechs Monate nach der zweiten Injektion sehr hoch: 93 Prozent Schutz vor einer Hospitalisierung quer durch alle Altersgruppen.

Zu ähnlichen Ergebnissen ad Impfschutz und der im Zeitverlauf nachlassenden Wirkung kommt eine neue Metastudie, die mehrere andere, bereits publizierte Untersuchungen ausgewertet hat, selbst aber noch nicht vollständig fachbegutachtet worden ist. Die Analyse liefert nicht nur Daten zu Comirnaty, sondern auch zu den anderen Corona-Impfstoffen wie Spikevax von Moderna und Janssen.

Laut der Untersuchung eines Forschungsteams um Daniel Feikin von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) besteht in den ersten sechs Monaten nach der zweiten Impfdosis noch ein hoher Schutz vor schwerer Erkrankung. Der Schutz vor einer Infektion und einer symptomatischen Covid-19-Erkrankung nimmt in diesem Zeitraum aber um rund 20 bis 30 Prozentpunkte ab.

All diese Daten deuten darauf hin, dass man die ersten zwei Impfdosen als eine Art Grundimmunisierung betrachten kann und die dritte Impfung als Auffrischung. Noch keine konkreten Anhaltspunkte gibt es, wie lange der Booster anhält und welchen Einfluss die neue Omikron-Variante (B.1.1.529) des Coronavirus auf den Schutz durch Impfungen und Infektionen haben wird. Fachleute gehen derzeit davon aus, dass die Impfstoffe und insbesondere die Booster-Impfung weiterhin einen einigermaßen guten Schutz bieten. Erste Daten über die Wirksamkeit der bestehenden Impfstoffe dürften in zehn bis 14 Tagen vorliegen. (Robin Kohrs, Daniela Yeoh, 30.11.2021)