Dialoge mit ihm sind schwierig geworden: Lenz (Nico Raschner) mit seinem Gegenüber Kaufmann (repräsentiert durch den Mikrofonständer).

Foto: Anja Köhler

Bregenz – Es platzt ihm der Schädel, und zu den Mitmenschen und weltlichen Anhaltspunkten da draußen hat er keinerlei Draht mehr: Lenz aus Georg Büchners gleichnamiger Erzählung rast im Zustand des Verrücktwerdens – man kann auch sagen, einer ausgewachsenen bipolaren Störung – gierig auf das Ende zu. Es war ihm, so steht es in dem 1839 posthum erschienenen Text geschrieben, "unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte". Mit so einer Empfindung ist schon viel gesagt, sie könnte auch aus Thomas Melles Roman Die Welt im Rücken (2016) stammen.

Auf seiner letzten Wanderung über das winterliche Gebirge zum Pfarrhaus hegt Lenz nur einen Wunsch: "die Erde hinter den Ofen (zu) setzen". Die entsprechende Bergkulisse zieht sich am Landestheater Vorarlberg in Kreidestrichen über eine rückwärtige, aus einzelnen, herabhängenden Blechteilen bestehende Wand, die bei der geringsten Berührung Donnergrollen auslöst. Es kann auch wummern, dass einem die Ohren wackeln.

Metallene Blitze

Regisseur Jürgen Sarkiss hat für die am Sonntagabend mit drei Kameras live aus der Nebenspielstätte gestreamte Premiere vor allem auf solche auditiven Sinneswahrnehmungen gesetzt. Wenn der Wahnsinn auf Rossen hinter Lenz herjagt, dann setzt sich dieser (Nico Raschner) ans Schlagzeug und haut rein wie Keith Moon von The Who. Auch die Rocker-Metallringe, die er sich an die Finger steckt, erzeugen wunderschöne Kratzer und bringen die Wände seines inneren Blechgefängnisses grässlich zum Schwingen (Bühne: Tassilo Tesche).

Als er vom Tod einer jungen Frau erfährt, deren Dahinsiechens er zuvor durch Zufall gewahr wurde (hier blendet er den nur imaginierten Mord an seiner unerreichten Angebeteten darüber), drischt er verzweifelt mit Kabeln zu, dass es irre echot und blecherne Blitze reißt.

Schattenbilder

Wenn das Solo von Raschner insgesamt auch allzu gepresst daherkommt – daran haben auch die sich stellenweise überschlagenden Doppelmikrofone ihren Anteil –, so findet hier das hinter der Hirnrinde dieses Dichters verborgene Spektakel doch auf eindrückliche Weise seinen Niederschlag (es basiert auf Briefen des titelgebenden Stürmers und Drängers Jakob Michael Reinhold Lenz). Einmal zieht er sich zwecks optischer Deformierung Gummiringerln übers Gesicht, und in hoffnungsfrohen Momenten flippt er wie ein Kastagnettentänzer (Blechringe) aus.

Die Gespensterhaftigkeit seiner Weltsicht bekommt schließlich durch rücklings auf die Bleche projizierte Schattenbilder seiner selbst Kontur. Die Schwarzversion von Lenz selbst ist ihm stets auf den Fersen. Das Sinnlichkeitskonzept komplett macht schließlich ein Haufen aus Polstern, deren rettende Weichheit aber auch ihre Fallen hat. Endet der Lockdown plangemäß, so gibt es Vorstellungen ab 15. Dezember. (Margarete Affenzeller, 29.11.2021)