Der großgewachsene, bullige Angeklagte Ali G. ist zum angeklagten Mord und den Home-Invasions zwar geständig, sieht sich aber vor allem als Opfer.

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Wien – "Ich bin kein Gewalttäter. Ich möchte auch gar keine Waffen verwenden", erklärt Ali G. dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Andreas Hautz. Der Satz klingt aus G.s Mund nur bedingt glaubwürdig – denn der Unbescholtene gibt gleichzeitig zu, am 14. Oktober 2020 in Wien-Landstraße bei einem Raubüberfall einen Juwelier mit 19 Messerstichen und -schnitten getötet zu haben. "Ich habe in dem Moment geglaubt, dass er mich umbringen wird!", lässt der heute 21-jährige Serbe als Entschuldigung übersetzen und beginnt zu schluchzen. Das Opfer war 74 Jahre alt, Angeklagter G. ist ein großgewachsener, bulliger junger Mann.

Insgesamt 56 Straftaten soll der Unbescholtene zwischen 2019 und 2020 begangen haben. Der Staatsanwalt hat nur ihm mur im Fall eines Raubmords und von vier sogenannten Home-Invasions angeklagt, da die übrigen Delikte, vorwiegend Einbruchsdiebstähle, auf die mögliche Höchststrafe von 20 Jahren keinen Einfluss mehr haben. Der Ankläger gibt zu, dass es sich um einen ungewöhnlichen Fall handelt. Denn G. komme eigentlich aus sehr geordneten Verhältnissen, hat das Gymnasium und eine weiterführende Schule besucht, in der Heimat führt seine Familie ein Unternehmen, er selbst ist seit November 2020 nach islamischem Recht verheiratet.

Keine Drogen- oder Spielsucht

"Es gibt keine Drogen- oder Spielsucht, er ist auch davor nie durch Kleinkriminalität aufgefallen, sondern er ist gleich in massive Verbrechen eingestiegen", beschreibt es der Staatsanwalt. Der Onkel väterlicherseits sei schuld, sagen G. und sein Verteidiger Martin Mahrer. Warum, darüber gehen die Aussagen auseinander: Mahrer drückt sich vorsichtig aus und sagt, der Onkel habe seinen Mandanten "angestiftet und motiviert". Der Angeklagte selbst behauptet in seiner mehrstündigen Einvernahme dagegen, der Verwandte habe ihn genötigt und mit Waffen bedroht, damit er mitmache.

Generell sieht sich G. eher als Opfer. Nicht nur des im Vorjahr verstorbenen Onkels, von dem die Aufträge gekommen sein sollen, sondern auch seiner Mittäter. Bei zwei Home-Invasions beispielsweise hätten Späher und Tippgeber behauptet, die Wohnungen seien leer. Waren sie nicht. Wie im Falle eines Ehepaares, das um drei Uhr Früh aufwachte, als G. und ein Komplize in ihrem Schlafzimmer standen. Bei der Schilderung dieser Tat lässt der Angeklagte auch einen bemerkenswerten Mangel an Empathie durchscheinen. "Wir haben die Frau nicht bedroht", verteidigt er sich und versteht offenbar nicht, dass das in dieser Situation gar nicht nötig gewesen ist.

"Ich war sozusagen noch ein Kind"

Dass er an Tatorten seine DNA unter anderem an einem weggeworfenen Mund-Nasen-Schutz und an Einbruchswerkzeug zurückließ, beunruhigte die ermittelnden Polizisten besonders, ließ es doch auf einen Täter schließen, der nichts mehr zu verlieren hatte. G. erklärt es anders: "Ich habe nur gemacht, was man mir gesagt hat." Und: "Ich war sozusagen noch ein Kind. Ich hatte keine Ahnung von DNA oder Spurensicherung." Auf Nachfrage der Beisitzerin Anna Marchart präzisiert er: "Ich denke, man ist bis zum 20. Lebensjahr ein Kind."

Nur einige Stunden vor dem Juweliermord scheiterte ein anderer Raubüberfall. Laut Anklage, die sich auf die Aussage des Opfers stützt, wurde ein Künstler in seinem Bett geweckt, von G. am Hals gepackt und dann mehrmals so heftig ins Gesicht geschlagen, dass er schwere Dauerfolgen erlitt. Erst seine lauten Hilferufe hätten die Täter in die Flucht getrieben.

Stimmt nicht, behauptet der Angeklagte: Als sie die Wohnungstür aufgebrochen hatten, sei das Opfer nackt vor ihnen gestanden und hätte den Komplizen im Gesicht gepackt. "Er war riesig von der Statur", verteidigt sich der Angeklagte. Erst nachdem er mehrmals mit der Faust und sein Mittäter mit dem Brecheisen zugeschlagen hätten, hätten sie flüchten können.

Angeklagter sieht sich gerne als Opfer

Beim Hauptanklagepunkt sieht G. sich ebenso quasi als Opfer. Der Onkel hätte ihm und seinem Komplizen vor dem Coup noch Kokain gegeben und gesagt: "Es wird dann besser ablaufen." Er sei zunächst in das kleine Geschäft gegangen und habe einen Ring gekauft. Zehn Minuten später kam er wieder, diesmal gaukelte er vor, an Ketten interessiert zu sein.

So, wie der Angeklagte es darstellt, hätte seine eigentliche Aufgabe darin bestanden, dem Mittäter die Tür zu öffnen. "Ich habe ihn vor dem Geschäft gesehen. In diesem Moment sind meine Gefühle durcheinandergeraten, ich wusste nicht, wie ich die Tür aufmachen soll", behauptet er. In Eigenregie habe er den Plan geändert: "Ich wollte den Juwelier schlagen, habe auf Serbisch 'Raub' gesagt, dann kam mir vor, als ob er zum Hosenbund gegriffen hat." Aus Angst vor einer Waffe beziehungsweise, wie eingangs zitiert, dem eigenen Ableben habe er dann mit dem mitgebrachten Küchenmesser zugestochen.

Über ein Kilogramm Goldschmuck erbeutet

"Aber ich habe ihn nicht töten wollen!", beteuert G. und schildert, dass er sich mit dem Messer selbst in die Finger geschnitten und stark geblutet habe. "Ich war völlig in Blut getränkt", erzählt der Angeklagte, was ihn allerdings nicht daran hinderte, noch Vitrine und Safe leerzuräumen und rund 1,1 Kilogramm Goldschmuck zu erbeuten. Die Rettung habe er aus Angst nicht gerufen, da er nur mehr weg wollte, versucht der Angeklagte das Bild eines panischen Täters zu zeichnen. "Aber die Ruhe, das Geschäft auszuräumen, hatten Sie schon?", kann sich Beisitzerin Marchart nicht verkneifen.

Während der 74-Jährige sterbend auf dem Boden lag, zog G. sich die oberste, blutige Lage seiner Kleidung aus, verstaute sie mit der Beute in einer Tasche und reichte diese draußen dem Komplizen. Danach seien sie in einem Taxi geflüchtet. Eine Laienrichterin glaubt das nicht: "Sie haben vorher gesagt, Sie haben so stark an der Hand geblutet. Kein Taxilenker in Wien ignoriert das doch?" – "Doch, er hat uns einfach gefahren." In Tschechien habe man sich dann mit dem Onkel getroffen, dieser habe ihm 4.000 oder 5.000 Euro gegeben, sagt der Angeklagte. Vom Tod des Juweliers habe er erst Monate später erfahren.

Am Mittwoch soll ein Urteil fallen, nachdem Zeugen und Sachverständige gehört worden sind. (Michael Möseneder, 29.11.2021)