Dieser Zweispitz versetzte ganz Europa während 25 Jahren in Angst und Schrecken.

Foto: epa/Bonhams

Man muss sich Napoleon Bonapartes atemberaubende Karriere als medientechnisches Mirakel vorstellen. Ein etwa mittelgroßer Korse, der ein bemerkenswert schlechtes Französisch sprach, unter Hämorrhoiden litt und ansonsten die Manieren eines cholerischen Tölpels hatte, stellte das alte Europa anno 1800 mir nichts, dir nichts vom mit Puder bestaubten Kopf direkt auf die Füße.

Der Welt berühmtester Egomane, der alle Herrscherhäuser in Angst und Schrecken versetzte, der mit der Schnelligkeit seines Vorgehens und der schieren Genialität seiner Aufmärsche die zeitgenössischen Strategen der Reihe nach düpierte? War ein angeblich aufreizend mittelmäßiger Feldherr. Doch darf sich Frankreichs erster (und bis heute vorletzter) Kaiser schmeicheln, vom Wiener Buchautor Stefan Schlögl nachträglich zu einer Art Fake-News-Schlingel erklärt zu werden.

Es ist in Wahrheit ein Wunder: Bonaparte setzte sich 1795 an die Spitze eines Heers von "Vogelscheuchen". Er feierte auf Norditaliens Kriegsschauplätzen äußerst zweifelhafte Siege. Der Propagandist in eigener Sache leistete sich zudem lauter gravierende "Fehleinschätzungen". Dafür warf er die Druckerpressen an, dichtete Niederlagen in Siege um, streute dem Publikum zu Hause medialen Sand in die Augen.

Berittener Windbeutel

Der Band Napoleon schläft mit Mona Lisa enthält rechtzeitig zur 200. Wiederkehr von Bonapartes Todesjahr eine – von Wolfgang Hartl hochkomisch illustrierte – Bankrotterklärung. Was er auch tat, der Mann mit dem Zweispitz, es war nach Meinung Schlögls wahlweise stümperhaft, plump oder falsch. Der Kaiser (1769–1821) hinterließ nicht etwa riesige imperiale Stapfen: Er hätte sich vielmehr scheinbar damit begnügt, ein Imagekönig zu sein. Ein Influencer und berittener Windbeutel, der sich unentwegt Schnupftabak in die Nasenlöcher stopfte und bevorzugt an den falschen Stellen im Gespräch in haltloses Gelächter ausbrach. Ein Rätsel, wie ein so mickriger Vertreter des mittelmeerischen Provinzialismus während 25 Jahren einen ganzen Kontinent verlässlich in Atem halten konnte. Mit jedem Zoll kein "Weltgeist zu Pferde"!

Der kurzbeinige Napoleon muss, glaubt man Schlögl, die Karriereleiter hingegen als korsischer Tor, als propagandageiler Traumwandler erklommen haben. Allein schon sein Geschmack in Sachen Frauen! Joséphine de Beauharnais war im Jahr von Napoleons Brautwerbung 1796, so vertraut es uns der Autor an, "vor ihrer Zeit" gealtert und besaß obendrein "schwarze Zähne". Da kann es einen nicht verwundern, dass Illustrator Hartl dem Bild des Kaisers auf den zahlreichen Lithografien, die den Band schmücken, durchwegs eine rot-blaue Brille aufgesetzt hat. Nur so könnte der Emporkömmling über den Zahnstein seiner ersten Frau hinweggesehen haben. Man wird diesen großformatigen Wälzer geeichten Bonapartisten nicht unbedingt als erbauliche Lektüre unterbreiten wollen.

Völlig ungeklärt bleibt die Frage, warum dieser Mann das Erbe der Französischen Revolution antreten konnte, um es in den Imperialismus zu überführen. Schade nur, dass eine notwendige postheroische Betrachtung des Phänomens Bonaparte nicht mehr zutage fördert als diesen generellen, nicht sonderlich gut untermauerten Hinweis auf den Trump im Imperator.

Im Übrigen bezeichnet ein "Gefolge" keineswegs den "Tross" eines aufmarschierenden Heeres. Und ein Kaiser, der sich selbst die Krone auf den Scheitel setzt, ist gerade nicht "gekürt". Sondern ein Usurpator. (Ronald Pohl, 30.11.2021)