Nubya Garcia kennt die Tradition, ist aber auch in der Clubkultur verankert, was ihre remixte CD "Source" zeigt.

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Bevor wir zu Nubya Garcia kommen, ist ein wenig auszuholen – es hat der Jazz ja so seine Sorgen. Der pessimistische Befund bezüglich seiner Fähigkeit zur Selbsterneuerung würde nämlich lauten: Seit Saxofonist John Zorn mit seiner Collagentechnik irrwitzige Stilwechsel absolvierte, war Innovation nur noch in Form einer restaurativen Provokation zu erleben. Sie wäre von der swingenden Originalklangbewegung eines Wynton Marsalis ausgegangen. Der Trompeter habe das Buchstabieren alter Meister zum Gesetz erhoben.

Der positive Jazzblick allerdings sieht nicht nur Marsalis. Es gab den späten Miles Davis, der bis zum letzten Atemzug versuchte, neue Strömungen der Straße und der Hitparade jazzig zu verarbeiten. Doo-Bop, die posthum veröffentlichte Begegnung mit dem Hip-Hop, fehlte zwar die Kraft früherer Fusion-Ideen wie In a Silent Way, bei denen sich Davis von James Brown und Sly Stone funkig anregen ließ.

Elektronik und Clubbeats

Sein methodischer Ansatz, durch Stilkreuzung Neues anzustreben, war und blieb jedoch für das Genre essenziell. Schöne Ergebnisse erspielten etwa Bugge Wesseltoft oder Nils Petter Molvær, die sich auf Elektronik und Clubbeats erfolgreich einließen.

Nun also Garcia: Hoffnungsvoll blickt man seit einer Weile ja jazzoptimistisch auf die britische Insel der Stiloffenheit. Zentrale Gestalten wie Saxofonist Shabaka Hutchings oder eben Garcia sind die angesagten Rampenfiguren einer munteren, auch mit der Clubkultur verbundenen Bewegung.

Die Alten studiert

Einerseits hat sie Traditionsverbundenheit: Garcia hörte die rasante Bebop-Kunst von Charlie Parker und die punktgenauen Hardbop-Improvisationen von Sonny Rollins. Sie nennt auch Pianist Herbie Hancock und Miles Davis als wichtige Impressionen. Davis’ Einspielung Kind of Blue betont sie extra, was auf eine Vorliebe für modale Stilistik schließen lässt. Gleichzeitig ist sie als DJ unterwegs. Und auf Source, ihrer ersten CD, wandert Garcia trittsicher durch einen Stilkosmos aus Afro- und Souljazz, in den auch Karibikelemente einfließen. Tradition wurde da also durchaus zeitgemäß ausgeleuchtet.

Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, es bliebe bei Garcia, deren Mutter aus Guyana stammt und deren Vater aus Trinidad, der Individualismus ihres Spiels als zureichender Grund für ihre Relevanz. Parker hin, Rollins her: Garcia lässt sich nicht zu konventioneller Raserei drängen. Ihre Improvisationen verlassen sich auf den Charme eines leuchtenden sonoren Tons, den Garcia selbstbewusst und also ausgiebig atmen lässt.

Expressive Subjektivität

Es ließe sich dies als etwas eitler vokaler Zugang zum Instrumentalen deuten. Da treten aber plötzlich diese großen Tonsprünge auf, die Garcias lyrischem Stil angenehm unberechenbare Facetten verleihen und expressive Subjektivität demonstrieren. Die Einspielung Source war und ist somit ein Beleg für eine interessante neue Stimme. Auf die Fortsetzung begann die internationale Szene nun tatsächlich zu warten.

Dass mit Source # We Move nur eine Remixversion des Erstlingswerks herauskam, statt einer echten Neuheit, spiegelt womöglich den Stress ob der längst hohen Erwartungen gegenüber Garcia wider. Auch mag der kommerzielle Wunsch mitgespielt haben, mit tanzbaren Elementen Jazz für Menschen zu kredenzen, die Jazz nicht mögen. Dennoch hätten sich durch Übermalung interessante Neudeutungen ergeben können.

Motive kreisen

Leider. Die Neuheit ist eher nur das tausendste, glatt polierte Angebot an die Loungewelt. Ob Kaidi Tatham oder Nala Sinephro: Es regiert bei den Remixes eine groovige Entrückung, bei der das Saxofon der Hauptdarstellerin zum Schatten runterarrangiert wird. Garcias Soli werden auf ein im Kreis geschicktes Motiv reduziert. Ausnahme bei Moses Boyds Version von Pace: Hier hebt Garcia auf hitziger Drum-’n’-Bass-Basis ab in ekstatische Sphären; dem Original wird eine interessante Aura verliehen.

Hier lebt dann auch der Geist des Afrojazz elektronisch auf, den einst John Coltrane ekstatisch propagierte. Ansonsten ist Source # We Move eine Art Domestizierung des Originals. Es wirkt, als wollte eine Weiterverwertungsindustrie Garcia ein bisschen wegretuschieren, um für sie Marktanteile zu gewinnen. Geschenkt. Nur geht auch das weitaus origineller.

Das Gute an der "Neuheit": Garcia mag der Remix Zeit verschaffen, ihre nächste Einspielung ohne Hektik wachsen zu lassen. Wie die Neuheit klingen könnte, ist womöglich per Livestream am Dienstag zu vernehmen. Die Tenorsaxofonistin kommt tatsächlich ins Porgy & Bess und spielt – ohne Publikum. (Ljubiša Tošić, 30.11.2021)