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Swift mit dem Grammy-Award für das Album des Jahres "Folklore" im März 2021.

Foto: Ap/Jordan Strauss/Invision

"Schade, dass ich Taylor Swift früher peinlich fand. Ich weiß gar nicht genau, warum." Ja, warum eigentlich? Die US-amerikanische Singer-Songwriterin ist eine der erfolgreichsten Musiker*innen weltweit und jagt wieder einmal einen Rekord nach dem anderen. Derzeit nimmt sie wegen eines Rechtestreits mit ihrer früheren Plattenfirma ihre alten Alben neu auf. Zuletzt erschien Mitte November "Taylor's Version" von "Red" von 2012 und begeisterte nicht nur Fans der ersten Stunde, sondern auch solche, die erst kürzlich begonnen haben, sich mit ihrer Musik auseinanderzusetzen. Vor allem Millennials, die sich für die Musik der 31-Jährigen nie ernsthaft interessiert haben, fühlen sich dabei ein wenig ertappt. "Ihre alten Songs erinnern mich an Erfahrungen als Teenager. Es wäre schön gewesen, wenn ich die Lieder schon damals gehört hätte", hört man nun öfter von der ein oder anderen jungen Frau.

Bröckelt hier das eingefahrene Bild einer Künstlerin? Zwar ist die Sängerin seit mehr als einem Jahrzehnt nicht aus der internationalen Musikindustrie wegzudenken, an ihr haftet aber bei vielen immer noch das Vorurteil des braven und ein wenig anstrengenden Mädchens von nebenan, das nur Lieder über Ex-Freunde und zerbrochene Beziehungen schreibt.

Belächelte Erfolge

Dabei kann man Swift kaum als Nischen-Star für Teenies bezeichnen. Mit 16 begann sie ihre Karriere als Country-Sängerin und wurde wenige Jahre später zu einem der erfolgreichsten internationalen Pop-Stars. Sie hat über die Jahre mehr als 50 Auszeichnungen, darunter elf Grammy-Awards, erhalten. Zudem ist sie die weibliche Künstlerin mit den meisten Songs in den US-Charts, hält mit ihrer Zehn-Minuten-Version von "All too well" seit kurzem den Rekord für den längsten Hit an der US-Chartspitze und ist die weibliche Musikerin mit den meisten Streams für ein Album auf Spotify. "Red (Taylor's Version)" wurde allein am Erscheinungstag auf dem Streamingdienst 90,8 Millionen Mal angehört. Recht beachtlich für ein Album voller bereits bekannter Songs. Vom Thron verdrängt hat sie aber ohnehin nur sich selbst: Davor war ihr Album "Folklore", das im Juli 2020 erschien, Rekordhalterin mit 78,7 Millionen Streams innerhalb eines Tages.

Dennoch wurde Swift in Medien sowie großen Teilen des Musikpublikums lange belächelt. War sie anfangs das "All-American Girl", das bei Award-Shows Gott und ihrer Familie dankte, tadelten sie bald vor allem konservative US-Medien wie Fox News, sie sei "zu brav", "zu gut" oder "zu dünn". Linke Meinungsführer*innen in den USA kritisierten wiederum, sie nehme zu wenig Stellung zu politischen Themen. Als junge Erwachsene wurde ihr dann vorgeworfen, kalkuliert und falsch zu sein: Freundschaften mit Models, Schauspielerinnen und anderen Musikerinnen sowie öffentliche Auseinandersetzungen mit Kolleg*innen wie Kanye West oder Katy Perry seien demnach nur PR-Stunts gewesen.

Ein Jahrzehnt voller sexistischer Witze

Popkulturell hat sich aber vor allem ein Kritikpunkt durchgesetzt: Swift habe ein problematisches Datingverhalten und wechsle zu schnell ihre meist berühmten Partner. Die Sängerin und ihre Songs über Ex-Freunde wurden im Internet zu zahlreichen Memes und misogynen Witzen. "Taylor Swift geht mit ihrem neuen Album spazieren", hieß es beispielsweise, wenn es Paparazzi-Fotos von ihr und einem neuen Partner gab. In Boulevardmedien wurde laufend gerätselt, welche Männer sie wohl in welchen Songs besang. Selbst heute noch wird über zum Teil zehn Jahre zurückliegende Beziehungen spekuliert wie jüngst im Kurier. Berichtet wurde dabei immer mit dem niederschwelligen Vorwurf, sie date zu viel und sei keine ernstzunehmende Künstlerin, weil sie nur über ihre ehemaligen Partner schreibe.

Swift selbst schwieg lange dazu und gab auch nie Informationen darüber preis, von wem ihre Songs handelten. Erst in den vergangenen Jahren trat sie offensiver gegen persönliche Fragen auf und prangerte diese als sexistisch an. Sie betonte etwa, dass auch männliche Musiker wie Ed Sheeran oder Bruno Mars über Beziehungen schreiben und dennoch anders behandelt würden. Selbst Sängerkollege und Ex-Freund Harry Styles, über den Swift vermeintlich ein oder zwei Songs geschrieben hat, verteidigte sie in Interviews: Alle Musiker*innen würden Inspiration aus eigenen Erfahrungen ziehen, meinte Styles zum "Rolling Stone". Und auch wenn die Songs, die womöglich von ihm handelten, nicht allzu schmeichelhaft seien, wären sie zumindest gut, weil Swift eine großartige Songwriterin sei.

Der Misogynie entwachsen

Erst im März reagierte Swift via Twitter auf einen Witz in der eigentlich als progressiv beworbenen Netflix-Serie "Ginny & Georgia", dass eine Protagonistin die Männer "schneller wechsle als Taylor Swift". "2010 hat angerufen und will seinen faulen, zutiefst sexistischen Witz zurück", schrieb die Musikerin. Ihre Fans reagierten auf Twitter mit dem Hashtag #RespectTaylor und forderten, das jahrelange Slutshaming zu beenden.

Die sexistischen Doppelstandards in der Gesellschaft thematisierte die Sängerin auch in ihrem Song "The Man" von 2019. "Wenn dir jeder glaubt, wie ist das?", singt sie da etwa. Dass sich Swift inzwischen so offen positioniert, hängt nicht nur mit der inzwischen veränderten Rezeption von Frauen in der Öffentlichkeit zusammen. In der 2020 erschienenen Netflix-Dokumentation "Miss Americana" über ihre Karriere erzählt sie, dass sie ihre eigene Misogynie ablegen musste, um die Doppelmoral zu erkennen, unter der sie litt.

Wie Swift selbst denken zunehmend auch viele, die die Sängerin früher als peinlich empfanden, anders über die Zuschreibungen, mit denen Frauen in der Öffentlichkeit zu kämpfen haben. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Musik der Künstlerin inzwischen nicht mehr als musikalisches "Guilty Pleasure" gilt. Vielmehr wird der US-Amerikanerin endlich der Platz zugestanden, den sie sich jahrelang erarbeitet hat.

Denn nicht zuletzt hält auch der Vorwurf, Swift habe ihre Karriere lediglich auf belanglosen Songtexten aufgebaut, nicht. Seit sie jung war, schreibt sie über ihre eigenen Erfahrungen, mit denen sich erst Teenager und später junge Erwachsene in Massen und universell identifizieren konnten und können. Sein Innerstes so zu offenbaren zeugt vor allem von einem: Mut. (Davina Brunnbauer, 3.12.2021)