Das letzte Jäckchen aus der kaiserlichen Garderobe wird von einem Wiener Wurstsiederkind getragen: Robert Palfrader.

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Es haben sich Stimmen vernehmen lassen, die das adelige Geblüt unseres Bundeskanzlers unwohlwollend kommentieren. Manche wollten ihm seine nasale Aussprache nachteilig auslegen: Man habe dergleichen Tonfall circa seit Verlust der habsburgischen überseeischen Besitzungen nicht mehr hören dürfen!

Als kleiner, in Reiterstandbilder verliebter Babyboomer war ich von der Noblesse des Adels schüchtern angetan. Unentwegt begegnete ich alten, stark riechenden Männern. Sie saßen vor doppelköpfigen Adlern und näselten nach Herzenslust. Ihre verwitterten Gesichter wiesen allesamt einen Überschuss an körpereigener Wolle auf. Die teilten sie, wohl aus Gründen des Reichsausgleichs, in flauschige Backen- und spitze Zwirbelbärte auf.

Auge um Auge

Später eröffnete mir mein Vater, dass der Erste Weltkrieg gewissermaßen zu früh geendet hatte. Mein Großvater hätte sich am Isonzo ein Auge ausschießen lassen. Zur Wiedergutmachung hätte er um seine Erhebung in den Adelsstand angesucht. Doch wäre das Patent in den Papierstapeln des k. u. k. Kriegsministeriums unerledigt hängen geblieben. Der Kollaps der Monarchie bereitete allen Träumen vom "von" ein Ende.

Spätere Begegnungen mit Ausläufern des Aristokratismus leiteten eine Entfremdung ein. Drohte im Wochenendhaus im Weinviertel ein Wetterumschwung, murmelten die Bauern: "A Regen kummt! Die Säu’ vom Grafen stinken!" Irgendwann moderierte der letzte Habsburgerspross ein ORF-Ratequiz. Und Thomas Bernhard nannte Bruno Kreisky, den republikanischen Reformkanzler, einen "Höhensonnenkönig". Der allerletzte imperiale Rock wurde schließlich an das Wiener Wurstsiederkind Robert Palfrader ausgehändigt. Prompt saß das Jäckchen dem Mann aus dem Volk wie angegossen. (Ronald Pohl, 1.12.2021)