17,5 Prozent der österreichischen Bevölkerung (1.529.000 Menschen) waren 2020 armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Nach der Definition der Armutskonferenz heißt das: "Das Einkommen liegt unter der Armutsschwelle (Anm.: 1.328 Euro), oder die Personen sind erheblich materiell depriviert oder leben in Haushalten mit keiner/sehr geringer Erwerbsintensität."

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15 Monate Pandemie und eine Normalität, wie wir sie aus der Zeit vor Corona kennen, rückt immer weiter in die Ferne. Wiederkehrende Lockdowns, wachsende Arbeitslosigkeit, steigende Lebenserhaltungskosten – all das trifft Menschen, die ohnehin schon von Armut betroffen sind, am härtesten und führt bei ihnen zu Depression, Einsamkeit und Existenzangst. So lautet das Ergebnis einer am Dienstag veröffentlichten Studie der Armutskonferenz. Im Frühjahr 2021 – kurz nach dem dritten Lockdown – wurden dafür im Auftrag des Sozialministeriums 39 Menschen in qualitativen Interviews zu ihrer sozialen Lage befragt.

Unter den Teilnehmern waren Armutsbetroffene und Armutsgefährdete (Anm.: Armutsgefährdungsgrenze 1.328 Euro; 17,5 Prozent der Bevölkerung (Stand 2020)), Leiharbeiter, Selbstständige oder sogenannte Ein-Personen-Unternehmer, Künstler, Menschen, die Sozialhilfe oder Notstandshilfe beziehen, Alleinerziehende und benachteiligte Jugendliche. "Vor allem die psychische Situation ist sehr in den Vordergrund gerückt", erläutert Studienautorin Evelyn Dawid. Auch das Wohnen in zu großer Enge sei in den Gesprächen oft thematisiert worden. Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) versprach am Dienstag erneut einen Ausbau der psychosozialen Versorgung.

Ressourcen ausschlaggebend

"Die Welt dreht sich halt weiter, und ich komme irgendwie nicht nach." Das sagt eine Jugendliche, die unter der Armutsgrenze lebt. Die psychische Belastung sei nach den Lockdowns das dominante Thema gewesen, weil den Menschen die Arbeit und die Kollegen abgegangen sind, weil man Freunde, Familie und Bekannte nicht treffen konnte oder weil sich die ökonomische Existenzgrundlage in Luft aufzulösen schien, sagt Studienautorin Dawid.

Zur Einsamkeit, die bereits in einer Erhebung im Vorjahr ein wichtiges Thema gewesen war, gesellte sich eine Art Gleichgültigkeit: "Viele verloren die Tagesstruktur, schlitterten in eine Depression, machten den Tag zur Nacht und umgekehrt", so Dawid. Vor allem Jugendliche hätten berichtet, oft die Tage zu verschlafen – auch während am Bildschirm das Homeschooling lief – und dafür bis spät in die Nacht im Freien unterwegs zu sein.

Allgemein zeigen die Berichte der Betroffenen: Wer schon vor der Krise einen schlechtbezahlten, prekären Job hatte, der hat es jetzt am allerschwersten. "Diese Menschen sind tatsächlich durch die Corona-Krise und ihren Jobverlust in Armut geraten", sagt Dawid. Jene Menschen, die einen guten Job hatten, die habe ihr ebenso passables Arbeitslosengeld aufgefangen. Das zeige, "wie wichtig ein existenzsicherndes und gutes Arbeitslosengeld ist", so Sozialexperte Martin Schenk von der Armutskonferenz.

Energiearmut

Zur psychischen Belastung kommt die Wohnsituation – und hier vor allem die steigenden Lebenserhaltungskosten, sagt Dawid. "Armutsbetroffene weisen hier ein geschärftes Sensorium auf, weil sie aufgrund ihrer ausgesetzten Position in der Gesellschaft schon kleine Veränderungen am eigenen Leib zu spüren bekommen", so Dawid. Seit die Gespräche für die Studie geführt wurden hat sich die Situation aber noch einmal verschärft. Im September markierten die europäischen Gaspreise ein neues Rekordhoch, und das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) hat seine Inflationsprognose bereits zum wiederholten Mal nach oben korrigiert.

Dass die steigenden Energiepreise vielen Menschen Probleme bereiten, bestätigt auch Imre Siska vom Roten Kreuz. Er berät Menschen zum Thema Energiearmut. Aktuell sei die Beratungsstelle wieder sehr ausgelastet, sagt er. Das ist zwar nicht unbedingt unüblich für November, wenn die Jahresabrechnungen der Fernwärme kommen, aber "Corona und höhere Energiepreise, das ist für die Leute kaum zu verkraften." Vor allem weil gewohnte Unterstützungsnetzwerke wegbrechen. "Wer kein Geld zum Heizen hat, ging vielleicht normalerweise ins Schwimmbad oder zur Mutter, um sich aufzuwärmen – das ist jetzt nicht mehr möglich", sagt Siska.

Mückstein verspricht mehr Therapie

Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) erklärte in einer Aussendung zu der Studie der Armutskonferenz, dass weiter am Ausbau der psychosozialen Versorgung gearbeitet werde. Die Studienergebnisse würden die Wichtigkeit dieses Vorhabens unterstreichen. Bis Ende des Jahres sollen 300.000 zusätzliche Therapiestunden für Psychotherapie auf Krankenschein geschaffen werden und zudem 13 Millionen Euro in psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen investiert werden. Beides hat Mückstein bereits im Sommer angekündigt. (jop, 30.11.2021)