Im jüngsten mutmaßlichen Frauenmord erhebt die Familie des Opfers Vorwürfe gegen die Polizei: Diese habe zu langsam und zu wenig ermittelt.

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Das Obduktionsergebnis ihrer Mutter erfuhren N.* und B.* aus den Medien, sagen sie. Die 60-Jährige wurde erstickt. Sie ist Opfer eines mutmaßlichen Frauenmords, laut Zählung der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser der dreißigste in dem Jahr. Erst am Dienstag wurde ihre Leiche im Kellerabteil ihres Hauses gefunden. Zehn Tage zuvor waren Angehörige bereits bei der Polizei. Nun werfen sie den Behörden vor, zu langsam ermittelt zu haben, man habe sie nicht ernst genommen, sagen die beiden.

Die Kommunikation der Angehörigen mit der Polizei liegt dem STANDARD vor. Sie zeigt: Die Familie hat mehrmals bei den Behörden urgiert und den Verdacht des Mordes in den Raum gestellt. Sie hat selbst die Ermittlungen übernommen und diese der Polizei auf dem Silbertablett serviert: Die Angehörigen befragten Freundinnen, suchten das Auto, nach dem die Polizei fahndete – und fanden es am Flughafen. Nach dem Mann des Opfers wird nun international gefahndet.

Blick auf das Kellerabteil

Was war zuvor passiert? Am 19. November sei der Kontakt zur Mutter abgebrochen, sagen die Angehörigen. Vor Reisen hatte sie sich gewöhnlich gemeldet, sie wurden misstrauisch. Schon am Tag danach telefonierten sie Krankenhäuser durch und waren bei einer Polizeiinspektion. Und seien dort weggeschickt worden. Die Polizei sagt dazu: Man habe Maßnahmen ergriffen – etwa ebenfalls in Krankenhäusern nachgefragt –, dann aber gebeten, privat noch weiterzusuchen.

Am 21. November erstatteten N. und ihr Bruder B. gemeinsam mit einer Freundin der Mutter Vermisstenanzeige – zu dem Zeitpunkt gingen sie noch nicht von einer Gewalttat aus. Kontakt zum neuen Ehemann der Mutter war kaum vorhanden, da die Kinder die Ehe nicht guthießen. Dass es Gewalt geben könnte in der Beziehung, dachten sie erst nicht – als sie das später revidieren wollten, sei das zunächst nicht ernst genommen worden, sagt N.

Polizisten standen noch an dem Abend vor der verschlossenen Kellertür, erzählen die Angehörigen, tags darauf sei auch das Landeskriminalamt da gewesen. Die Polizei bestätigt auf mehrmalige Nachfrage: Man habe einen Blick auf das Kellerabteil geworfen, sei aber nicht drinnen gewesen. Zu dem Zeitpunkt ging es nicht um ein Tötungsdelikt, betonte ein Sprecher. Zwei Tage später habe sich die Freundin erneut bei den Kindern gemeldet: Sie mache sich Sorgen – wegen des Ehemanns der Mutter. Noch am selben Tag kontaktierten N. und B. weitere Freundinnen, die hätten von einer zerstörten Beziehung gesprochen: Die Mutter soll kontrolliert worden, ihr Mann eifersüchtig gewesen sein.

One-Way in der Iran

Also wandten sich die Geschwister erneut an die Polizei, schilderten die Aussagen und teilten ihre Sorge mit, dass das Leben der Mutter in Gefahr sein könnte. Einen Tag später schrieben sie erneut: Sie stellten den Verdacht des Frauenmords in den Raum und begründeten diesen. Tags darauf fand der Cousin der beiden gemeinsam mit Freunden das Auto des Verdächtigen am Flughafen. Die Polizei stellte das Fahrzeug sicher und fand heraus: Der Mann stieg allein in einen Flieger in den Iran – mit einem One-Way-Ticket.

Und: Ebenfalls an diesem Tag hätten mehrere Personen aus dem Bekanntenkreis seltsame Nachrichten via Whatsapp erhalten. "Weißt du schon was über (Name der Mutter)", sei da gestanden. "Check the Shortage, I’m sorry" – zu Deutsch: "Check die Knappheit, Es tut mir leid", habe jemand an B., den Sohn der Verstorbenen geschrieben. N. und B. glauben, dass das der Mann ihrer Mutter war, unter einer falschen Nummer. Und dass er sich vertippt hatte: Statt Shortage, so glauben sie, wollte er "Storage" schreiben – Lagerraum.

Die Polizei aber habe sie nach dieser Information vertröstet, sagen die Geschwister. Im Kellerabteil der gemeinsamen Wohnung war bis zu dem Zeitpunkt kein Beamter. N. und ihr Bruder selbst hatten dort nachgesehen, "leider nicht gründlich genug", wie sie heute sagen.

Noch einen Tag bevor die Leiche gefunden wurde, bekamen die Geschwister ein Schreiben, in dem ihr Antrag auf Akteneinsicht in der Causa abgelehnt wurde – sie wollten sich als Privatbeteiligte dem Verfahren anschließen, wegen des Verdachts, dass ihre Mutter "in der Nacht zwischen Freitag, 19. November 2021, ca. 23 Uhr und Samstag, 20. November 2021, ca. 2.27 Uhr" getötet worden sei. Dem wurde nicht stattgegeben. Der Grund: Sie seien keine Opferangehörigen, immerhin gebe es keine Leiche. "Sollten sich die Verdachtsmomente auf ein Tötungsdelikt erhärten, wird Akteneinsicht im beantragten Umfang zugestanden", heißt es da. Am Montag wechselte der Akt die Abteilung, dann ging es schnell: Am Dienstag wurde der Keller durchsucht, unter Reifen und Decken fand man die Leiche. Mittlerweile haben die Geschwister Akteneinsicht.

Wie ermittelt wurde

Was B. und N. auch sagen: dass sie sich von der Polizei nicht ernst genommen gefühlt hatten – auch weil sie migrantisch klingende Nachnamen haben. "Würden wir Müller heißen, wäre das vielleicht anders gelaufen." Das weist die Landespolizeidirektion Wien zurück: Man sei in intensivem Kontakt mit den Angehörigen gestanden, habe sie stets informiert und ernst genommen.

Auch in den Ermittlungen sieht man keine Fehler: Sofort seien Abfragen erfolgt – bei der Rettung, in den Spitälern, in Haftanstalten –, auch nach dem Pkw sei gesucht worden, eine Anfrage zur Ortung des Wagens sei ebenso im Gang gewesen. Eine Handyortung sowohl bei der Frau als auch bei ihrem Mann sei ergebnislos verlaufen. Auch mit der Staatsanwaltschaft sei die Polizei in Kontakt gewesen, unter anderem um die Konten des Mannes einsehen zu können. Bei der Polizei verweist man außerdem auf die Möglichkeit einer Maßnahmenbeschwerde. N. kündigt an, eine solche zu machen. (Lara Hagen, Gabriele Scherndl, 1.12.2021)