Wer sich zum ersten Mal in Triest auf der weiträumigen Piazza dell'Unità d’Italia umschaut, könnte leicht einen falschen Eindruck bekommen. Mit seinen Palästen, den überladenen Fassaden, der großzügigen Öffnung hin zum Meer verheißt der inoffizielle Hauptplatz eine elegante Stadt mit mondänem Flair.

Im Bild: Strandbad Pedocin: Eine weiße Mauer trennt die Badenden nach Geschlechtern.

Foto: George Desrues/Erich Bernard

Doch abseits der Piazza ist die Realität eine völlig andere. "Triest erschließt sich einem nicht auf Anhieb, sondern verlangt Zeit", schreiben die Autoren George Desrues, dessen (kulinarische) Texte auch im STANDARD zu lesen sind, und Architekt Erich Bernard in ihrem Buch "Triest für Fortgeschrittene". Denn die Hafenstadt offenbart sich – im Unterschied zu Venedig oder Florenz – nicht auf den ersten Blick. Mit ihrem morbiden Charme verlangt sie Zeit, will erforscht, verstanden, durchschaut werden.

Im Bild: Von Besuchern oft übersehen: das untere Stockwerk der Topolini.

Foto: George Desrues/Erich Bernard

Und so begleiten uns die Autoren durch Triest, indem sie die letzten Geheimnisse dieses Sehnsuchtsorts lüften: die historischen Orte und ihre zum Teil dunkle, in vielen Fällen noch aufzuarbeitende Vergangenheit gleichermaßen wie das spannende architektonische Erbe der Stadt. Aber auch die stimmigsten Badeplätze, die angesagtesten Orte für den abendlichen Aperitif und die besten Lokale für Spaghetti mit Vongole oder für Geselchtes mit Sauerkraut.

Im Bild: Ganzjährig Pinzen aus dem Holzofen: Pasticceria La Bomboniera.

Foto: George Desrues/Erich Bernard

"Die Stadt beansprucht, dass man sich auf sie und ihren rauen, oft melancholischen Charme einlässt, sich mit ihrer bewegten Geschichte beschäftigt, mit ihrer speziellen geografischen Lage und mit dem einzigartigen Gemisch aus Völkern, Sprachen und Kulturen, das sie geformt hat", schreiben die Autoren.

Im Bild: Gebauter Futurismus: die Bibliothek des Villagio del Fanciullo von Marcello D'Olivo.

Foto: George Desrues/Erich Bernard

Triest, so heißt es oft, sei gar nicht das echte Italien. Und das mag in gewisser Weise ja auch stimmen. Zumindest sehen das nicht nur viele Besucher, sondern etliche Italiener und gar nicht wenige Triester so, meinen Desrues und Bernard.

Im Bild: Atemberaubender Blick von der Osmiza Coslovich.

Foto: George Desrues/Erich Bernard

Stazione Marittima: Art-déco-Juwel und Anlegestelle für Kreuzfahrtschiffe.

Foto: George Desrues/Erich Bernard

Doch genau darin lege der wahre Reiz dieser außergewöhnlichen Stadt am Schnittpunkt der Kulturen, im Nirgendwo zwischen Norden und Süden und am Übergang von West nach Ost.

Im Bild: Yoga-Stunde im Bagno Ausonia vor untergehender Sonne und Frachter.

Foto: George Desrues/Erich Bernard

Mausoleum der Familie Morpurgo, gestaltet von Architekt Carlo Maciachini.

Foto: George Desrues/Erich Bernard

Wer sich also die nötige Zeit nimmt, wird alsbald zweierlei erkennen, heißt es: zum einen, dass die Stadt ihr Anderssein mit Stolz lebt und es längst zu ihrem Wesen gemacht hat; und zum anderen, dass das vielgerühmte Licht des Südens, das Besucher aus dem Norden seit Jahrhunderten nach Italien zieht — wenngleich gefiltert und zuweilen gebrochen –, letztendlich auch in Triest strahlt. (red, 1.12.2021)

Im Bild: Null über Adria: exklusiver Yachtclub Adriaco im Abendlicht.

Foto: George Desrues/Erich Bernard

Georges Desrues, Erich Bernard: "Triest für Fortgeschrittene". Styria-Verlag, 208 Seiten, € 28,00

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Foto: George Desrues/Erich Bernard/Styria Verlag