ORF-General Alexander Wrabetz am 10. August 2021 – kurz zuvor bestellte der ORF-Stiftungsrat Vizefinanzdirektor Roland Weißmann zu Wrabetz' Nachfolger ab 2022.

Foto: Heribert Corn

Wien – Ein letztes Mal mit diesem General: Am Donnerstag tagt der ORF-Stiftungsrat, das wichtigste Entscheidungsgremium, mit Alexander Wrabetz als Alleingeschäftsführer des ORF – die letzte Plenarsitzung nach 15 Jahren Wrabetz an der Spitze des größten Medienkonzerns im Land. Was bleibt von Wrabetz, was hat er aus dem ORF gemacht, und wie hat er ihn geführt?

15 Jahre Wrabetz im raschen Überblick

  • Der Sozialdemokrat Wrabetz, davor schon acht Jahre Finanzdirektor des ORF, hat die Führung des großteils gebührenfinanzierten Medienhauses 2006 mit großem Reformeifer übernommen.
  • Er kündigte 2007 die "größte Programmreform aller Zeiten" an – und scheiterte damit großteils, von der Daily Sitcom "Mitten im 8en" bis zum jungen Societyformat und zu Experimenten mit Late-Night-Talk im Gefolge des "Club 2". Die Late Night"Willkommen Österreich" mit Dirk Stermann und Christoph Grissemann zählt zu den wenigen erfolgreichen Formaten dieser schließlich gar nicht großen Reform.
  • Seither ging Wrabetz die ORF-Führung etwas vorsichtiger an – und entwickelte lange, teils sehr lange und manchmal auch nicht enden wollende Entscheidungsprozesse. Interne Führungsstrukturen wurden doppelt und dreifach gewoben, damit mehrere, oft sehr ambitionierte Managerinnen und Manager entschlossen gegeneinander arbeiten konnten – und letztlich den General zur Entscheidung brauchten.
  • Schnell ging es oft, wenn etwa Personalbesetzungen im Sinne der jeweiligen Regierung Schaden vom ORF oder seinem Generalsjob abwenden konnten.
  • Doch betonen ORF-Journalistinnen und -Journalisten gemeinhin die große Freiheit der Redaktionen unter Wrabetz – insbesondere im Vergleich zu seiner Vorgängerin Monika Lindner und deren zentralem TV-Chefredakteur Werner Mück.
  • Wrabetz führte den ORF durch die Finanzkrise 2008/09 – mit einem 160-Millionen-Euro-Gebührenzuschuss der Republik im Tausch für einen ÖVP-Wunschkandidaten als Finanzdirektor (Richard Grasl) und ein Sparpaket. Wrabetz navigierte den ORF durch ein EU-Wettbewerbsverfahren gegen die Republik wegen der GIS-Gebühren, das vergleichsweise glimpflich im ORF-Gesetz 2010 mündete. Und er sicherte den ORF und die Gebührenfinanzierung des ORF gegen die Angriffe von FPÖ und ÖVP in deren gemeinsamer Regierung – bis das Ibiza-Video die Regierung noch rechtzeitig vor einem neuen ORF-Gesetz sprengte.
  • Der ORF-Chef verteidigte seinen Generalsjob über eineinhalb Jahrzehnte gegen Regierungen von SPÖ, ÖVP und FPÖ sowie – auch große – Mitbewerber mit Erfolg und passenden Besetzungen. Bis 2021 eine türkise Mehrheit im Stiftungsrat Roland Weißmann favorisierte, den nächsten ORF-Chef ab 2022.
  • Wrabetz schaffte zwei zusätzliche TV-Kanäle (ab 2011) – die Spartensender ORF 3 Kultur und Information und ORF Sport Plus. Eine grundlegend schlüssige und erfolgreiche Reform von ORF 1 als jüngeres Programm gelang trotz einiger Anläufe bisher nicht recht. Die TV-Marktanteile des ORF-Fernsehens legten nach programmreformbedingt raschen, später langsamen Erosionen zuletzt wieder zu – auch wegen hohen Informationsinteresses in der Corona-Pandemie.
  • Zu Höchstform lief Wrabetz auch im Corona-Management des ORF auf – mit Sicherheits-, Test- und Impfengagement, zuletzt auch einer Impf-Lotterie mit bisher mehr als einer Million Teilnehmern. Und mit großem Informationsangebot, vielen Sondersendungen von Regierungspressekonferenzen und -auftritten.
  • Gerade auf seinen letzten Metern als ORF-General sorgte die karitative "Licht ins Dunkel"-Gala 2021 mit Politikern und Promis im Saal für herbe Kritik an Feiern im Lockdown und mehr als ein Dutzend Anzeigen. FPÖ-nahe Stiftungsräte widmeten sich der Gala schon am Mittwoch im Programmausschuss, wohl mit Fortsetzung am Donnerstag im Plenum des Stiftungsrats.
  • Die Pandemie bot Wrabetz aber auch eine Gelegenheit, eine der letzten großen Änderungen seiner Programmreform von 2007 zu revidieren: Die "Zeit im Bild" lief bis Frühjahr 2007 parallel in ORF 1 und ORF 2. 2020 kehrte diese sogenannte "Durchschaltung" wieder zurück.
  • Im Radio verteidigte der ORF über eineinhalb Jahrzehnte seine überragende Marktposition von drei Viertel aller gehörten Radiominuten, nicht zuletzt mit professionellem Management von Ö3.
  • Verteidigt hat der ORF auch seine ebenso herausragende Marktposition unter österreichischen Onlineangeboten, dazu kamen die TVthek und die Radiothek, insbesondere als Streamingplattformen für bestehende Programme. Und Kurznachrichtenformate der ZiB für Social Media wie "ZiB 100", "ZiB Insta" und zuletzt "ZiB Tiktok". Viel mehr erlaubt das ORF-Gesetz bisher nicht.
  • Seiner Verwirklichung harrt also noch das große Streamingprojekt ORF On, Arbeitstitel ORF-Player. Seit gut einem Jahrzehnt wird das Projekt im ORF gewälzt und von Wrabetz angekündigt. Dafür erhoffte Lockerungen des ORF-Gesetzes – alleinige Streamingprogramme sind bisher nicht erlaubt – scheiterten bisher an Politik und Mitbewerb. Die Digitalnovelle soll nun Mitte 2022 kommen – hofft jedenfalls Wrabetz' Nachfolger Roland Weißmann, wie der Mittwoch vor Stiftungsräten erklärte. Erhofft hat sie die amtierende ORF-Führung auch schon für Mitte 2021.
  • Die kommerziellen Streaminghoffnungen Flimmit (Film, Serie) und Myfidelio (Klassik mit der deutschen Unitel/Beta-Gruppe) erfüllten sich nicht. Beide brauchen laut ORF Gebührengelder, für Flimmit sind sie schon genehmigt, für Myfidelio beantragt.
  • Offen ist auch die Lücke in der Gebührenfinanzierung: 2015 hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass der ORF für Streaming keine Gebühren verlangen darf. Hoffnungen auf eine Haushaltsabgabe oder ähnliche Gebührenmodelle für alle potenziellen Nutzungsmöglichkeiten blieben bisher ebenfalls unerfüllt.
  • Wrabetz' ORF hat auch das 303-Millionen-Euro-Bauprojekt auf dem Küniglberg – Sanierung und Zubau für Programm und multimedialen Newsroom – nach einigen Jahren der Verzögerung durch Standortdebatten, Denkmalschutz, Anrainerproteste und interne Koordinationsprobleme in Budget und Zeitplan geschafft.
  • 2022 wird der multimediale Newsroom rund um einen kleinen, schmucken Erlenwald im Lichthof besiedelt. Nun auf Wunsch seines Nachfolgers Roland Weißmann erst einmal in den alten Strukturen von TV, Radio und Online. Wrabetz wollte die gemeinsamen Ressorts und die Newsroomführung ursprünglich noch selbst besetzen.

(fid, 2.12.2021)