Der Lobautunnel sollte durchs Naturschutzgebiet führen, nun will die Umweltministerin das Projekt stoppen.

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Dass die zuständige Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Mittwoch dem Lobautunnel eine Absage erteilt hat, sorgt erwartungsgemäß für höchst unterschiedliche Reaktionen. Der Koalitionspartner der Grünen im Bund, die ÖVP, fordert nun Gespräche über das weitere Vorgehen. Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) erinnerte die Grünen daran, dass in einem solchen Fall Gespräche mit dem Koalitionspartner gefordert seien.

Schallenberg forderte von Gewessler zudem Alternativen ein: "Nur zu sagen Nein ist in der Politik nicht ausreichend. Man muss in der Politik auch Alternativen aufzeigen." Bei einem seit Jahren auf dem Tisch liegenden, weit fortgeschrittenen Projekt "muss man machen, was notwendig ist und in einer Koalitionsregierung auch gefordert sein kann", verlangte er gegenüber der "ZiB2", sich zusammenzusetzen. Zudem merkte er an, dass "das Koalitionsklima weiterhin ein anspruchsvolles ist". Das Eis sei zwar etwas dicker geworden, aber es gelte weiterhin "sorgsam umzugehen, weil weiterhin steht man auf Eis".

Auch Blümel fordert Gespräche

Finanzminister Gernot Blümel – der das Projekt stets befürwortet hat – hielt in einer Stellungnahme am Mittwochvormittag fest, dass sich seine Haltung grundsätzlich nicht geändert habe: "Es handelt sich um ein wichtiges und wesentliches Infrastrukturprojekt, das sowohl Anrainer entlastet als auch den Standort stärkt."

"Wie auch bei der Steuerreform gehe ich davon aus, dass man auch bei diesem Thema einen gemeinsamen Weg als Bundesregierung findet", sagte der Minister. "Zumal es für das Bauprogramm der Asfinag auch das Einvernehmen mit dem BMF braucht", fügte er hinzu. "Ich erwarte, dass die entsprechenden Gespräche auf Expertenebene umgehend aufgenommen werden, um eine Lösung zu erzielen."

"Schlag ins Gesicht"

Gewessler hatte auf die Frage, ob ihr Vorhaben mit der ÖVP abgestimmt sei oder ob sich die ÖVP querlegen könnte, erklärt: Die Asfinag erstelle ein Bauprogramm, das sei mit ihr als Verkehrsministerin abzustimmen. Im nächsten Schritt gelte es, ein Übereinkommen mit dem Finanzministerium zu erzielen.

Weniger zurückhaltend äußerte sich die Wiener ÖVP, deren Obmann Blümel ist. "Die heutige Entscheidung von Verkehrsministerin Gewessler ist völlig unverständlich, zeugt von kompletter Verantwortungslosigkeit und ist geradezu ein Schlag ins Gesicht der Wienerinnen und Wiener. Dieser Entscheidung muss entschieden entgegengetreten werden", befanden Klubobmann Markus Wölbitsch und Verkehrssprecher Wolfgang Kieslich.

"Öffi-Turbo zünden"

Die Neos hingegen, Koalitionspartner der SPÖ in Wien, sprachen von einer "erwartbaren und richtigen Entscheidung". Klubobfrau Bettina Emmerling sagte: "Das Wichtigste ist: Jetzt herrscht Klarheit." Sie forderte alle Beteiligten auf, "jetzt rasch zu handeln, statt nachhaltige Lösungen durch Rechtsstreitigkeiten über Jahre zu verzögern". Man habe die Chance, die "verkehrsgeplagten Bewohner" der Donaustadt schnell und ökologisch sinnvoll zu entlasten. Bund, Wien und Niederösterreich müssten nun die freigewordenen Mittel umleiten und einen "Öffi-Turbo für die Ostregion zünden". Es brauche "attraktive, die Stadtgrenze überquerende Alternativen für Pendler" und eine Aufwertung der S-Bahn-Verbindungen in die Stadt.

Klimaziele erreichen

"Hocherfreut" zeigen sich die Parteivorsitzenden der Wiener Grünen, Judith Pühringer und Peter Kraus: "Heute ist ein Jubeltag für den Klimaschutz und die gesamte Klimabewegung. Die Entscheidung gegen den Lobautunnel ist richtig und vernünftig." Ein Festhalten an einem "uralten fossilen Großprojekt" sei mit dem Erreichen der Klimaziele "einfach nicht mehr vereinbar".

FPÖ-Verkehrssprecher Toni Mahdalik bedauerte "dumpfgrüne Weltfremdheit, ideologische Verblendung und puren Autofahrerhass". Im 22. Bezirk würden 200.000 Menschen "seit Jahren in einer Stauhölle schmoren". Er fordert, die "katastrophale Fehlentscheidung auf dem Rücken der Bevölkerung" umgehend rückgängig zu machen.

SPÖ gegen Stopp

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) kritisierte die Entscheidung. Er will nun rechtliche Schritte prüfen lassen: "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen." Mehrmals sprach er davon, dass der Baustopp ein "Schlag gegen die Lebensqualität" sei.

Die Sozialistische Jugend freute sich über die Entscheidung. Ein Baustopp für den Lobautunnel allein ist der Parteijugend aber noch "viel zu wenig". Es brauche eine "rasche verkehrspolitische Neuorientierung" der Stadt und eine "sinnvolle Diskussion darüber, wie das Verkehrsproblem schnellstmöglich auf ökologischem Wege gelöst werden kann".

Kritisch reagiert jedoch die SPÖ Niederösterreich. "Wie sollen die BürgerInnen jemals wieder ruhig schlafen können, die ArbeitnehmerInnen pünktlich zur Arbeit kommen und die Gemeinden lebenswert bleiben, wenn sich durch sie eine kilometerlange Verkehrslawine zieht?", empörte sich Karin Renner, Landtagspräsidentin und SPÖ-Vorsitzende in Gänserndorf.

Freude bei NGOs, Kritik vom ÖAMTC

Naturschutzorganisationen wie WWF, Greenpeace, Global 2000, der Naturschutzbund und Südwind begrüßten den Stopp. Der ÖAMTC befürchtet ein Verkehrschaos. "Der heute von Bundesministerin Leonore Gewessler angekündigte Stopp für den S1-Lückenschluss bedeutet, dass die dringende Entlastung der Südosttangente ausbleibt. Es wird dort auch weiterhin an rund 180 Tagen im Jahr in beiden Richtungen Überlastungsstaus geben", heißt es. (red, 1.12.2021)