Long-Covid-Betroffene leiden an unterschiedlichsten Beschwerden. Neben Atemproblemen sind vor allem Konzentrationsschwierigkeiten und Erschöpfung sehr häufig.

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Mittlerweile ist die Million geknackt: Genau 1.022.661 Personen in Österreich sind Stand Mittwochnachmittag nach einer Infektion mit dem Coronavirus genesen – insgesamt wurden 1.170.362 Fälle bestätigt. Damit ist in etwa ein Achtel der gesamten Bevölkerung schon einmal infiziert gewesen – wie viele sich mehrmals angesteckt haben, ist allerdings unklar. Ebenso unklar ist außerdem, wie viele Menschen das Virus bereits hatten, davon aber nichts wissen.

Das bedeutet freilich nicht, dass diese Million Menschen momentan immun gegen das Virus sind. Bei vielen von ihnen ist die Infektion lange her, über 300.000 steckten sich schon im Jahr 2020 an.

Wie lange man in der Praxis geschützt ist, ist allerdings von Fall zu Fall unterschiedlich. Eine aktuelle Studie der Med-Uni und Biobank Graz erforschte dazu nun anhand von Personen, die einen milden Verlauf hatten, konkret, wie deren Antikörperstatus verlief. Die Forscherinnen und Forscher stellten fest: Zumindest acht Monate lang bleibt die Höhe der Antikörper relativ stabil.

"Genesene" als Trugschluss

Es ist ein Trugschluss, Menschen mit einer überstandenen akuten Sars-CoV-2-Infektion als "Genesene" zu bezeichnen, erklärte allerdings der Wiener Lungenfacharzt Ralf Harun Zwick Mittwoch vor Journalisten. Seit März 2020 habe er tausende Long-Covid-Patienten behandelt, weil die Krankheit es vielen Betroffenen unmöglich macht, ihren Alltag und Job zu bewältigen, obwohl sie vorher jung, fit und ohne Vorerkrankung waren.

Im Gegensatz zur akuten Erkrankung würde Long Covid in der Öffentlichkeit kaum als Bedrohung wahrgenommen, und viele Arbeitgeber verstünden nicht, warum ihre Mitarbeiter nach einer Infektion oft nach mildem Verlauf später "schon wieder ausfallen", sagte Zwick, Leiter der ambulanten internistischen Rehabilitation der Therme Wien Med. "In den Statistiken haben wir hunderttausende 'Genesene' – meiner Meinung nach gibt es solche aber gar nicht, sondern eine Vielzahl der Menschen hat sechs bis neun Monate danach massive Beschwerden."

Keine milden Verläufe

Er bezeichnete Long Covid als "grausames Chamäleon", weil es bei den Betroffenen vielerlei Probleme "vom Kopf bis zu den Zehen", wie Gedächtnisstörungen, Haarausfall, Herz-, Lungen- und Darmbeschwerden, verursacht. Long Covid tritt nicht nur sehr häufig (zu rund 75 Prozent) bei Personen auf, die bei der akuten Infektion einen schweren Verlauf hatten, sondern auch bei vielen Menschen, die "nur" etwa an Geschmacks- und Riechstörungen, mildem Fieber und grippalen Beschwerden litten, erklärte er: "In Wahrheit gibt es keine 'milden Verläufe', damit wird die Infektion bagatellisiert."

Unter den Betroffenen seien viele junge, zuvor sehr fitte Leute ohne Vorerkrankung, die vorher teils Marathon gelaufen sind und einen anspruchsvollen Beruf und Privatleben meisterten, berichtete der Mediziner: "Teils können sie ihren Alltag und Job nicht bewältigen und nicht einmal selber einkaufen gehen." Besonders traurig sei es, dass all dies zu verhindern wäre. "Mir ist kein Fall bekannt von Long Covid bei Personen mit Impfung", sagte Zwick.

Engpass in der Reha

Die Rehabilitationskliniken sind derzeit genauso mit Covid-19-Patienten ausgelastet und teils überlastet wie die Intensivstationen, berichtete er. Deshalb würden Menschen mit chronischen Herz- und Lungenproblemen derzeit keine adäquate Behandlung bekommen. Dies werde sich in nächster Zeit auch nicht ändern. "Im Gegensatz zu vielen anderen Leuten weiß ich genau, was ich im kommenden Frühjahr machen werde: Nämlich mit meinen Kolleginnen und Kollegen die 10.000 Patienten mit Long Covid aus der aktuellen vierten Infektionswelle betreuen", so der Mediziner.

Positiv sei, dass die Rehabilitation sehr gut wirkt. "Die Erfolgsquote ist sehr hoch: Nur fünf Prozent der Betroffenen bleiben nach den ersten sechs Wochen Rehabilitation so krank, dass sie nicht arbeiten gehen können", sagte Zwick. Auch wisse er von keinem Fall von Kindern unter zwölf Jahren. "Es betrifft aber zunehmend jüngere Menschen, darunter viele Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren, die dadurch aus der Schule gerissen werden", sagte er.

Betroffenen rät er, zum Hausarzt zu gehen. Dieser kenne seine Patienten und könne, anhand der erarbeiteten Leitlinien für Long Covid, am besten feststellen, was die vordergründigen Probleme seien. Je nach Bedarf könne er sie zu Herz- und Lungenspezialisten, Neurologen oder direkt in eine Rehaklinik schicken. (APA, kru, elas, 1.12.2021)