Zu den bemerkenswertesten Funden in der Anthropologie zählen die Fußspuren von Laetoli im Norden Tansanias. Hier haben es Fachleute zur Abwechslung nicht mit Knochen zu tun, die nur eingeschränkt Hinweise auf das Verhalten liefern. Auch das eigentliche Aussehen unserer Vorfahren aus der Urzeit, das vor allem von Haaren und dem Weichteilgewebe rund um das Skelett bestimmt ist, lässt sich normalerweise schlecht rekonstruieren.
In Tansania aber können sich Fachleute dank der 3,6 Millionen Jahre alten Abdrücke im Boden immerhin von den Füßen der Urmenschen ein gutes Bild machen. Zumindest von jenen, die damals über die Vulkanasche gingen und der Spezies Australopithecus afarensis zugeordnet werden. Zahn- und Skelettfunde vor Ort ergänzten die Zuordnung.
Damit war definitiv bewiesen: Schon damals gingen Frühmenschen aufrecht auf zwei Beinen, und das ähnlich gut wie wir heute, wie sich später herausstellte. Am Anfang waren es die Spuren von zwei bis drei menschenartigen Individuen, die über 20 Meter hinweg nebeneinander hergingen. Manche Fährten ließen sich noch nicht eindeutig zuordnen, etliche stammten auch von diversen Tieren wie Straußenvögeln, Hyänen und Giraffen.
Gegen die Bärenthese
Mit der Zeit fanden Forschende heraus, dass die Gruppe der vorbeigehenden Australopithecinen größer war als ursprünglich angenommen: In der Nähe stieß man auf 13 weitere Fußabdrücke, die zu zwei zusätzlichen Individuen gehört haben dürften. Eines davon war merklich größer, ein Forscher vermutete daraufhin sogar, dass in Laetoli ein Mann mit seinem Harem unterwegs war.
Nun wurden einige fossile Fußspuren neu bewertet, wie eine Studie im Fachmagazin "Nature" zeigt. Ein internationales Forschungsteam um die Anthropologin Ellison McNutt vom Ohio University Heritage College of Medicine in den USA grub 2019 ein umstrittenes Spurenmuster von ungewöhnlicher Form erneut aus. Zuvor hatten Fachleute angenommen, dass es sich dabei um Abdrücke eines Bären handelte, der auf seinen Hinterbeinen ging. Skeptische Gegenstimmen äußerten bereits die Vermutung, das Muster könnte ebenfalls von einem weiteren vormenschlichen Individuum stammen.
Kreuzgang
Um diese Frage zu beantworten, gingen McNutt und ihre Forschungsgruppe pragmatisch an die Sache heran: Sie verglichen die Spuren mit Abdrücken, die Bären, Schimpansen und Menschen hinterlassen. Ihren Analyseergebnissen zufolge ähneln die Fußspuren eher Menschen als Bären. Außerdem seien unter den tausenden Tierfossilien, die in Laetoli aufgespürt wurden, bisher keine Bärenknochen gewesen – das spricht also gegen die Idee des vorbeispazierenden Bären. Und zumindest, wenn man sich das Verhalten des Amerikanischen Schwarzbären ansehe, sei der Gang auf zwei Beinen als höchst selten zu betrachten, wie Videoanalysen zeigen.
Dennoch unterscheiden sich die Fußspuren merklich von jenen, die bisher den Australopithecinen zugeschrieben wurden – in Aussehen und Proportionen, aber auch in der Art des Ganges: Das Individuum ging überkreuzt, setzte also den rechten Fuß vorne links vor dem linken Fuß ab.
Kind, Verletzter oder eine andere Spezies?
Womöglich war es ein Kind, das für die eigenartigen Fußabdrücke sorgte. Es könnte sich aber auch um eine menschenähnliche Spezies gehandelt haben, die etwas ursprünglicher aussah als ein Australopithecus, vermutet die Forschungsgruppe. Die Spur könnte also ein Hinweis darauf sein, dass mehrere verwandte Arten zu dieser Zeit und an diesem Ort koexistierten – ein paläontologischer Befund, der extrem selten ist.
Weshalb kam man überhaupt auf die Idee, dass es sich gerade um Bärenspuren handeln könnte? Stephanie Melillo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig gibt in einem begleitenden Kommentar die Antwort: Die These des Bären als Verursacher kommt ohne den überkreuzten Gang aus. Wenn sie nicht von einem Bären mit seiner etwas eigenen Fußform stammen, wie die Studie überzeugend zeige, handelt es sich also wahrscheinlich um einen Vormenschen – was wiederum das Mysterium der überkreuzten Gangart aufwirft, schreibt die Forscherin. Womöglich war das Individuum verletzt oder stolperte, fragt sich Melillo: "Die Anzahl der möglichen Szenarien ist nur durch unsere Vorstellungskraft begrenzt." (Julia Sica, 1.12.2021)