Epidemiologe Anders Tegnell ist das Gesicht des "schwedischen Wegs" in der Corona-Pandemie.

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Geradezu mystische Erzählungen rankten sich vor nicht allzu langer Zeit um den sogenannten "schwedischen Weg", der das nordeuropäische EU-Land mit seinen laxen Corona-Schutzmaßnahmen stark vom Rest des Kontinents abhob. Während andernorts reihum Lockdowns verhängt und Masken obligatorisch wurden, setzte die Regierung in Stockholm auf bloße Empfehlungen und appellierte an die Vernunft der Bürgerinnen und Bürger.

Von den einen wird seither der Stockholmer "Staatsepidemiologe" Anders Tegnell für seinen pragmatischen Kurs gefeiert, von den anderen wurde Schweden schon früh als Beispiel eines Landes auserkoren, das sich nicht um seine vulnerablen Einwohnerinnen und Einwohner sorgt. Fest steht, dass Schwedens Umgang mit dem Virus bis heute aufregt.

Regeln sanft verschärft

Nun, wo die vierte Welle über Europa fegt und die zuerst in Südafrika festgestellte Virusvariante Omikron für noch mehr Unsicherheit sorgt, übt man sich im hohen Norden Europas einmal mehr in Gelassenheit. Die Regeln müssten nicht grundlegend überdacht werden, sagte Tegnell bei einer Pressekonferenz in Stockholm am Dienstag: Sie hätten sich schließlich bisher schon bewährt, und die Krankheit habe sich ja, Omikron hin oder her, nicht verändert.

Gleichwohl: 15.000 Menschen sind bisher an oder mit Sars-CoV-2 gestorben. Damit liegt Schweden zwar etwa im EU-Durchschnitt, weist aber weit höhere Raten auf als die nordischen Nachbarländer.

Jüngst hat aber Schweden, wo aktuell 41 Menschen wegen einer Covid-Erkrankung auf Intensivstationen liegen (Österreich Stand Mittwoch: 648) und die 7-Tage-Inzidenz bei aktuell 121 (Österreich Stand Mittwoch: 854) liegt, doch ein wenig an den Schrauben gedreht: Seit 1. Dezember müssen bei Sport- und Kulturveranstaltungen mit mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Innenräumen Impfpässe kontrolliert werden. Wer den Impfstatus seiner Gäste nicht kontrollieren kann oder will, muss alternativ Plätze zuweisen und einen Mindestabstand von einem Meter zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bewerkstelligen.

Business as usual

Epidemiologe Tegnell rechnet – schon wegen Omikron – mit steigenden Infektionszahlen in den kommenden Wochen, wohl auch deshalb, weil erst seit November wieder Verdachtsfälle auf Covid getestet werden, die Symptome aufweisen. In den Restaurants, Clubs und Bars des Landes herrscht trotz der fast überall sonst so angespannten Lage business as usual: Weder 3G noch 2G ist im normalen Gastrobetrieb ein Thema.

Dies sei auch nicht nötig, meint Tegnell, schließlich seien fast 80 Prozent der Menschen über zwölf Jahren doppelt geimpft. Ob dies nicht doch auch vor Omikron schützt, müsse erst geklärt werden.

Einen einfacheren Grund, warum auch die vierte Welle zwischen Kiruna und Trelleborg bisher nicht zu einem Lockdown geführt hat, sehen Beobachter auch in der hohen Zahl jener Schwedinnen und Schweden, die sich bereits in den vorherigen Wellen mit dem Virus infiziert haben. Fast 1,2 Millionen Menschen gelten dort mittlerweile belegtermaßen als genesen. In Österreich sind es offiziell 993.000.

Geringe Bevölkerungsdichte

Und auch die geringe Besiedelungsdichte des weiten Landes abseits der Großstädte gilt, was die Bekämpfung der Pandemie betrifft, als vorteilhaft: Knapp 25 Einwohnerinnen und Einwohner leben dort pro Quadratkilometer, in Österreich ist die Bevölkerungsdichte etwa viermal so hoch. Nur Finnland ist in der EU noch spärlicher besiedelt als Schweden.

Und doch glaubt auch der sonst so optimistische Staatsepidemiologe Tegnell nicht, dass Schweden gänzlich ungeschoren durch die vierte Welle kommt: Schon bisher habe sich gezeigt, dass das Land im hohen Norden immer gute fünf bis sechs Wochen hinter Kontinentaleuropa zurückliegt, was die Ausbreitung des Virus betrifft. (flon, 3.12.2021)