Auch die aktuellen Ausgabe des "Landwirtschaftssimulator" kann wieder mit großen Geräten auftrumpfen.

Foto: Giants Software

Mist, schon wieder ist es ein Uhr morgens. Und zwar nicht im Spiel, sondern im echten Leben. Nun sollte ich mich wirklich schlafen legen, denn morgen gibt es wieder viel zu tun: Im Daytime-Job Interviews führen und Artikel schreiben – und danach wieder ab auf die Farm: Säen, düngen, ernten, die Produktionsflüsse im Auge behalten, die Arbeiter beaufsichtigen, neue Maschinen anschaffen, die Hirse zum Händler fahren.

Farming Simulator

Habe ich den Bezug zur Realität verloren, während ich stundenlang den Landwirtschaftssimulator 22 getestet habe? Ja, mag sein, ein wenig schon. Aber ich bin mit meinem Faible nicht alleine: Seit seinem Release rangierte das Spiel zeitweise auf dem ersten Platz der meistgespielten Spiele auf der Plattform Steam, noch vor Blockbustern wie Battlefield 2042 oder Age of Empires 4. Und das Schweizer Unternehmen Giants Software – Entwickler und Publisher in Personalunion – verkündete eine Woche nach dem Release stolz, dass sich das Spiel bereits 1,5 Millionen Mal verkauft habe. Das entspricht knapp der Einwohnerzahl Wiens.

Im STANDARD-Test wird nach einigen Anlaufschwierigkeiten klar, was den Reiz des Landwirtschafssimulators ausmacht: Er bietet eine Alternative zur deprimierenden Realität, indem man auf insgesamt drei riesigen Open-World-Karten – eine in den USA, eine in Frankreich, eine in Deutschland – beschäftigt, aber nicht überfordert wird. Und in der es Kornspeicher statt Coronaviren gibt.

Aller Anfang ist schwer

Dass der Landwirtschaftssimulator 22 anders ist als ein plumper Shooter, merkt man schon bei der Einführung. Denn während man bei anderen Games mit Tutorials innerhalb weniger Minuten in die wichtigsten Funktionen des Spiels eingeführt wird, sind diese Einführungslektionen beim Landwirtschaftssimulator 22 eher weniger gelungen: Zwar erfährt man am Anfang, wie man ein Feld erntet und ein geerntetes Feld mit einem Grubber für die nächste Saat vorbereitet – wenn man aber wie die meisten Gamer an Aufmerksamkeitsstörungen leidet und nicht jede Aufgabe Schritt für Schritt befolgt, lässt sich das Tutorial nicht vernünftig fortsetzen. Das ist sowohl in der Playstation 5- als auch in der PC-Version mehrmals passiert.

Ist aber auch nicht schlimm. Denn ein Tutorial würde dem Spiel, in dem man sich immerhin in einen äußerst komplexen Berufsstand einarbeiten sollte, ohnehin nicht gerecht. Stattdessen gibt es im Hilfemenü diverse Anleitungen in Schriftform sowie im Web eine "Farming Simulator Academy"... ja, richtig gelesen: Eine Online-Akademie, in der man in zahlreichen Lektionen mit dem Spiel vertraut gemacht wird.

Farming Simulator

Wer hier noch immer keine Lösung findet – wie zum Teufel versorge ich meine Gewächshäuser mit Wasser? –, der wird in zahlreichen Youtube-Videos und Foreneinträgen fündig. Die Community diskutiert hier eifrig, mit welchen Maschinen und Strategien der beste Ertrag erzielt werden kann.

Das alles ändert allerdings nichts daran, dass man zu Beginn des Spiels ein wenig planlos auf dem eigenen Hof steht. Man lernt, dass die aus der Ich-Perspektive gesteuerte Spielfigur wie in einem Shooterspiel gehen, springen und sich ducken kann. Man versteht, dass man in Traktoren steigen und diese fahren kann. Doch was als nächstes? Erst mit ein wenig Einlesen und Experimentieren merkt man zum Beispiel, dass einer der ersten Wege im Spiel zum Händler führen sollte, um sich noch fehlende Geräte zu kaufen. Und auch das Menü zum Errichten neuer Gebäude ist auf dem PC nur über den besagten Händler oder eine versteckte Tastenkombination möglich, auf der Playstation 5 fehlt die Tastenkombination-Option offenbar komplett. Oder ich habe sie nicht gefunden.

Multiplayer: Unser gemeinsamer Bauernhof

Die Planlosigkeit macht mehr Freude, wenn man sie gemeinsam erlebt. Und das trifft sich gut, denn der Landwirtschaftssimulator 22 beinhaltet neben dem "Karriere"-Modus für Einzelspieler auch einen Multiplayermodus. Hier kann man entweder einem bestehenden Spiel beitreten oder ein eigenes Spiel eröffnen, das man entweder per Passwort absichert oder für fremde Hobbyfarmer in aller Welt öffnet.

Gemeinsam mit einem Kollegen gründete ich den Hof "Max, Stefan & Söhne", den wir an einem Abend gemeinsam bewirtschaften wollten. Dies scheitert anfangs jedoch an diversen Verbindungsproblemen, unter anderem wurde wir auf der ursprünglich anvisierten USA-Karte regelmäßig aus dem Spiel geworfen und mussten neu anfangen. In Frankreich konnten wir uns dann aber niederlassen.

Ein Bauernleben voller Rückschläge

Recht bald schlugen wir den Weg zum Händler ein, um – unter Zuhilfenahme der zahlreichen Ratgeber, die wir uns gegenseitig geduldig vorlasen – die perfekten Maschinen zur Errichtung unseres Familienimperiums zu erwerben. Doch wie gewonnen, so zerronnen: Als mein Co-Founder einen Anhänger an seinen Traktor kuppeln wollte, rammte er versehentlich unseren pinken Pickup-Truck, den ich hinter ihm abgestellt hatte, worauf dieser sich überschlug und kopfüber liegen blieb. Das wäre per se kein Problem, weil wir daraufhin einen Gabelstapler kauften, um den Truck wieder auf die richtige Seite zu drehen – nur fuhr der Kollege anschließend den Wagen in einen Bach, weil er von der pittoresken französischen Landschaft abgelenkt war.

Beim Händler gibt es eine breite Auswahl an Traktoren und anderen Gerätschaften.
Foto: Giants Software

Neuer Tag, neues Glück. Wir legten uns ins Bett und stellten den Wecker auf 5 Uhr morgens – denn immerhin fängt der frühe Vogel den Wurm, richtig? Leider hatten wir bei diesem Plan nicht mit bedacht, dass es zu dieser Zeit noch dunkel ist, obwohl wir schon das Feld ernten wollten. Das lösten wir, indem der Kollege den Mähdrescher über die Felder krachen ließ, während ich ihm mit einer Taschenlampe den Weg leuchtete. Belohnt wurden wir für die Mühen mit einem wunderschönen Sonnenaufgang.

Später verstreuten wir versehentlich unser gesamtes Saatgut im Innenhof und konnten es nur mit einem Frontlader wieder aufklauben. Wieder an anderen Stellen freuten wir uns schlichtweg über das immersive Gefühl des Traktorfahrens.

Bugs, Bugs, Bugs

Diese Multiplayer-Erfahrung zeigt, wie viel Freude es bereiten kann, für einen Abend gemeinsam in das Landwirtleben einzutauchen. Der Landwirtschaftssimulator 22 ist nach ersten Anfangsschwierigkeiten leicht zu erlernen und bietet an jeder Ecke neue Dinge, mit denen man sich beschäftigen kann – das Meistern des Spiels erfordert allerdings noch deutlich mehr Spielzeit. Bevor wir aber dazu kommen, müssen wir unsere Lobhudelei kurz unterbrechen, um über ein paar technische Unsauberkeiten und Bugs zu sprechen, die das Spiel leider mit sich bringt.

Zu Beginn des Spiels ist man ein wenig orientierungslos.
Foto: Der Standard/Stefan Mey

So sind die Landschaften zwar liebevoll gestaltet, ihr Erscheinungsbild ändert sich je nach Tages- und Jahreszeit. Aber an den Details hapert es leider vielerorts. Etwa bei den Animationen: So wirbeln Lenkräder beim Fahren in der Ich-Perspektive scheinbar unkontrolliert hin und her, im Third-Person-View sind die Hinterräder teils unrealistisch animiert.

Es ist im Multiplayermodus nicht möglich, gemeinsam in einem Auto zu fahren: Setzte ich mich etwa auf die Ablagefläche eines Pickups, so fuhr dieser unter meinem digitalen Hintern davon und ließ mich zurück. Auch kann man von den Nichtspielercharakteren nicht überfahren werden, man kann selbst keine Fußgänger niederfahren – generell wirken die Nicht-Spieler-Charaktere so, als seien sie gänzlich ohne Interaktionsmöglichkeit ins Spiel integriert worden: Egal was man tut, sie gehen plump ihren Alltagstätigkeiten (meistens: ziellos in der Gegend herumirren) nach. Das ist schade, denn etwas mehr Engagement an dieser Stelle hätte den großen, schönen Welten mehr Leben eingehaucht.

Lernen, lernen, lernen

Zurück zum eigentlichen Sinn des Spiels: Der Versuch, von der eigenen Couch aus den Berufsstand des Landwirts besser zu verstehen. Und hier gibt es wirklich, wirklich viel zu beachten. Dazu zählt etwa den Kalender, in dem genau festgehalten ist, in welchen Monaten gewisse Feldfrüchte angebaut und anschließend geerntet werden können.

Der Kalender bestimmt, wann gesät und geerntet wird.
Foto: GIANTS Software

Neben den Anbau- und Erntezeiten variiert freilich auch das Wetter mit der jeweiligen Jahreszeit, so muss im Winter zum Beispiel Schnee geschaufelt werden. Wer sich – so wie ich – im Herbst Bienenstöcke zulegt, der begeht einen Fehler, denn in der kalten Jahreszeit sind die kleinen Freunde nicht aktiv. Stattdessen ist es zu dieser Zeit ratsam, auf Gewächshäuser zu setzen, die wiederum in ein funktionierendes Wirtschaftssystem integriert werden müssen. Ach, und a propos Wirtschaft: Wer clever ist, der verkauft seinen im Sommer geernteten Weizen nicht sofort, sondern lagert ihn ein paar Monate in einem Silo – um ihn dann im Winter teurer zu verkaufen.

Das Feld zu grubbern ist eines der Kernelemente des Spiels.
Foto: Der Standard/Stefan Mey

Überhaupt ist die Frage, was mit den Ernteerträgen gemacht wird. Denn diese können entweder einfach weiter verkauft, oder in Gebäuden weiter verarbeitet werden. So wird etwa in der Getreidemühle das Getreide gemahlen, aus dem Mehl anschließend Brot gebacken, das schließlich im eigenen Restaurant verkauft werden kann. Ähnliche Produktionsprozesse gibt es mit zahlreichen Produkten, neben Brot etwa auch mit Wein, Pizza und Kuchen.

Die Produktionsgebäude müssen dabei mit Geld gekauft werden, das mit ehrlicher digitaler Feldarbeit generiert wird. Das Gleiche gilt für die (nicht selten etwas inkompetenten) Arbeitskräfte, die man beschäftigen kann. Und für die zahlreichen unterschiedlichen Maschinen, die man kaufen muss. Es sei an dieser Stelle explizit darauf hingewiesen, dass es kein Pay-to-Win-Konzept gibt.

Spaß, Spaß, Spaß

Neben der ganze Lernerei sorgt der Landwirtschaftssimulator 22 aber auch ordentlich für Spaß und Entspannung. Spaß deshalb, weil man sich als agrartechnisch ungebildeter Stadtmensch immer erneut freut, wenn man ein Problem gelöst hat – und auch herzlich über sich selbst lachen kann, wenn ein Projekt wieder glorreich in den Sand gesetzt wurde.

Grubbern in der Herbstlandschaft: Mehr Entspannung geht nicht.
Foto: Der Standard/Stefan Mey

Entspannend ist das Spiel wiederum, weil es im Endeffekt kaum Stress verursacht und durch oft etwas eintönige Tätigkeiten Ruhe in den sonst so hektischen (realen) Alltag bringt. Ich habe teils Stunden damit verbracht, Felder zu grubbern, zu säen und Unkraut zu entfernen. Besonders schön ist dies, wenn es im Licht der digitalen Abendsonne geschieht.

Und außerdem sei noch erwähnt, dass das Spiel offiziell für das Gaming-Lenkrad Thrustmaster T248 lizenziert ist, welches ein Kollege zuletzt getestet und mir anschließend für mein digitales Landleben geborgt hat. Wer hier knapp 350 Euro in die Hand nimmt, der erlebt ein weiteres Stück Immersion, indem er die Traktoren aus der Ich-Perspektive durch die Landschaft fahren lässt. Dann noch einen Country-Radiosender einschalten, und die Welt ist wieder in Ordnung.

Fazit: Das richtige Spiel zur richtigen Zeit

Ich möchte an dieser Stelle nichts vortäuschen: Trotz der zahlreichen mit dem Spiel verbrachten Abende habe ich wohl nur an der Oberfläche von all dem gekratzt, das man auf dem virtuellen Bauernhof erleben kann. Denn neben klassischem Getreide können etwa auch Wein oder Baumwolle angebaut werden, die wiederum ihre eigenen Spezifika ausweisen. Man kann sich der Forstwirtschaft widmen, man kann Nutztiere halten – allzu langweilig wird einem bei diesem Spiel also nicht.

Und während des Spielens erlernt man Dinge, von denen man vorher nicht wusste, dass man sie wissen wollte. Etwa, was ein Grubber ist. Wie man Unkraut richtig entfernt. Und warum ein Frontlader etwas anderes ist als ein Bagger. Dieses Wissen macht sich wiederum bestens als Gesprächsthema, wenn man bei der Verwandtschaft das nächste Mal zu Kaffee und Kuchen eingeladen ist – probieren Sie das Gleiche mal mit einem Shooter: Ich verspreche Ihnen, dass Sie sich mit der Aussage "Weizen erzielt im Winter einen höheren Ertrag als im Sommer, Tante Hilda" mehr Freunde machen als mit "Wookie-Waffen sind nämlich unblockbar, Onkel Herbert".

Zu guter Letzt sei noch gesagt, dass ein Spiel wie dieses genau zur richtigen Zeit kommt. Denn seien wir uns ehrlich: Extremismus, Pandemie, ökonomische Unsicherheit – unser Leben kann derzeit manchmal ganz schön beschissen sein. Der Landwirtschaftssimulator 22 ist ein wundervoller Weg, diesem Stress und den Angstzuständen zu entfliehen, um stattdessen seelenruhig das eigene Weizenfeld zu beackern. Und das ist an langen Lockdown-Abenden manchmal einfach die beste Abendbeschäftigung, die es gibt. (Stefan Mey, 4.12.2021)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Das Spiel wurde vom Distributor Astragon Entertainment zu Testzwecken zur Verfügjung gestellt.