Eine Handvoll Figuren, die sich aus Abhängigkeiten (und von belastenden Autos) befreien wollen: "Beasts Clawing at Straws" von Kim Yong-hoon sieht zu, wie sie daran scheitern.

Mubi

Wenn man die Populärkultur aus Südkorea tatsächlich mit dem Bild einer Welle fassen will, dann kann man mittlerweile getrost von einem Tsunami sprechen. "Hallyu", die koreanische Welle, hat inzwischen bereits fast alle Kultursparten umspült, zuletzt drehte sich der Hype um TV-Serien wie Squid Game oder Hellbound. Was man dabei gerne übersieht, ist die über Jahrzehnte geleistete Aufbauarbeit, die zumindest im Filmbereich sehr strategisch ausgerichtet war.

International Film Festival Rotterdam

Denn schon seit den späten 1980er-Jahren hat das kleine asiatische Land in eine eigenständige Produktionslandschaft investiert, die sich bald als flexibel erwies. Der K-Blockbuster wurde mit seinem Sinn für gewieftes Erzählen zu einer Trademark. Mit dem 1996 gegründeten Filmfestival von Busan verfügt man inzwischen auch über einen der wichtigsten Hubs in Asien. Wer globalen Erfolg will, lernt man daraus, der muss zuerst regional reüssieren: Vom Marktanteil koreanischer Filme, der bis zu 50 Prozent erreicht, kann selbst eine Filmnation wie Frankreich nur träumen.

Spätestens seit den Oscars für Parasite von Bong Joon-ho ist die Idee eines Unterhaltungskinos, in dem sich originelle Zugänge, Gesellschaftskritik und inszenatorische Raffinesse nicht ausschließen, auch im Westen angekommen. Dass im Schatten von "Hallyuwood" auch ein vielseitiges, kleiner budgetiertes Autorenkino gedeiht, zeigt gerade eine Reihe bei Mubi: Der Schwerpunkt liegt auf Nachwuchsregisseuren, die sich am postklassischen Genrekino genauso versuchen wie an der Beziehungsstudie, die "cringey" Momente zwischen Generationen erforscht.

Satire auf menschliche Gier

Neu im Onlinesortiment ist Beasts Clawing at Straws von Kim Yong-hoon, an dessen verschachtelter Erzählweise man den Einfluss von Quentin Tarantino erkennen mag, es fehlt aber auch nicht an schwarzem Humor, wie man ihn von koreanischen Filmemachern wie Park Chan-wook (Old Boy) kennt. Die Antriebsfeder der Handlung liefert wie so oft ein Haufen Geld, das sich in diesem Fall in einer handlichen Louis-Vuitton-Tasche verbirgt. Die wiederum wird zu Beginn des Films in einem Männerbad abgelegt, in Wahrheit hat sie aber zu diesem Zeitpunkt schon mehrfach gewaltvoll den Besitzer gewechselt. Auch für den nächsten Finder erweist sie sich mitnichten als Ticket zum Glück.

Beasts Clawing at Straws hegt insgesamt nicht viel Sympathie für seine Figuren. Ein verzagter Saunaangestellter, ein verschuldeter Zollbeamter und eine Prostituierte mit toxischem Ehemann, sie alle sind in Abhängigkeitsverhältnissen gefangen, aus denen nur extreme Schritte herausführen. Menschliche Gier und Freiheitsstreben ergeben eine fatale Mischung, die Kim mit satirischer Note auskostet. Man kann seinen stilisierten Thriller aber auch als Beleg für das reiche Darstellerensemble in Südkorea betrachten, ist er doch bis in die kleinste Nebenrolle mit schrillen Typen (u. a. Youn Yuh-jung, die Großmutter aus Minari) exzellent besetzt.

Zigaretten und Whiskey

Einen wärmeren, romantisierenderen Blick leistet sich Jeong Go-woon in ihrem Debüt, dabei erzählt Microhabitat wie gegenwärtig viele koreanische Filme von Leistungsdruck und wachsender Prekarität. Das knapp kalkulierte Haushaltsbudget der jungen Miso gerät durch die Inflation völlig aus dem Ruder. Was tun? Da sie auf Zigaretten und Whiskey weniger leicht verzichten kann als auf ein eigenes Dach über dem Kopf, beschließt sie, ein nomadenhaftes Leben zu führen. Nacheinander schlüpft sie bei ihren jeweiligen Bandmitgliedern aus Studienzeiten unter und entdeckt, dass ihre vergleichsweise karge Existenz weniger Unglück akkumuliert als die Entwürfe der anderen. Die leicht märchenhafte Tonalität des Films wird von der Regisseurin mit einem guten Gespür für die komische Seite manchen Familienmodells konterkariert.

Weiter weg vom Arthouse-Segment führt The First Lap von Kim Dae-hwan, der 2017 in Locarno ausgezeichnet wurde. Es geht um ein junges Paar, das sich vielleicht nicht mit genug Leidenschaft liebt. Zwei Autofahrten zu den jeweiligen Eltern, am Stadtrand und in einer Provinz, bringen keine Klarheit, aber immerhin die Einsicht, dass man weder den bürgerlichen Popanz der einen noch die zerrüttete Ehe der anderen will. The First Lap ist ein realistisch erzählter Film, der sich die Zeit nimmt, Szenen auch bis zu jenen Momenten durchzuhalten, in denen sich Gefühle verfestigen oder wieder zerschlagen. (Dominik Kamalzadeh, 2.12.2021)