Das Protestcamp gegen den Lobautunnel kann bald abgetragen werden. Jene in Aspern und Hirschstetten gegen die Stadtstraße quer durch die Donaustadt noch nicht.

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Wien – Auf der Hitliste der unrentablen Autobahnprojekte der Asfinag stand die S1 samt Lobautunnel im Jahr 2007 nicht. Die 25.000 Fahrzeuge täglich, die mindestens fahren müssten, um eine Autobahn zu legitimieren, sind auf der nun gestoppten Donauquerung allerdings fraglich.

Das ist bei der versprochenen Verkehrsentlastung auf der Südosttangente (A23) auch so. Diesbezüglich wird die vom Verkehrsministerium nun gestoppte Nordostumfahrung (S1) mit ihrem Herzstück, dem Lobautunnel unter Donau und Nationalpark, überschätzt.

Wiener Nordostumfahrung im Überblick

Nicht nur wird das stetig steigende Gesamtverkehrsaufkommen auf der ständig überlasteten Stadtautobahn nicht nachhaltig eingebremst. Auch beim Schwerverkehr verspricht eine Schnellstraße ins nördliche Niederösterreich mehr, als sie zu halten vermag.

Das erschließt sich aus jenen Verkehrsprognosen, die die Asfinag der Umweltverträglichkeitsprüfung zugrunde legte. Laut diesen Verkehrssimulationen scheint der Lobautunnel mit 4900 bis 5100 Lkws täglich geradezu unterausgelastet. Dies gilt im Planfall M13, also der Maximalvariante, die den Bau der Halbanschlussstelle Raasdorf, die Verbreiterung der Flughafenautobahn (A4) auf sechs Fahrspuren plus die derzeit noch nicht genehmigte S8 Marchfeld Schnellstraße sowie die uneingeschränkte Verfügbarkeit der A23 voraussetzt.

Selbst im abgespeckten Planfall M1 HR, also mit Raasdorf, aber ohne Ausbau von A4 und S8, wäre die Tunnelauslastung nicht höher. Die Frequenz auf der A23 hingegen würde in beiden Fällen kaum verringert. Im Gegenteil, auf der Praterbrücke, einem der neuralgischen Punkte, erhöhte sich das Lkw-Aufkommen im werktäglichen Verkehr bis 2025 gegenüber dem Bestand 2005 von 18.200 auf 26.500 Lkws beziehungsweise 27.500.

Lobautunnel unterausgelastet

Zum Vergleich: Bliebe alles wie bisher, errechneten die Verkehrsplaner einen Anstieg des Schwerverkehrs auf der A23 von 18.200 auf 26.200 Lastkraftwagen.

Zehn Jahre später, also 2035, wäre nicht viel gewonnen: Der Lobautunnel würde von 5400 bis 5600 Lkws frequentiert, während die Südosttangente eine Zunahme an Lkws auf 29.200 bzw. 31.100 erführe. Profitieren hingegen sollten rechnerisch Esslinger Haupt- und Breitenleer Straße: Auf beiden Landesstraßen würde das Lkw-Aufkommen bis 2035 zumindest halbiert oder sogar um zwei Drittel gesenkt, ergab eine Auswertung der im UVP-Verfahren angegebenen Verkehrszahlen durch die Umweltorganisation Virus.

Über die rechtlichen Konsequenzen des nun verkündeten Tunnelstopps gehen die Meinungen auseinander. In dem von der Wirtschaftskammer beauftragten Rechtsgutachten "Zur (un-)Zulässigkeit von Weisungen an den Vorstand der Asfinag" vom Juli sehen die Experten der Sozietät KWR Karasek Wietrzyk die ministeriellen Pläne als unzulässigen Eingriff ins operative Geschäft. Allerdings verfügt die Asfinag ohne den vom Staat zugewiesenen Fruchtgenuss aus Autobahnen und Schnellstraßen und den Mauteinnahmen nicht über die notwendigen Mittel für Bau und Erhaltung des Autobahnnetzes. Deshalb halten namhafte Gesellschaftsrechtsexperten Änderungen der Bauaufträge für zulässig, zumal die Republik für die Milliardenschulden haftet.

Koalitionszwist programmiert

Um den Bau von Autobahnen zu stoppen, sei das Bundesstraßengesetz zu ändern, in dem diverse Autobahnprojekte aufgelistet sind, sagen andere juristische Auskenner. Das verneint man im Ministerium. Eine frühere Genehmigung sage nichts darüber aus, ob das Projekt jetzt noch sinnvoll sei. Auch nach der Finanzkrise seien Projekte gestrichen, hintangestellt worden. Ein Koalitionsstreit scheint programmiert. Denn Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) hat bereits darauf hingewiesen, dass Änderungen im Bauprogramm der Asfinag Einvernehmen zwischen den Koalitionspartnern erfordere.

Ob Wien und Niederösterreich zivilrechtliche Klagen einbringen, weil das Verkehrsministerium nicht paktfähig sei, hängt wohl von den Alternativen ab, die entwickelt werden – und der finanziellen Beteiligung des Bundes an selbigen. (Luise Ungerboeck, 2.12.2021)