Das Urumqi No. 3 Detention Center in Dabancheng, Xinjiang – von Peking als "Ausbildungszentrum" tituliert.

Foto: Mark Schiefelbein

Wie viel weiß Xi Xinping über die Umerziehungslager und Menschenrechtsgräuel in Xinjiang? Und was hat der chinesische Staatschef direkt davon zu verantworten? Wohl vieles – zu diesem Schluss kamen und kommen eigentlich sämtliche internationale Experten, die sich mit den Menschenrechtsverbrechen in der nordwestchinesischen Provinz beschäftigen. Sicher war das aber bisher nicht, nur sehr wahrscheinlich.

Nun hat der deutsche Menschenrechtsaktivist Adrian Zenz neue Dokumente ausgewertet und vorgestellt, die belegen sollen, dass die an 1,5 Millionen Uiguren begangenen Gräuel von oberster Stelle in Peking geplant und angeordnet waren.

Demnach haben Präsident Xi und Premier Li Keqiang die Einrichtung von Lagern, Zwangsarbeit und Zwangssterilisierungen direkt und wissentlich angeordnet. Bisher konnte man davon ausgehen, dass die oberste Führung in Peking vielleicht nicht von den Details der Menschenrechtsverbrechen Kenntnis hatte. Die Dokumente waren ursprünglich 2019 als Teil der Xinjiang Papers der New York Times zugespielt worden, aber in dieser Form nie veröffentlicht worden. Sie stammen aus den Jahren 2014 bis 2018. Es geht um elf Dokumente mit mehr als 300 Seiten.

"Ausbildungszentren"

Peking hatte zunächst die Existenz von Lagern geleugnet und später von "Ausbildungszentren" gesprochen. So wolle man sicherstellen, dass die "rückständige und zu religiösem Extremismus neigende" Minderheit sich besser nach den Vorstellungen der kommunistischen Partei Chinas entwickle.

Dafür hatte man 2014 begonnen, ein gewaltiges Lagersystem zu errichten. Rund 1,5 Millionen Menschen wurden dort für mehrere Monate inhaftiert. Überlebende sprechen von Folter, Gehirnwäsche, Vergewaltigungen und Zwangssterilisierungen.

Wer die Hölle überlebt, findet sich in einem gigantischen Freiluftgefängnis wieder. Kameras mit Gesichtsüberwachung melden den Behörden jeden Schritt und schlagen sofort Alarm, wenn Verhalten und Bewegungsdaten "verdächtige Muster" zeigen. Den wenigsten Überlebenden gelingt die Ausreise. Wer dennoch eine Genehmigung erhält, wird bedroht, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen.

Auch deswegen ist die Arbeit des nun zum dritten Mal in diesem Jahr stattfindenden Uiguren-Tribunals so wichtig: Es sammelt Zeugenaussagen ehemaliger Lagerinsassen, während gleichzeitig Experten das Geschehen mit Fakten untermauern. Erstmalig fand es im April dieses Jahres in London statt.

Die nun veröffentlichen Dokumente belegen, dass auch Xi Jinping persönlich von einer "Bevölkerungsoptimierung" sprach. Durch die Sterilisierung von uigurischen Frauen sollte der Anteil der Han-chinesischen Bevölkerung erhöht werden. Seit Jahrzehnten versucht Peking, Han-Chinesen in der Region anzusiedeln, um so die Provinz besser kontrollieren zu können.

Digitale Dystopie

Eine wichtige Rolle spielt dabei KP-Sekretär Chen Quanguo, der seine Methoden der radikalen Unterdrückung und Überwachung zuvor in Tibet erprobt hatte. 2014 wurde er von Xi nach Xinjiang berufen, um dort eine digitale Dystopie zu errichten, die die kulturelle Identität der Uiguren auslöschen sollte. Die nun geleakten Dokumente zitieren eine Rede Chens von 2017, in der er sich direkt auf Anordnungen Xis bezieht.

Xi wiederum hatte 2014 selbst die autonome Region besucht. Ihn soll damals die immer noch starke eigene Identität des muslimischen Turk-Volks schockiert haben. Xi sprach deshalb davon, dass die Bevölkerungszusammensetzung wichtig für die nachhaltige Entwicklung und den Frieden in der Provinz sei. Auch von einer Bestrafung der Uiguren ist die Rede. Aufgrund der Diskriminierung der Uiguren in ihrer Heimat ist es immer wieder zu Aufständen gekommen.

Die chinesische Regierung versucht seit Jahren, Adrian Zenz und die Arbeit des Uiguren-Tribunals zu verunglimpfen. Auch dieses Mal ließ das chinesische Außenministerium verlauten: "Egal was diese Anti-China-Clowns sagen, die Entwicklung von Xinjiang wird besser und besser." (Philipp Mattheis 2.12.2021)