Sebastian Kurz ist sich ein letztes Mal selbst treu geblieben. Sein Auftritt zum Abgang wirkte kontrolliert, nicht übermäßig wehleidig – aber auch uneinsichtig bis zuletzt.

Kurz erging sich in Andeutungen über eine vermeintliche "Jagd", die auf ihn veranstaltet worden sei. Er sprach nebulos von Fehlern, die er vielleicht gemacht habe. Er nannte sich selbst "keinen Heiligen, keinen Verbrecher, nur einen Menschen" und dankte mehrfach seinem "wunderbaren Team". Der demokratiepolitische Schaden, den er und die seinen mit ihrer Ignoranz gegenüber dem Parlament und den Anwürfen gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft angerichtet haben, war ihm im Abgang keine Silbe wert.

Für sich selbst hat Sebastian Kurz im Abgang alles richtig gemacht.
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Positiv anzurechnen ist Kurz, dass die Geburt seines Sohnes offenbar ein Umdenken bewirkt hat. Er zeigt sich bereit, seine Elternverantwortung verstärkt wahrzunehmen. Noch vor wenigen Wochen konnte er sich, damals noch Bundeskanzler, nicht einmal einen Papamonat vorstellen.

Für sich selbst hat Kurz im Abgang alles richtig gemacht. Er hat Form, Stil und Tonalität bestimmt, auch den Zeitpunkt, da es in den schwarz regierten Bundesländern noch weitgehend ruhig war – trotz alarmierender Umfragewerte für die ÖVP. Er weiß freilich genau, dass dies eine trügerische Ruhe war. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihm der Abschied aus der Politik parteiintern nahegelegt worden wäre. Politisch ist Kurz durch die Ermittlungen gegen ihn längst nachhaltig beschädigt. Trotzdem konnte er das Image seiner Kanzlerschaft bis zum Schluss aufrechterhalten: Kurz, der Macher und große Kommunikator, der auch im Abgang noch alles steuert.

Trümmerhaufen

Hinter dieser Erzählung tut sich freilich ein rauchender Trümmerhaufen auf. Das türkise Experiment ist gescheitert. Der Umbau der Partei in eine moderne konservative Bewegung ist misslungen. Bünde und Länder sind so stark da wie eh und je, Partikularinteressen der jeweiligen Landesfürsten stehen über dem gemeinsamen, großen Ganzen. Bereits bei der oberösterreichischen Landtagswahl war das zu bemerken: Das späte Durchgreifen der Bundesregierung in der Pandemiebekämpfung hing auch damit zusammen, dass Landeshauptmann und ÖVP-Chef Thomas Stelzer dort die Corona-Leugner und Impfskeptiker nicht verärgern wollte.

Zur Farce verkam die Erzählung vom "neuen Regieren" durch die Chatnachrichten seines Vertrauten Thomas Schmid und anderer Getreuer. Das hatte nichts mit "neuer ÖVP" zu tun, das war altbekannter Postenschacher, gewürzt mit falschen Umfragen und Tricksereien, um an die Macht zu kommen.

Was auch von Kurz bleibt, ist sein Scheitern als Krisenmanager in der Pandemie. Er und sein Team konnten nicht davon lassen, auch in der größten gesundheitlichen Krise vor allem ihn als Kanzler glänzen lassen zu wollen. Der augenscheinliche Widerspruch zwischen politischem Gesundbeten und tatsächlicher Infektionslage wirkt sich bis heute fatal aus.

Im vormals so eng verschworenen "Inner Circle" um Kurz herrschen nun Ratlosigkeit, Hektik und Chaos, als habe man seinen Guru verloren. Neuwahlen, hört man aus politischen Kreisen, strebe derzeit niemand an, auch wegen Corona. Fragt sich nur, ob diese Regierung noch fit genug ist, um die Pandemie wirksam zu bekämpfen. Auch diese Unsicherheit ist letztlich Sebastian Kurz’ politisches Vermächtnis. (Petra Stuiber, 2.12.2021)