Christoph Klingler könnte, will aber keinen Profit aus der Pandemie schlagen.

Foto: Jeff Mangione

Den Gedanken, dass die Pandemie zum Normalzustand werden, Stadienkonzerte in Zukunft nur noch im Stream stattfinden könnten, hält Oeticket-Chef Christoph Klingler für eine schauderhafte Dystopie. Wie viele freut er sich auf die Auferstehung des Live-Erlebnisses – und hat einstweilen alle Hände voll zu tun.

STANDARD: Herr Klingler, nehmen wir an, ein Zeitreisender hätte Sie 2016, bevor Sie Chef von CTS Eventim geworden sind, vor der Pandemie gewarnt. Hätten Sie den Job angenommen?

Klingler: Auf jeden Fall, nicht obwohl, sondern gerade weil ich Herausforderungen liebe. Und man wird aktuell mehr als herausgefordert: Das geht von fast psychologischer Arbeit – die Laune in der Branche ist eine schlechte – bis zu organisatorischer. Veranstaltungen sind laufend abzusagen oder zu verschieben. Das sogenannte Reseating ist durchzuführen, vom Babyelefantenabstand bis zum Schachbrettmuster. Dann hat man das Thema der Check-in-Kontrollen nach 3G, 2G, 2G plus – dafür mussten wir erst neue Technologien entwickeln. Wir hatten zu Beginn der Pandemie 15.000 Kundenanfragen pro Tag und mussten massiv umstrukturieren.

STANDARD: Sie verkaufen normalerweise sechs Millionen Tickets in Österreich pro Jahr. Wie sah das 2021 aus?

Klingler: Wir haben einen Rückgang von 80 bis 85 Prozent, schlichtweg weil weniger Veranstaltungen stattfanden und jene, die stattfanden, kleiner ausfielen.

STANDARD: Die Veranstalter haben Förderungen erhalten, Ihr Mutterkonzern in Deutschland schreibt wieder schwarze Zahlen. Aber wie geht es dem Fußvolk?

Kingler: Die EPUs wurden übersehen. Die Hilfen, die ausbezahlt wurden, sind nicht geeignet, eine kleine Familie zu erhalten. Gerade bei den Zulieferern haben sich einige umschulen lassen. Was sollten sie auch sonst machen? Wenn ich als Veranstalter aber keinen Beleuchter, keinen Bühnenbauer und keine Stage-Hands mehr finde, kann ich mir das Veranstalten halt auch aufmalen.

STANDARD: Sie sprachen in der Vergangenheit bereits von politischem Missmanagement.

Klingler: Bashing ist immer die falsche Herangehensweise, außer gravierende Fehler werden wiederholt gemacht. Ich kenne kaum Kinder, die viermal in dieselbe Steckdose greifen. Die Kinder bei uns in der Regierung haben das aber gemacht – unfassbar.

STANDARD: Ihre konkrete Kritik?

Klingler: Parteipolitische Überlegungen dürfen in einer Pandemie nicht über sachpolitischen stehen. Dass die Impfkampagne nicht gut angenommen wird, sah man bereits im Sommer. Hier hätte man gegensteuern müssen. Gegen Verschwörungstheoretiker und Ängstliche. Aber man schaut lieber auf Wählerstimmen in extremen Außenrändern und fährt damit das ganze Land an die Wand.

STANDARD: Viele Konzerte, die 2020 oder 2021 hätten stattfinden sollen, wurden bereits auf 2022 verlegt. Das verursacht einen gewissen Stau. Gibt es durch diese Verschiebungen Langzeitfolgen, werden Karten teurer werden?

Klingler: Wir haben bereits jetzt in den letzten Monaten gesehen, dass Veranstaltungen rund 15 Prozent teurer in der Produktion geworden sind. Das liegt an Hygienemaßnahmen und Kontrollen, aber auch an gestiegenen Preisen für Bühnenbau etc. Veranstalter haben vor zwei Jahren mit den damaligen Preisen gerechnet, wenn sie aber 2022 produzieren müssen, müssen sie die dann geltenden höheren Preise zahlen. Wir gehen also davon aus, dass es bei Tickets eine Preiserhöhung geben wird, weil Veranstaltungen sonst nicht mehr kostendeckend durchführbar sind. Wobei man sagen muss, dass man in Österreich einen Durchschnittskartenpreis von unter 50 Euro hat – eine Preissteigerung um ein paar Prozent wird nicht dazu führen, dass Menschen nicht mehr auf Veranstaltungen gehen.

STANDARD: Stadthallen-Chef Wolfgang Fischer sagte vor einem Jahr, er befürchte, dass die Leute vom Live-Entertainment entwöhnt werden könnten, wenn so lange nichts stattfindet. Teilen Sie diese Befürchtung?

Klingler: Wir haben in den Monaten, in denen Veranstaltungen möglich waren, genau das Gegenteil erlebt. Im Sommer konnten wir fast alles ausverkaufen, was im Angebot war. Das hat uns Hoffnung gemacht. Die Menschen brennen darauf, wieder auszugehen, auf Konzerte zu gehen. Ich rechne, wenn die Inzidenzen zurückgegangen sein werden, mit einem neuen goldenen Zeitalter.

STANDARD: Oeticket hat Tickets für Streaming-Events verkauft. Wie ist das gelaufen?

Klingler: Alles, was Talking Head ist, also zum Beispiel Kabarett, funktioniert deutlich besser im Streaming als ein Livekonzert.

STANDARD: Eine rein digitale Veranstaltungszukunft juckt Sie nicht?

Klingler: Wenn man über Streaming nachdenkt, muss man über neue Inszenierungen nachdenken. Da muss aus Così fan tutte eine Netflix-Serie werden, damit es die Menschen fesselt. Dass Streaming aber tatsächlich das Live-Erlebnis ersetzt, können und wollen wir uns nicht vorstellen.

STANDARD: Hat die Pandemie nicht gerade im Ticketing-Bereich auch neue Möglichkeiten aufgezeigt? Die ganze Impflogistik hängt an Ticketing-Systemen.

Klingler: Wir haben das sogar gemacht. Die niederösterreichische Impfplattform basiert auf unseren Systemen. Das ist aber kein Geschäftsmodell, sondern ein Helfen in der Not. Uns wurde einmal angeboten, in dieses Testkit-Business in Kombination mit Konzertkarten einzusteigen, aber wir haben das abgelehnt. Damit möchten wir nichts zu tun haben. Ich habe grundsätzlich ein seltsames Verhältnis zu sogenannten Krisengewinnern.

STANDARD: Was hat die Gründung der Interessengemeinschaft Österreichische Veranstaltungswirtschaft gebracht?

Klingler: Erstmalig hat sich die Branche an einen Tisch gesetzt, aus Gegnern wurden Mitstreiter. So wurden wir von Ministerien endlich einmal gesehen, und so war es auch möglich, ihnen die wirtschaftliche Bedeutung der Branche – denn es scheint ja nur ums Geld zu gehen in unserem Land – darzulegen. Die vorherrschende Sichtweise war ja, "das sind ein paar Lustige, die Musik machen". Mittlerweile konnten wir klarmachen, dass die gesamte Kultur- und Veranstaltungswirtschaft dreimal so groß ist wie die österreichische Landwirtschaft, ein Milliardengeschäft. Das hat dazu geführt, dass gute Gespräche geführt wurden, das Gutscheingesetz zur Rettung der Branche in Angriff genommen worden ist.

STANDARD: Und die diversen Herren Veranstalter in der IG können miteinander? Unvorstellbar!

Klingler: Sie müssen. Das ist wie bei Independence Day, wo die Chinesen, Russen und Amerikaner einander plötzlich die Kampfjets leihen, um gegen die Aliens zu kämpfen. (Amira Ben Saoud, 3.12.2021)