"Schattenkanzler" wurde zum Wort des Jahres gewählt. Stunden später empfahl sich Patron dieser Wortschöpfung aus der Politik: Sebastian Kurz ist Geschichte.

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Das Wort des Jahres ist eine Auszeichnung, die im Normalfall über eine gewisse Zeitspanne Relevanz besitzt. Immerhin muss es im Alltag dermaßen verankert sein, dass jede und jeder damit etwas verbindet. Heuer verhält sich das etwas anders.

Noch im Dunkel der Nacht verkündete die Austria Presse Agentur am Donnerstagmorgen das Ergebnis der diesjährigen Online-Abstimmung. Mit wenigen Stimmen mehr als der zweitgereihte Begriff "3G" fiel die Wahl auf "Schattenkanzler".

Geboren war der Begriff in dem Moment, als Sebastian Kurz Anfang Oktober zur Seite trat und Platz für Alexander Schallenberg als Bundeskanzler machte. Kaum zum Wort des Jahres erklärt, war es wenige Stunden später schon weitgehend obsolet geworden. Denn Kurz erklärte einen Sonnenaufgang später seinen Rückzug aus der Politik. Kein bisheriges Wort des Jahres hat je dermaßen rapide an Bedeutung eingebüßt.

"Messias" und "neuer Stil"

Damit hat es einige Gemeinsamkeiten mit der von ihm beschriebenen Person: Denn der Abstieg des Sebastian Kurz vom "Messias" und Verkünder eines "neuen Stils" ging ebenfalls hurtig vonstatten. Vom Bundeskanzler im Slim-Fit-Anzug zum ÖVP-Klubobmann mit ausgebeulten Knien vom langen Sitzen ging es schneller, als er es sich ausmalen wollte.

Und ein Dasein als Schattenkanzler war für den ans Scheinwerferlicht gewöhnten jüngsten Altkanzler der österreichischen Geschichte keine dauerhafte Option. Denn Politik, so wie sie Sebastian Kurz betrieben hat, streifte die Todsünde der Eitelkeit nicht nur, sie war mit der verordneten Message-Control und einer tunlichst perfekten Inszenierung ihres Heilsbringers auf allen Kanälen dort hauptgemeldet: Einem wie Kurz kann die Zuschreibung Schattenkanzler nicht geschmeichelt haben.

Kanzler-Sammlung

Der Begriff verweist auf eine dunkle Macht, einen Strippenzieher im Hintergrund, keinen Strahlemann – vom demokratiepolitischen Signal einer solchen Figur ganz zu schweigen. Von der Habenseite her betrachtetet, ist es vor ihm keinem anderen Politiker gelungen, Bundes-, Ex-, Neobundes-, Alt- und zuletzt auch noch Schattenkanzler gewesen zu sein. Immerhin.

Jetzt verfügt sich der frischgebackene Vater in den Schoß der Familie. Der bleibt zu wünschen, dass er an vorderster Windelfront mit anpackt. Vielleicht erweist er sich angesichts der Vaterfreuden ja als kleiner Sonnenkönig. (Karl Fluch, 2.12.2011)