Ja, es hat auch im Jahr 2021 etwas eigentümlich Bedrückendes, wenn deutsches Militär im Gleichschritt – von Fackelträgern flankiert – anrückt, auch wenn es bloß eine hohe politische Persönlichkeit verabschieden will. In diesem Fall, am Donnerstagabend, war es Angela Merkel, die die Bundesrepublik Deutschland 16 Jahre lang regierte und nun – schon vor einer gefühlten Ewigkeit angekündigt – Platz macht für einen Nachfolger. Nämlich für Olaf Scholz von der SPD, der am kommenden Mittwoch angelobt werden soll.

ZDFheute Nachrichten

Der "Große Zapfenstreich" gilt als höchster Ausdruck der Würdigung, welche die Deutsche Bundeswehr einer Zivilperson zuteilwerden lassen kann. Mit dieser Form eines freilich reichlich zackigen Ständchens wurden schon zuvor Bundespräsidenten, andere Bundeskanzler, aber auch Verteidigungsminister bei ihrer Verabschiedung aus dem Amt geehrt. Seine Ursprünge gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück.

"Dankbarkeit und Demut"

Merkel wäre nicht Merkel, hätte sie diese Gelegenheit nicht dazu genützt, in der ihr eigenen Art und Weise auf aus ihrer Sicht Wichtiges zu sprechen zu kommen. Ihre Rede war ohne Pathos, immer auf den Punkt kommend, niemals abschweifend, niemals sich selbst in den Mittelpunkt stellend. Auch wenn es an diesem Abend ausschließlich um sie – die scheidende Bundeskanzlerin – ging.

Zapfenstreich für Merkel
Foto: AFP / Odd Andersen

"Dankbarkeit und Demut vor dem Amt" empfinde sie am Ende ihrer 16 Jahre im Amt als Regierungschefin. Dank spreche sie auch aus für das Vertrauen, das man ihr in all dieser Zeit entgegengebracht habe. "Vertrauen ist das wichtigste Kapital in der Politik", sagte Merkel, "und dieses so lange zu bekommen, ist alles andere als selbstverständlich. Dafür danke ich von ganzem Herzen."

"Vertrauen ist das wichtigste Kapital in der Politik", sagte Merkel, "und dieses so lange zu bekommen, ist alles andere als selbstverständlich."
Foto: AFP / Odd Andersen

Merkel verabsäumte es nicht, auf den historisch bedeutenden Ort des abendlichen Events – den Bendlerblock im Berliner Ortsteil Tiergarten – hinzuweisen: Wo heute der Sitz des Verteidigungsministeriums ist, war während der NS-Diktatur u.a. das Allgemeine Heeresamt untergebracht, es befand sich hier aber auch das Zentrum der Widerstandsgruppe des Attentats vom 20. Juli 1944 rund um Generaloberst Beck und Oberst Stauffenberg.

Besonderen Dank sprach die scheidende Kanzlerin allen im deutschen Gesundheitsbereich tätigen Menschen aus. "Wir wollen dankbar an jene denken, die sich mit aller Kraft der vierten Welle (der Corona-Pandemie) entgegenstellen, um mit ihrem Einsatz Leben zu retten und zu schützen." Diesen Menschen gebühre "besonderer Dank und höchste Anerkennung".

"Politisch und menschlich gefordert"

Dann, endlich, kam Merkel zum Schluss auch noch auf sich selbst zu sprechen. Ja, es seien 16 ereignisreiche Jahre gewesen, "Jahre, die mich nicht nur politisch, sondern auch menschlich gefordert, aber auch erfüllt haben".

Vor allem die beiden letzten Jahre im Amt, massiv geprägt von der Pandemie, hätten ihr noch einmal "wie in einem Brennglas" deutlich gemacht, wie wichtig der Stellenwert des Diskurses in einer Demokratie sei. Diese bleibe aber stets auch bis zu einem gewissen Maße "fragil", würdigte Merkel diese Staatsform, die von "Solidarität und Vertrauen" geprägt sei.

In diesem Zusammenhang erteilte Merkel – wohl zum letzten Mal in ihrer Eigenschaft als Bundeskanzlerin – Hetze, Hass und Gewalt eine Absage: "Hier muss die Toleranz in einer Demokratie auch ihre Grenze finden", meinte Merkel, die allerdings auch dazu ermahnte, "die Welt auch immer mit den Augen der Anderen zu sehen und sich für den Ausgleich der Interessen stark zu machen".

Die Politiker müssten sich "nicht mit Missgunst und Pessimismus, sondern mit Fröhlichkeit im Herzen an die Arbeit machen", meinte Merkel. Das sei ihr höchstpersönliches Lebensprinzip gewesen, schon in den Zeiten, als sie in der DDR aufwuchs.

Der "Große Zapfenstreich": Der höchste Ausdruck der Würdigung, welche die Deutsche Bundeswehr einer Zivilperson zuteilwerden lassen kann.
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"Lieber Olaf Scholz"

"Ich danke Ihnen von Herzen", deklamierte Merkel in ihrer kurzen Ansprache nicht nur einmal – und vergaß dabei weder ihre "politischen Weggefährten" noch alle "Kolleginnen und Kollegen" in Regierung und Bundestag. Und Dank empfinde sie auch für den in Deutschland zumeist gepflegten Stil der demokratischen Streitkultur. "Darum beneiden uns viele Nationen."

Nun sei es an der Zeit, einer anderen Regierungsmannschaft die Arbeit zu übergeben. Ihrem Nachfolger, dem "lieben Olaf Scholz" wünschte sie für dessen große Aufgabe alles Gute.

Mit Fortdauer der abschließenden musikalisch-militärischen Ehrung konnte man im Gesicht Merkels ablesen, wie bewegt sie an diesem Abend doch noch gewesen sein dürfte. Das Programm hatte sie sich selbst ausgesucht: Neben dem DDR-Gassenhauer "Du hast den Farbfilm vergessen" von Nina Hagen spielte das Stabsmusikkorps der Bundeswehr auch Hildegard Knefs "Für mich soll's rote Rosen regnen" und stimmte schließlich "Großer Gott, wir loben dich" an. An dieser Stelle – und bei der abschließend intonierten Bundeshymne – wirkte auch die sonst so Gelassene und Unerschütterliche sichtlich berührt.

Und dann war alles ganz schnell zu Ende: Abmarsch des Militärs, kurzer Applaus, ein kleiner Blumengruß und dann: Abfahrt in der schwarzen Limousine. Alles in allem ein würdevoller Abschied von der großen politischen Bühne – mit Sicherheit der würdevollste Abschied an diesem auch in Österreich so ereignisreichen Tag. (Gianluca Wallisch, 2.12.2021)