"So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie", sagt der Philosoph Jürgen Habermas über die Pandemie.

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Covid-19 ist nicht nur eine verheerende Pandemie, sondern auch eine massive Herausforderung für die Informationsverarbeitung in einer vielsprachigen Welt. Die World Health Organisation (WHO) sieht gar eine weltweite "Infodemie" im Entstehen, ausgelöst durch Covid-19, einen beängstigenden "Tsunami von Informationen", durchzogen von Falschinformationen, so ansteckend und verunsichernd wie die Pandemie selbst.

Dabei bedeutet Information ohnehin noch längst kein Wissen. Schon gar nicht in dieser aktuellen Gesundheitskrise, wie Jürgen Habermas betont: "So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie." Doch solch gewusstes Nichtwissen ist lähmend und weckt nicht gerade die Handlungsbereitschaft. Und ein Nichtwissenwollen, wie man in der Pandemie seine eigene Gesundheit und die anderer am besten schützt, das kann sogar tödlich sein.

Liegt es also an mangelhaftem Informationsmanagement, dass gegenwärtig auch immer wieder die Trennlinie zu Fake-News und Desinformation verwischt und Unmengen von Falschinformationen vor allem in sozialen Netzwerken kursieren? Oder ist hier eine unzulängliche Krisenkommunikation am Werk, die dringend umsteuern müsste?

Subdisziplin des Wissens

Eine globale "Infodemie" zu bekräftigen, ja sogar noch "Infodemiologie" als eine neue Subdisziplin des Wissens auszurufen, das würde kaum weiterführen. Inmitten der bedrohlichen Situation von Impfverweigerern, Verschwörungstheorien und populistischen Vereinfachungen müsste man nach handlungsnäheren Ansatzpunkten und Methoden suchen, um in der Pandemie die Menschen selbst in ihrem lokalen Lebensumfeld zu erreichen. Denn die Infodemie ist ja nicht bloß Ergebnis von sich überschlagenden Informationen und Desinformationen, sondern eher Resultat ihrer mangelhaften Vermittlung.

Die Gefahrenlage der Pandemie ist einfach nicht überzeugend genug in die Öffentlichkeit und ihre sozialen Gruppen hinein "übersetzt" worden. In der Tat, es geht darum, Methoden der Informations- und Wissensvermittlung zu entwickeln, die auf diese Krisenzeiten besser abgestimmt sind. Weiterführend wäre hier eine bestimmte Praxis der Übersetzung: verstanden als eine soziale Handlungsweise und gesellschaftliche Vermittlungsgröße, die durchaus von konkreten sprachlichen Problemen der Wissensvermittlung über Corona in einer vielsprachigen Welt ausgeht.

Von Arabisch bis Yoruba

Im globalen Feld finden sich hierfür bemerkenswerte Initiativen der "Übersetzer ohne Grenzen" ("Translators without Borders"). Entlang der Befunde der WHO arbeiten diese Aktivisten und Aktivistinnen aus vielen Nationen nicht nur multilinguale Glossare zur Covid-19-Terminologie in bisher 106 Sprachen aus – von Arabisch bis Yoruba.

Vor allem entwickeln sie auch Strategien der Einbeziehung lokalen und indigenen Wissens, um nicht zuletzt Bevölkerungen mit geringer Alphabetisierungsrate gezielter erreichen zu können. Ziel ist insgesamt ein grenzüberschreitender, transnationaler Informationsaustausch, der mediale Vermittlung mit starken Lokalbezügen verknüpft – um Wissen über Covid-19 (von Inzidenzen bis zu Geboten des Social Distancing) in allen Sprachen zugänglich zu machen, und seien diese noch so marginalisiert.

Wer aber sind solche Translatoren?

Aber auch im nationalen Umfeld sind im Verlauf der Pandemie wichtige Vermittlungsketten gerissen, und man muss sich verstärkt darüber Gedanken machen, wie die häufig unzuverlässigen Informationskaskaden wieder in gesichertes Wissen, in öffentliche Akzeptanz und in ein entsprechendes Handeln übersetzt werden können.

Wenn in der Pandemie von Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft, Expertenwissen und politischen Entscheidungsträgern und vom Hineinwirken in die Öffentlichkeit die Rede ist, dann wird doch eigentlich immer schon auf aufklärende Übersetzungsbemühungen angespielt.

Die Stunde der Vermittler, so lautete die Schlagzeile eines Artikels in der FAZ (19. Mai 2021), der den Gesamtkomplex von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit in ein Übersetzungsverhältnis aufbricht: "Es bedarf Translatoren, die (...) die Vielstimmigkeit der Wissenschaftler übersetzen." Wer aber sind solche Translatoren? Sind es (Wissenschafts-)Journalisten, wissenschaftliche Räte wie der Ethikrat oder Talkshow-Runden? Und was soll denn überhaupt übersetzt werden?

Von erfahrungsfern in erfahrungsnah

Es sind die sehr unterschiedlichen Sprachen und Diskurse, wie sie in der Gesellschaft oft unvermittelt nebeneinander existieren. Expertensprachen, Wissenschaftssprache, politische und juristische Begriffe, die sich immer mehr von der Alltagssprache der Bürgerinnen und Bürger entfremden: als erfahrungsferne Fachsprachen, die in die erfahrungsnahe Sprache der Lebenswelten "übersetzt" werden müssten.

Das ist keine Frage der Fremdsprachenübersetzung, nein: Es ist eine Frage der Übersetzung zwischen diskursiven Sphären und den entsprechenden Narrativen in ein und derselben Gesellschaft. Und hier können unzulängliche Übersetzungen durchaus politische Krisen produzieren, etwa durch völliges Missverstehen des kürzlich regierungsoffiziell erklärten "Endes der epidemischen Lage von nationaler Tragweite" in der Bundesrepublik Deutschland zum 25. November dieses Jahres.

Obwohl diese Erklärung als verfassungsrechtliche Begriffsklärung gemeint war, konnte sie aber in weiten Kreisen der Bevölkerung nur als absurde Kundgebung zu einem völlig falschen Zeitpunkt verstanden werden.

Pandemie-Vokabular, Corona-Wörter

Apropos Narrative und ihre Unstimmigkeiten. Hiermit kommen wir auf eine andere Ebene des Übersetzungsprozesses. Narrative, so jargonartig sie in letzter Zeit auch bemüht werden, bilden einen unverzichtbaren Bedeutungsrahmen für jegliche Versuche, zwischen unterschiedlichen Diskursen oder Lebensbereichen zu übersetzen. Glossare und Wortübersetzungen sind also nur ein erster Ausgangspunkt für viel weitergehende Übersetzungsanforderungen im Feld der Pandemieverarbeitung.

Der Übersetzungshorizont müsste ausgedehnt werden, um die Augen zu öffnen für stets mitlaufende Leitnarrative, für Bezugspunkte, Zielvorstellungen und Weichenstellungen. Denn gerade solch übergreifende, oft normative Dimensionen sind in gesellschaftlichen Übersetzungsvorgängen immer im Spiel. Besonders in der Pandemie sind sie verstärkt in den Blick zu nehmen.

Wenn bereits die sprachbezogenen Glossar-Übersetzungen der "Übersetzer ohne Grenzen" darauf hinwirken, die Pandemie-Vokabulare genauer auf die soziolinguistischen Akzeptanzbedingungen und gesellschaftlichen Traditionen in den jeweiligen Ländern abzustimmen, dann sollte der verengte Blick auf nur sprachbezogenes Übersetzen in Zeiten der Pandemie erweitert werden.

Denn Corona-Wörter in der Krise zu übersetzen heißt hier immer auch: sie nicht nur in andere Sprachen zu übertragen, sondern sie auch handlungsbereit zu machen. Und so wäre zu fragen: Wie übersetzen denn die Menschen selbst die allgemeine gesellschaftliche Krisenkommunikation in ihre eigenen, spezifischen kulturellen Lebenswelten hinein; wie verleihen sie den Corona-Diskursen Sinn, welche kulturellen, religiösen oder ethischen Bezugspunkte werden hierfür starkgemacht? Welche Handlungsneigungen folgen daraus?

Ängste, Unsicherheiten, Misstrauen

Diese Frage stellt sich nicht zuletzt auch gegenüber "Querdenkern" und ihren, wenngleich verzerrten Bezugspunkten – seien dies irrationale Vorstellungen, Ängste und Unsicherheiten, Misstrauen gegenüber dem Staat, Pochen auf missverstandene Freiheitsrechte, Auflehnen gegen Impfpflicht aus irregeleitetem Demokratieverständnis und anderes mehr. Die vielstimmigen Versuche, Corona-Wissen und -Maßnahmen vonseiten der Wissenschaft wie Politik zu vermitteln, sie finden vielleicht erst dann Gehör, wenn die Vermittlungsbemühungen ausdrücklich auf dieser Ebene ansetzen.

So ließe sich genauer herausfinden, in welchen Referenzrahmen diese jeweiligen Gesellschaftsgruppen, die sich ja keineswegs vereinheitlichen lassen, eigentlich agieren. Erst dann kann man die Menschen differenzierter und gezielter auf ihre entsprechenden Referenzpunkte hin ansprechen und sie gerade auf dieser Ebene in konkrete Übersetzungsbemühungen verwickeln, statt sie durch abgehobene Argumentationen zu verschrecken.

Übersetzung ist also nicht nur ein Werkzeug einer "Infodemie", das im unmittelbaren Blickfeld die bestehenden Corona-Informationen, Begrifflichkeiten, Entscheidungen und Maßnahmen kommuniziert und umsetzt: Übersetzung als Übertragung von Informationen in handhabbares Wissen. Übersetzung kann vielmehr auch mit einem weiteren Horizont entferntere Fluchtpunkte der Krise entwerfen und Weichenstellungen vornehmen: Übersetzung als Praxis einer Politik, die sich neben gesundheitspolitischen auch an sozialen, ethischen, rechtlichen und anderen Bezugspunkten orientiert und die von daher Angelpunkte für vorausschauendes Handeln gewinnen kann. (Doris Bachmann-Medick, ALBUM, 4.12.2021)