ÖVP-Chef und Ex-Kanzler Sebastian Kurz kündigte am Donnerstag seinen Rückzug aus der Politik an.
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"The Washington Post": Übergroßer Einfluss

"Er veränderte die österreichische Politik und verschaffte dem Neun-Millionen-Einwohner-Land einen zeitweise übergroßen Einfluss in der Europäischen Union (...) und erwarb sich den Ruf, Reformprojekte zu verzögern. Mit seiner harten Haltung zur Migration, seinem jugendlichen Auftreten und seinen schicken Anzügen sprach er Österreichs Mitte-rechts- und konservative Wähler an. Die Konservativen in den Nachbarländern bewunderten Sebastian Kurz' Fähigkeit, unter einer polierten, medienwirksamen Fassade streng konservative Werte zu vertreten, auch wenn er viele seiner Versprechen nicht einlöste."

"New York Times": Neuerlicher Angstschock

"Der doppelte Abgang führte zu einem neuerlichen Angstschock in der unruhigen österreichischen Politik, die in den vergangenen zwei Monaten durch den abrupten Rücktritt von Herrn Kurz als Bundeskanzler aufgewühlt wurde. (...) Viele glauben jedoch, dass Kurz, der 2017 mit 31 Jahren einer der jüngsten demokratisch gewählten Regierungschefs der Welt wurde, sich nicht für immer aus der Politik zurückziehen wird."

"La Stampa" (Turin): Eine Sternschnuppe

"Am Schluss hat Kurz auch das Einzige zerstört, was ihm noch erhalten blieb: sich selbst. Und jetzt herrscht Chaos im Land (...) Der Star der europäischen Konservativen hat sich als Sternschnuppe erwiesen."

"Il sole 24 ore" (Mailand): Die Kurz-Parabel

"Vom Wunderkind zum Baby-Pensionisten der österreichischen Politik. Das ist die Parabel von Sebastian Kurz, dem ehemaligen Bundeskanzler, gegen den wegen Beihilfe zur Korruption und Veruntreuung öffentlicher Gelder ermittelt wird."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": Bürgerliche Verunsicherung

"Der kometenhafte Aufstieg dieses jungen Politikers steht exemplarisch für die Verunsicherung des bürgerlichen Lagers nicht nur in Österreich. Früher als andere Konservative erkannte Kurz die gesellschaftliche Sprengkraft, die in ungeregelter Migration liegt. Dass er aus der Honoratiorenpartei ÖVP eine Bewegung machte, die auf ihn persönlich zugeschnitten war, wäre ohne die Flüchtlingskrise 2015 kaum möglich gewesen. Sein Sturz wiederum zeigt, dass auch vermeintliche Heilsbringer nicht immun sind gegen die Versuchungen der Macht. Kurz tritt ab, aber sein Modell lebt fort, etwa bei den Republikanern in Frankreich. Nur die Union in Deutschland blickt weiter nach links."

"Süddeutsche Zeitung" (München): Kleiner Geist, großes Ego

"Politik wurde unter ihm zum Selbstzweck und zur Selbstbedienung. Darauf weisen jedenfalls die Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft hin, die sich gegen das enge Umfeld des Ex-Kanzlers richten und die zeigen, dass seine sich selbst als "Prätorianer" bezeichnenden Helfer den Staat als Eigentum und den Rechtsstaat als Mühsal betrachteten. Wenn man seine Befragungen vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss, das Vernehmungsprotokoll vor einem Richter, seine Pressekonferenzen, seine Rücktrittserklärung las und hörte, dann präsentierte Kurz sich immer als Mann des Ausweichens und der Ausreden. Einer, der andere schlecht aussehen ließ und im Zweifel alte Freunde nicht mehr kannte. Der keine Verantwortung übernahm, wo er sie ganz offensichtlich trug. Ein kleiner Geist mit großem Ego."

"taz" (Berlin): Politischer Scherbenhaufen

"Kurz hinterlässt einen politischen Scherbenhaufen, der atemberaubend ist. In der Pandemiebekämpfung hat seine Regierung völlig versagt, das Land stolperte planlos in die Herbstwelle. Drei Viertel der Bevölkerung haben jedes Vertrauen in die Regierung verloren. Die politischen Diskurse sind vergiftet. Seine Partei ist völlig zerrüttet und in heller Panik, die Regierungskoalition von ÖVP und Grünen nur mehr zerstritten. All das, während Spitäler und Gesundheitssystem am Rande des Kollapses sind. Die Erleichterung über seinen Abgang stellt sich nicht so rasch her angesichts des kompletten Desasters, das er hinterlässt.

"Abendzeitung" (München): Kurz' Hybris

"Kurz ist gescheitert. Verantwortlich dafür ist nicht etwa eine Jagd auf ihn, von der Kurz bei seinem öffentlichen Abschied sprach und dabei als Jäger wohl die unabhängige Justiz und den ihm nicht hörigen (Groß-)Teil der Medien sah. Nein, gescheitert ist Kurz an sich selbst, an seiner Hybris, letztlich auch an seinen Fehleinschätzungen. Zehn Jahre liegen zwischen dem kometenhaften Aufstieg und dem tiefen Fall dieses im In- und Ausland gefeierten politischen Ausnahmetalents. Der Preis für seinen Weg an die Macht und ins Kanzleramt waren ein ganz und gar auf die Person Kurz zugeschnittenes System, ein bedingungslos loyales Netzwerk, eine Teilentmündigung von Bundesländern und Parteibünden, eine Medienpolitik der ,Message-Control' und ausländerfeindliche Politikinhalte."

"Vecer" (Maribor): Geschniegelt und gebügelt

"Kurz war der wahre Wunderknabe der österreichischen Politik, geschniegelt und gebügelt mit unschuldigem Lächeln der begehrte Schwiegersohn von österreichischen Wählerinnen. Seine Volkspartei brauchte frischen Wind, neue Gesichter, und Kurz kam wie gerufen. Es schien nichts zu geben, was er nicht tun konnte. Es gelang ihm sogar, die traditionelle schwarze Farbe der Partei in Türkis zu ändern. Aber in dieser blendenden Karriere gab es einige Anzeichen, dass nicht alles idyllisch verläuft. Rund um Kurz versammelten sich junge Aufsteiger, Streber wie er selbst, die wie eine Clique agierten. (...) Ohne nötige Qualifikationen – auch Kurz ist nur ein ewiger Jusstudent – teilten sie sich vehement Ruhm, Einfluss und natürlich Positionen, die das große Geld bringen. Gegenüber ihren Rivalen kannten sie keine Gnade. Ausgerechnet dieser Skandal holte Kurz nun ein. (...)"

Nun zieht sich Kurz aus allen politischen Funktionen zurück. Er beteuert, seine Unschuld vor Gericht beweisen zu wollen. In Ordnung, mit seinem Rückzug hat er jedoch bereits gezeigt, dass er die Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz respektiert, wie es sich für eine entwickelte Demokratie gehört, auch wenn er zum Illiberalismus tendiert hat." (APA, 3.12.2021)