Im kommenden Jahr feiert die Österreichische Akademie der Wissenschaften den 175. Jahrestag ihrer Gründung. Die Idee, eine solche Institution zu etablieren, stammte vom Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716). Der Frühaufklärer Leibniz, der größten Wert auf wissenschaftliche Theorie und Praxis sowie Bildung zur Schaffung einer am Gemeinwohl orientierten Gesellschaft legte, wäre über die gegenwärtige Wissenschaftsfeindlichkeit in diesem Land entsetzt gewesen.

Diese kommt leider nicht von ungefähr, wenn wir uns an die entlarvende Aussage eines (inzwischen erstinstanzlich unter anderem wegen Untreue verurteilten) ehemaligen Finanzministers erinnern. Im Zuge geplanter Einsparungen im Wissenschafts- und Bildungsbereich sagte Karl-Heinz Grasser: "Orientalistik brauchen wir nicht." Weder wusste er, was für vielfältige Fachtraditionen er damit bloßstellte, noch war ihm klar, dass der internationale Ruf von Österreich als Wissenschaftsstandort – das für die Politik hinsichtlich Rankings so wichtige Reputation Management – maßgeblich diesen Fächern zu verdanken war und – da der Wunsch des Ministers, bei Orchideenstudien "Ordnung" zu machen, erfreulicherweise nicht umgesetzt wurde – immer noch ist.

Im Dienste ihrer Majestät

Den Grundstein für die Bedeutung Österreichs in der Südasienforschung, die in der kolonial eurozentrischen Tradition des 19. Jahrhunderts neben anderen "exotischen" Fächern auch unter Orientalistik firmierte, legte Georg Bühler. Bühler wurde 1837 in Niedersachsen geboren und studierte vergleichende Sprachwissenschaft und Philologie in Göttingen, wo er 1858 mit einer Arbeit zur griechischen Nominalmorphologie promoviert wurde. Von 1859 bis 1862 forschte er an Sanskritmanuskripten in Frankreich sowie in Großbritannien, wo er unter anderem auch als Assistent des königlichen Bibliothekars von Queen Victoria tätig war. Im Jahr 1863 wurde er Professor of Oriental Languages am Elphinstone College in Bombay (Mumbai). In diese Zeit fällt seine Bearbeitung altindischer Rechtstexte und des "Panchatantra", einer populären Fabelsammlung um die Zeitenwende, die schon in der Spätantike in vielen Übersetzungen zirkulierte.

Georg Bühler 1837–1898.
Foto: Gemeinfrei
Elphinstone College Mumbai im späten 19. Jahrhundert.
Foto: Gemeinfrei

Der Philologe als Guru

Mit seinem Antritt der neu geschaffenen Professur für altindische Philologie und Altertumskunde an der Universität Wien im Jahre 1881 begann für dieses Fach eine Blütezeit. Als Lehrer zog Bühler scharenweise Studierende an, von denen viele wiederum bedeutende Indologen wurden; als führender Forscher war er Teil eines internationalen Netzwerks, in dem die Universität Wien und die Österreichische Akademie der Wissenschaften durch ihn zu wichtigen Zentren avancierten.

Aufgrund seiner umfassenden Kenntnisse leistete Bühler Pionierarbeit, insbesondere im Bereich der südasiatischen Epigrafik und Paläografie, und war wesentlich an der Entzifferung und Kategorisierung der südasiatischen Schriften beteiligt. Seine Schriftkunde ist ein bis heute verwendetes Standardwerk.

Seite des unter anderem von Bühler identifizierten Bower-Manuskripts (um das 6. Jh.), einer im heutigen China gefundenen Sanskrithandschrift, die am Beginn der Erforschung indischer Schriftdenkmäler von der alten Seidenstraße steht.
Foto: Bodleian Libraries, University of Oxford

Auch in Wien sammelte und dokumentierte er altindische Handschriften sowie neue, auch bei archäologischen Ausgrabungen entdeckte Inschriften und Skulpturen. Neben zahlreichen Editionen wichtiger indischer Werke und seinen schriftkundlichen Beiträgen publizierte Bühler aber auch wegweisende Studien zur südasiatischen Geschichte, Rechtskunde, Religion, Linguistik und Literaturwissenschaft.

Nepalesische Sanskrit-Inschrift aus dem 7. Jh., erstmals publiziert von Georg Bühler und Bhagawanlal Indraji im Jahr 1885. Links die Abbildung aus der Publikation, rechts der heutige Zustand der Inschrift (Pashupatinath, Kathmandu).
Foto: Nina Mirnig

Mitbegründer der Südasienkunde

Bühler engagierte sich aber auch fächerübergreifend beim Ausbau der Orientalistik an der Universität Wien. Gemeinsam mit seinen Kollegen aus der Arabistik, Semitistik, Islamistik, Ägyptologie und Indogermanistik war er maßgeblich an der Gründung des "Orientalischen Instituts" 1886 beteiligt. Aus dieser Initiative ging auch die "Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes" hervor, die als eine der weltweit am längsten ununterbrochen publizierten Fachzeitschriften bis heute erscheint.

Durch sein breites Wirken trug Bühler dazu bei, die Bedeutung der Südasienkunde im weiteren Kontext von Archäologie, Kunstgeschichte, Orientalistik und vergleichender Sprachwissenschaft wie Philologie sichtbar zu machen. Die Tragweite seines Wirkens hat der Indologe Julius Jolly einst prägnant formuliert: "Viele wichtige Publicationen wären ohne ihn nie geschrieben oder gedruckt, viele alte Inschriften ohne ihn nicht ausgegraben worden, mancher Fachgenosse hat ihm seine Laufbahn ganz oder teilweise zu danken." Bühler kann man mit Recht als einen der Begründer der modernen Südasienkunde bezeichnen.

Bühler-Lectures der ÖAW

Neben seinen zahlreichen internationalen Ehrenmitgliedschaften und Auszeichnungen wurde Bühler auch von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (damals Kaiserliche Akademie der Wissenschaften) 1883 zum korrespondierenden und 1885 zum wirklichen Mitglied gewählt. Als solches teilte er viele seiner Entdeckungen mit der Gelehrtengesellschaft durch Vorträge und zahlreiche Beiträge in den Akademie-Publikationen, die bis heute als Referenzen dienen.

Kaschmirische Hindu-Priester kopieren Manuskripte um 1890.
Foto: Gemeinfrei

Anlässlich des 140. Jubiläums des Beginns von Bühlers Wirken in Wien veranstaltet die Österreichische Akademie der Wissenschaften eine einjährige Vortragsreihe, in der sechs namhafte Wissenschafterinnen und Wissenschafter sein weitreichendes wissenschaftliches Vermächtnis ehren und auf neueste Entwicklungen in Bühlers Forschungsgebieten eingehen werden. (Hannes A. Fellner, Nina Mirnig, 7.12.2021)