In Madrid werden ab Samstag die Reifen quietschen. Aber nicht nur im Autoverkehr, sondern auch weil Spaniens Hauptstadt die Rollstuhlbasketball-Europameisterschaft austrägt. Mit dabei ist auch Österreich, das sich erstmals seit über 20 Jahren qualifizieren konnte.

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"Das wird richtig anstrengend, es warten sieben Spiele an sieben Tagen. Das Adrenalin steigt jetzt schon, das werden einige Kilometer zum Anschieben", sagt Mehmet Hayirli. Der 37-Jährige ist einer der Topscorer im österreichischen Team, das im Sommer sensationell die B-EM in Athen gewann und sich damit ein Ticket für die Endrunde in der höchsten Spielklasse Europas gesichert hat.

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Österreich ist Außenseiter, no na, zum Auftakt geht es am Samstag gegen Italien, weitere Gegner in Gruppe B sind Türkei, Großbritannien, Niederlande und Israel. In der Vorbereitung duellierte man sich beim ÖBSV Nations Cup im Wolves-Dome in der Wiener Bernoullistraße mit der Schweiz. "Die Konkurrenz bei der EM verfügt über viel bessere Infrastruktur. Wir müssen in Österreich um Hallenzeiten kämpfen, oder es fehlt an Barrierefreiheit."

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Zwischen Österreich und Profiligen in der Türkei, Spanien oder Italien liegen Welten: "Wir haben in Österreich ungefähr 100 lizenzierte Spieler. So viele Klubs gibt es alleine in Frankreich oder Italien."

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Mehmet Hayirli spielt auf der Position des Forward, schiebt sich also immer wieder ins Getümmel unter den Körben, wo es manchmal tuscht wie im Autodrom. Mit 19 Jahren hatte Hayirli einen schweren Autounfall, passiert ist es auf der Schnellstraße zwischen Hollabrunn und Stockerau. "Ich bin im Reflex einem Tier auf der Straße ausgewichen." Über die Rehabilitation am Weißen Hof in Klosterneuburg fand Hayirli, der eine Invalidenpension bekommt und sich voll auf den Sport konzentrieren kann, eine neue Lebensaufgabe.

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In Österreich treiben etwa die Hälfte der Menschen mit Behinderung keinen Sport, dabei gibt es Angebote. Am 3. Dezember war der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Sport im Rollstuhl spielt eine wichtige Rolle, ist inklusiv, es dürfen auch Fußgänger mitmachen – ein Grund, warum Rollstuhlbasketball innerhalb des paralympischen Programms zu den Kernsportarten gehört.

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Die Spieler werden in einem Punktesystem von eins bis 4,5 nach dem Grad ihrer Behinderung bewertet. Ein Nichtbehinderter zählt 4,5 Punkte, ein Spieler mit hoher Querschnittslähmung einen Punkt. Die fünf jeweils eingesetzten Spieler dürfen gemeinsam maximal 14 Punkte aufweisen. Das sorgt für ausgeglichene Kräfteverhältnisse. Hayirli wird mit 3,0 Punkten klassifiziert. "Ich habe noch eine gewisse Mobilität in den Beinen, dafür fehlt mir die Rumpfstabilität." Es macht auch einen Unterschied, auf welcher Höhe man im Rollstuhl sitzen darf. Hayirli nimmt auf 53 Zentimetern Höhe Platz. Für Nichtbehinderte gelten 58 Zentimeter. "Je höher man sitzt, desto instabiler wird das Unterfangen."

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Wer schon einmal ausprobiert hat, in einem Rollstuhl gleichzeitig Bälle zu fangen, zu passen und währenddessen anzuschieben, weiß, wie schwierig und koordinativ anfordernd dieser Sport ist.

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Behindertensportler des Jahres Walter Ablinger, der bei den Paralympics in Tokio Gold sowie Bronze mit dem Handbike gewann, sagte kürzlich im STANDARD, dass das Hadern mit dem Schicksal nie ganz aufhöre: "Manchmal wache ich auf, sehe den Rollstuhl neben dem Bett und denke mir: 'Verdammt, schon wieder rein in die Kiste.'" In stillen Momenten kommen auch Hayirli Gedanken: "Du hast Erinnerungen, wie es vorher war. Aber mich hat mein Unfall nicht lange beschäftigt."

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Ziel für das Nationalteam ist der Klassenerhalt, dafür bräuchte es in der Fünfergruppe Rang vier. Eine weitere Chance bietet sich über das Kreuzspiel mit einem Kontrahenten aus Gruppe A. Die letzten zwei der zwölf teilnehmenden Teams steigen ab. Hayirli: "Wir wollen keine Fahrstuhllmannschaft sein." (Florian Vetter, 4.12.2021)

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