Der gefallene Erzbischof: Michel Aupetit.

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Nur langsam lüftet sich der Schleier über einem kirchenpolitischen Krimi, der Paris seit Tagen in Atem hält. Das Opfer ist auch der Täter, oder besser gesagt der Sünder: Michel Aupetit, 70 Jahre alt, bis vor kurzem noch Inhaber des wichtigsten Postens in der französischen Kirche, dem des Pariser Erzbischofs.

Pariser Medien nennen seinen Sturz "brutal". Erst vor Wochenfrist hatte das Magazin "Le Point" enthüllt, dass Aupetit vor knapp zehn Jahren als Generalvikar eine "unangemessene" Beziehung zu einer Frau gepflegt habe. Der Vorwurf wirkte wie eine neue Bombe in der französischen Kirche, die schon seit Wochen von den Enthüllungen über 216.000 Fälle sexueller Gewalt gegen Minderjährige seit 1950 erschüttert wird.

Unklare Defensive

"Le Point" macht klar, dass es sich bei der Partnerin um eine erwachsene Frau handle. Aupetit räumte sofort ein, die Katholikin sei ihm bei – öffentlichen – Anlässen zu nahe gekommen, was man ihm als "ambivalentes" Verhalten auslegen könnte. Ungeschickt suchte er zu präzisieren, es habe keinen Sex gegeben, auch keine Liebe. Was denn?, fragten sich die Leser des konservativen Magazins. Denn zugleich reagierte Aupetit wie ein der Abweichung überführter Zölibatär: In einem Schreiben bat er den Papst, seines Amtes enthoben zu werden.

Die Mühlen des Vatikans mahlten für einmal sehr schnell: Schon am Donnerstag, als Franziskus im Flugzeug nach Zypern unterwegs war, erging die Meldung, der Heilige Vater habe Aupetits Demission angenommen. Was normalerweise Monate in Anspruch nimmt, war damit im Fall des Pariser Erzbischofs binnen Tagen geregelt. Aupetit hatte offenbar selber nicht mit einem so schnellen Verdikt gerechnet: Unlängst erst hatte er Anhängern mitgeteilt, der Rücktrittsentscheid stehe vorläufig "nicht auf dem Programm".

Ratlose Gläubige

Da der Vatikan keine Gründe oder auch nur Umstände nannte, reagierten die französischen Gläubigen am Freitag weitgehend ratlos. Gewiss, der seit 2017 amtierende Erzbischof von Paris hatte Gegner, auch Neider. Etliche warfen ihm vor, er suche das Rampenlicht, während seine Schriften "intellektuell dürftig" seien.

Zudem war Aupetit ein kirchlicher Quereinsteiger: Der jahrelang praktizierende Arzt war erst mit 39 Jahren ins Priesterseminar eingetreten, um darauf die interne Karriereleiter bis zum Prestigeposten hochzusteigen. Progressive Kreise warfen ihm ein "stures" Verhalten vor, Traditionalisten beschwerten sich über eine Entlassung an der erzkatholischen Pariser Mittelschule Saint-Jean de Passy wegen sexuellen Missbrauchs. Im Verlauf der letzten zwölf Monate waren in Paris schon zwei Generalvikare zurückgetreten – gerüchteweise aus Protest gegen die harte Amtsführung Aupetits.

Doch rechtfertigt dies eine so entschlossene Reaktion des Papstes? In Frankreich erinnert man sich an die Affäre Philippe Barbarin, die auf dem gravierenden Vorwurf basiert hatte, der Lyoner Kardinal habe die Augen vor den pädophilen Akten eines seiner Priester verschlossen. Der Papst hatte die Demission Barbarins im März 2019 verweigert und sie erst ein Jahr später angenommen. Aupetit wird nun wegen einer offenbar halb so schlimmen Beziehung ohne Umstände abgelöst, obwohl der Vatikan nicht einmal einen Nachfolger parat hat.

Innerkirchliche Intrigen

Das nährt Gerüchte, Aupetits Beziehung sei vielleicht doch nicht so platonisch gewesen. Kirchenexperten schließen nicht aus, dass der Vatikan die Veröffentlichung von E-Mails oder gar Fotos des inkriminierten Paares befürchtete. Der katholische Journalist Gino Hoel erklärte am Freitag, die vermeintliche Affäre habe wohl nur als "Auslöser" gewirkt; dahinter stünden weitreichende Machtkämpfe und Intrigen in der Diözese Paris.

Noch eine Annahme steht im Raum: Vielleicht wollte der Papst mit seinem prompten Entscheid auch klarmachen, dass die Aufarbeitung des monströsen Missbrauchsskandals in der französischen Kirche eben erst begonnen hat – und zwar auch mit personellen Konsequenzen bis zuoberst in der Hierarchie. Doch vieles ist noch unklar in der Aupetit-Affäre. Sicher ist nur, dass Georges Pontier, der frühere Erzbischof von Marseille, als Übergangsverwalter der Pariser Diözese einspringen wird. (Stefan Brändle aus Paris, 4.12.2021)