Exakt zehn Sekunden erfordert die Herstellung eines Bauklotzes. Länger darf es aus Kostengründen nicht dauern. Michael Tobias hat Matador einst technisch unterschätzt. Heute liefert er das Konstruktionsspiel aus dem Waldviertel trotz aller Stolpersteine in Kinderzimmer rund um den Globus. Plastikriesen will er keine Konkurrenz machen. In seiner kleinen Nische klopft er lieber auf Holz der Rotbuche, kommt damit gut durch die Corona-Krise und will nächstes Jahr zusätzliche Mitarbeiter einstellen. Um das Geschäft rund um Weihnachten zu bewältigen, laufen seine Maschinen das ganze Jahr über.

Kurt Falk verkaufte Michael Tobias einst die Markenrechte an Matador mitsamt veralteten Maschinen. Chancen für die Rückkehr ins Spielwarengeschäft gab ihm der Zeitungsmacher keine.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Womit haben Sie als Kind gern gespielt?

Tobias: Mit Matador, mit Lego, mit Selbstgebautem. Ich habe viel mit meinem Vater gebastelt. Ich gehöre zur glücklichen Generation, die viel draußen in der Natur sein durfte.

STANDARD: Sie haben Matador vom Zeitungsmacher Kurt Falk übernommen und wiederbelebt. Aus Idealismus oder wirtschaftlichem Kalkül?

Tobias: Es war beides. Ich suchte Matador für meine Kinder. Und ich wollte mich beruflich verändern. Ich wollte etwas Eigenes machen, etwas, das Sinn macht.

STANDARD: Wurde Europas Spielzeugmarkt damals von China nicht regelrecht überrollt?

Tobias: Das große Sterben der Branche begann schon früher. Mitte der 90er-Jahre spielten sich bereits 90 Prozent der weltweiten Spielzeugfertigung in China ab.

Gearbeitet wird auf fünf Hundertstelmillimeter genau. Einstige Stolpersteine schützen heute vor Trittbrettfahrern.
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STANDARD: Matador stand gut zehn Jahre lang still. Hat sich kein anderer außer Ihnen dafür interessiert?

Tobias: Viele andere Firmen haben versucht, Kurt Falk Matador abzukaufen, aber er wollte nicht. Ich erhielt von ihm nach der zweiten Anfrage die Markenrechte. Chancen, damit auf dem Markt zu reüssieren, gab er mir allerdings keine.

STANDARD: Er wollte ein Spielzeugreich so groß wie Lego schaffen, setzte auf Kunststoff und scheiterte.

Tobias: Es war das Plastikzeitalter, und Falk wollte Konzernen wie Lego Konkurrenz machen. Das geht aber nicht mit einer Mischung aus Holz und Plastik, dafür sind die Produktionskosten zu hoch. Das Preisniveau von Lego war nicht annähernd erreichbar. Matador ist auch heute noch in einer Nische. Um darin gut zu leben, ist der Markt groß genug. Ein Massenprodukt wird es nie.

STANDARD: Sie haben erst in Tschechien produziert, dann die Fertigung ins Waldviertel geholt. Warum?

Tobias: Ich war jung, und eine eigene Fertigung auf der grünen Wiese hätte ich mir nicht leisten können. Ich wollte Matador mit einer Fremdproduktion auf den Markt zurückbringen. Aber die Qualität passte nicht. Ich habe Falk daher die alten, ungewarteten Maschinen aus halbverfallenen Gebäuden abgekauft und sie auf den neuesten Stand gebracht. Ich konnte einen Teil der alten Zeichnungen retten. Ich erwarb historische Vorlagen, um mir einen Überblick über die einstigen Modelle zu verschaffen. Ich habe mir alles von null weg neu erarbeitet und alles hineingesteckt, was ich hatte.

Produziert wird das ganze Jahr über. Zwei Drittel des Geschäfts spielen sich rund um Weihnachten ab.
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STANDARD: Mit welchen Stolpersteinen haben Sie nicht gerechnet?

Tobias: Ich habe Matador technisch unterschätzt. Ich dachte, Bauklötze, Stäbchen – und es funktioniert. Wir müssen aber auf fünf Hundertstelmillimeter genau produzieren, damit auch der letzte Teil passt. Der Trocknungsgrad des Holzes gehört exakt eingehalten, seine Jahresringe müssen in bestimmten Abständen zueinander stehen. Pro Einzelteil muss das Holz in der richtigen Weise eingeschnitten werden. Ich kann heute nicht sagen, ob ich mich drübergetraut hätte, wenn ich das alles vorher gewusst hätte.

STANDARD: Matador hatte es schon in der Kaiserzeit nicht leicht. Der Handel lehnte "geistanregende" Konstruktionsspiele anfangs ab. Wie gelang Ihnen die Rückkehr in die Geschäfte?

Tobias: Es gab offene Türen. Viele Leute haben in Geschäften danach gefragt. Das hat es mir erleichtert, Listungen zu bekommen.

STANDARD: Der Teufel steckt offenbar im Detail. Sind Bauklötze nicht dennoch anfällig für Trittbrettfahrer?

Tobias: Die Probleme, die wir zu Beginn hatten, schützen uns heute vor Plagiaten. Matador erfordert teure Spezialmaschinen. In Asien ist die Luftfeuchtigkeit zu hoch: Präzises Holzspielzeug muss unter gleichmäßig klimatisierten Bedingungen erzeugt werden. Das frisst dortige Kostenvorteile auf. Ich habe in den vergangenen 25 Jahren auf Messen nur zweimal Nachbauten erlebt. Außer Einzelmustern kam nichts dabei raus.

Jeder Baustein wird händisch auf seine Qualität geprüft und verpackt. Rund 50.000 Baukästen gehen von Waidhofen an der Thaya aus jährlich rund um die Welt.
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STANDARD: Alle Welt leidet gerade unter Lieferengpässen. Auch Sie?

Tobias: Nein. Wir beziehen unsere Rotbuche aus Salzburg. Sie wurde teurer, aber es gibt keine Engpässe.

STANDARD: Ihre Bausteine sind quasi unzerstörbar. Gut für Kinder, aber schlecht fürs Geschäft.

Tobias: Spielzeug wird heutzutage irgendwann weggeworfen, was bei Plastik anders als bei Holz für große Probleme sorgt. Und es tun sich für uns neue Märkte im Export auf.

STANDARD: Sie exportieren Ihre Baukästen weltweit. Hält Matador auch Einzug in chinesische Kinderzimmer?

Tobias: Wir sind auf dem Weltmarkt auf Partner angewiesen. In Australien, Israel, in der Schweiz haben wir gute, seit eineinhalb Jahren auch in den USA. In China sind wir lokal begrenzt vertreten. Es ist ein interessanter Zukunftsmarkt. Denn in China wird viel Wert auf die Bildung der Kinder gelegt. Es gibt weniger Kinder pro Familie. Ihre Eltern stellen größere Ansprüche an sie und kaufen sinnvolleres Spielzeug als Familien in den USA und Europa.

Michael Tobias: "Eltern in China kaufen sinnvolleres Spielzeug als Familien in Europa."
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STANDARD: In Kinderzimmer zieht Nachhaltigkeit ein. Holz beruhigt das Gewissen. Ich habe allerdings schon viel Spielzeug ungenutzt in Schönheit sterben sehen.

Tobias: Es muss in erster Linie Spaß machen, Kinder sollen aber auch etwas dabei lernen: räumliches Denken, Geschicklichkeit, Kreativität.

STANDARD: Plastik spielt halt alle Farben wie Stückerln und hat Spielzeug demokratisiert, weil es für viele leistbar ist. Kann Holz da mithalten?

Tobias: Spielzeug muss nachhaltiger werden. Es gab für Holz eine schwierige Zeit. Aber seit 15, 20 Jahren entwickelt sich der Markt zu seinen Gunsten. Lego etwa versucht, Erdöl in Plastik zu ersetzen, was nicht einfach ist. Das wird noch dauern.

STANDARD: Viele Kinderzimmer sind völlig überladen, Studien zufolge mit bis zu 500 verschiedenen Spielsachen. Experten warnen davor, dass wir den Nachwuchs mit Geschenken emotional zumüllen. Was läuft das falsch?

Tobias: Wir leben im Zeitalter des Überschusses. Kinder haben zu viel Spielzeug und bekommen zu viele Geschenke. Da braucht es mehr Aufklärung, einen ausgewogenen Mix für ihr Freizeitverhalten. Denn gutes Spielzeug macht für die Entwicklung der Kinder ja Sinn. Unsere Konkurrenten sind vor allem die Handy- und die Bekleidungsindustrie.

"Spielzeug muss Spaß machen, Kinder sollen dabei aber auch etwas lernen."
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STANDARD: Matador erzielt gut zwei Drittel seines Geschäfts zu Weihnachten. Wie stark belastet Sie diese starke saisonale Abhängigkeit?

Tobias: Wir produzieren unter dem Jahr auf Lager. Weihnachten ist ein Wirtschaftsfaktor. Ohne Weihnachten wären unser Wirtschaftsleben, das Konsumverhalten völlig anders.

STANDARD: Die Corona-Krise mit ihren Lockdowns zwingt Familien dazu, vermehrt daheim zu spielen. Kurbelte das Ihren Umsatz an?

Tobias: Lockdowns kosten uns etwas, denn die Fachhändler sind geschlossen. Aber wir zählen nicht zu den Verlierern. Wir haben in der Corona-Zeit mehr umgesetzt, ohne Krise wäre es vielleicht noch mehr gewesen. Unser Ertrag blieb stabil. Bis auf ein, zwei Monate Kurzarbeit zu Beginn, wo wir nicht wussten, was auf uns zukommt, nahmen wir keine staatlichen Hilfen in Anspruch.

STANDARD: Ihre Bausteine sind auch in Händen Erwachsener. Wie das?

Tobias: Matador ist in Pensionistenheimen und in der Geriatrie im Einsatz. Es ist ein neuer Markt für uns, der immer wichtiger wird. Es geht um Feinmotorik. Sie hilft älteren Menschen dabei, Beweglichkeit der Finger und des Geistes zu erhalten.

Sie sind bis zu 100 Jahre alt und voll funktionsfähig, allein das Licht ließ die Modelle dunkeln.
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STANDARD: Wie innovationsgetrieben muss Holzspielzeug sein?

Tobias: Matador ist so strukturiert wie schon vor 120 Jahren auch. Es ist ein Universalspielzeug und auch für Erwachsene Zeitvertreib. Es gibt im Wiener Uhrenmuseum eine Uhr aus Matador, die über den Tag gerechnet nur um fünf Minuten falsch geht. Sie zeigt, wie Uhren funktionieren.

STANDARD: Sammler zahlen für historische Matadormodelle Liebhaberpreise. Gibt es welche, die Sie nie aus der Hand geben würden?

Tobias: Wir haben in unserem Fundus alte Modelle, manche gehen auf Wanderausstellungen. Sie sind 50 bis 100 Jahre alt, aber voll einsatzfähig. Nur das Licht hat ihr Holz dunkeln lassen. Ich mag sie alle gern.

STANDARD: Ist es Ihnen wichtig, Matador in Familienhand zu halten?

Tobias: Meine Kinder gehen eigene Wege. Aber ich habe einen Partner im Unternehmen, der meine Funktion einmal übernehmen wird und Matador als Familienbetrieb weiterführt. Wir haben gut vorgesorgt. (Verena Kainrath, 5.12.2021)