Die Via San Gregorio Armeno füllt sich langsam wieder mit Besucherinnen und Besuchern. Dieses Bild zeigt die Lage vor einem Jahr.

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In der Via San Gregorio Armeno in der Altstadt von Neapel gelten die Anti-Covid-Regeln auch für die Heiligen Drei Könige: Anstelle von Gold, Weihrauch und Myrrhe führen die kunstvoll gestalteten Porzellanfiguren in diesem Jahr den Green Pass mit sich. Und Maria, Joseph und die Hirten werden auch mit Gesichtsmasken feilgeboten. Wohl nirgendwo auf der Welt ist die Vorweihnachtszeit so kreativ und so fantasiereich, so exotisch und opulent wie in diesem engen Gässchen in Neapels Altstadt. Zwar hat die Pandemie auch in der lebensfrohen Stadt am Fuß des Vesuv viel Leid und Trauer mit sich gebracht – aber die Ironie mit dem Impfzertifikat für die drei Könige und mit den Masken für die Heilige Familie hilft darüber hinweg.

Die Via San Gregorio Armeno ist das Reich der neapolitanischen Krippenbauer. Seit vielen Generationen stellen hier insgesamt 38 Kunsthandwerksbetriebe alles her, was in eine ordentliche italienische Weihnachtskrippe gehört – und auch, was eigentlich nicht hineingehört: Zu kaufen sind kleine Statuen von Politikern, von einheimischen Musikern wie dem verstorbenen Pino Daniele und von Fußballern – allen voran natürlich von Diego Armando Maradona, der den SSC Napoli in den achtziger Jahren zu zwei Meistertiteln geführt hat und der deswegen bei den Neapolitanern ebenfalls Heiligenstatus genießt.

Krippe samt Pizzaofen

Begehrt sind nicht nur die mehr oder weniger originellen Krippenfiguren, sondern vor allem die Krippen selber, die aus Holz, Kork und Moos hergestellt werden. In der Regel beschränken sich die Krippenbauer nicht einfach auf den Stall von Bethlehem, sondern sie gestalten ganze Landschaften mit mehreren, zum Teil vielstöckigen Gebäuden, in denen Bauern, Schmiede, Bäcker und Gemüsehändler ihrem Gewerbe nachgehen. In besonders aufwendigen Krippen flackert eine künstliche Glut aus dem Pizzaofen, oder ein kleines Bächlein treibt ein Mühlrad an. Auch bei der Gestaltung der Krippen sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Arbeit ohne Ertrag

Im letzten Advent war die Via San Gregorio Armeno, die in der Vorweihnachtszeit normalerweise von den Touristenmassen regelrecht überrannt wird, weitgehend verwaist: Neapel befand sich wie ganz Italien in einem langen und harten Lockdown. "Keine Menschenseele hat sich blicken lassen – kein Tourist, kein Einheimischer, niemand", sagt Luciano Capuano. Er führt zusammen mit seinem Bruder Vincenzo in fünfter Generation die im Jahr 1840 gegründete Krippenwerkstatt Fratelli Capuano. Es ist eine der bedeutendsten von San Gregorio Armeno: 2002 hatte sie eine Krippe für den spanischen Königshof gebaut. Das ganze Jahr 2020 sei eine sehr schwere Zeit gewesen: "Wir waren zwar hier in unserer Werkstatt und haben gearbeitet, aber ohne eine einzige Krippe verkaufen zu können", betont Capuano.

Weil die damalige Regierung von Giuseppe Conte für die Krippenbauer in Neapel so gut wie keine Corona-Hilfen bereitgestellt habe, seien viele der kleinen Betriebe in ihrer Existenz bedroht gewesen. Doch dann kam es unter den Krippenbauern – die sich normalerweise in erster Linie als Konkurrenten sehen – zu spontaner Solidarität: "Jeder, der es konnte, hat den anderen, die sich in Not befanden, geholfen. Wir ließen keinen im Stich und unternahmen alles, dass keiner schließen musste", betont Gabriele Casillo, Präsident der Vereinigung der Krippenbauer. Und tatsächlich habe niemand sein Geschäft verkaufen müssen, obwohl einige Spekulanten bereits ihre Boten nach San Gregorio Armeno geschickt hätten.

Touristen kommen wieder

Inzwischen ist in Neapels Krippengasse die Normalität zurückgekehrt: Seit einigen Tagen schwillt der Strom der italienischen und ausländischen Touristen, die sich von der ganz speziellen Atmosphäre von San Gregorio Armeno verzaubern lassen wollen, immer mehr an. "Aber wenn man die Nachrichtensendungen hört, dann macht man sich natürlich gleich wieder Sorgen", sagt Luciano Capuano. Auch in Italien steigen die Fallzahlen, wenn auch im Vergleich zu allen anderen europäischen Staaten noch auf niedrigem Niveau. Um einem möglichen neuen Lockdown vorzubeugen, haben die Krippenbauer Neapels getan, was ihnen möglich war: Sie haben sich alle impfen lassen, ohne Ausnahme. "San Gregorio Armeno ist Covid-frei", betont Capuano. "Hoffen wir bloß, dass das reichen wird." (Dominik Straub aus Rom, 5.12.2021)