Er betreibt im digitalen Raum ein eigenes Museum: Alfred Weidinger fordert auch von der darstellenden Kunst, stärker aufs Digitale zu setzen.


Foto: Michael Maritsch

Alfred Weidinger. setzt sich schon seit längerem mit Kunst und Kultur im digitalen Raum auseinander. Der Direktor des Oberösterreichischen Landesmuseums fordert vom gesamten Kulturbereich ein radikales Umdenken. Die Videoversion dieses StandART-Gesprächs gibt’s auf derStandard.at.

STANDARD: Braucht es in Zukunft noch Theaterhäuser, Museen, Kinos?

Weidinger: Unbedingt, aber es muss auch der digitale Raum bespielt werden. Durch die Covid-Krise sind wir der Gegenwart etwas nähergekommen. Nicht zuletzt deshalb wurde die Nutzung der digitalen Welten ein integraler Bestandteil unserer Gesellschaft. Diese ist insgesamt betrachtet bereits weiter als viele Protagonisten der Kulturwelt.

STANDARD: Sie sagen, die Kultur habe die Digitalisierung verschlafen. Kann eine abwägende Haltung nicht auch einen Vorteil darstellen?

Weidinger: Für mich ist das ein klarer Nachteil. Es geht in der Kultur darum, dass wir die Themen, die jetzt für eine Gesellschaft relevant sind, verhandeln. Da macht es keinen Sinn, die Digitalisierung von außen zu betrachten. Vor allem im Falle von Institutionen wie Kunstmuseen, die ihr Handeln auf die Gegenwart ausrichten. Bei klassischen Opern- und Konzerthäusern ist das vielleicht etwas anderes.

STANDARD: In einer Fernsehdiskussion haben Sie zuletzt von Theater- und Opernhäusern gefordert, sich stärker ums Digitale zu kümmern.

Weidinger: Für mich bedeutet es einen Rückschritt, wenn man zuerst jubelt, dass man mit digitalen Programmen unglaublich viele Menschen erreicht, und sich dann, sobald es wieder möglich wird, in die analoge Behaglichkeit zurückzieht. Die Generationen, die klassische Musikkonzerte nicht mehr besuchen, sind längst geboren, und diese wollen wir erreichen.

STANDARD: Geht im digitalen Raum nicht viel verloren? Die Aufmerksamkeit ist geringer, die Ablenkung größer.

Weidinger: Es gibt durchaus Vorteile der analogen Welt, da gebe ich Ihnen recht. Aber mit genügend Disziplin klickt man auch in der Digitalwelt nicht sofort weiter. Die Interaktion zwischen Schauspieler und Publikum im Theatersaal ist natürlich eine andere, als wenn sich zwischen beiden ein Monitor befindet.

STANDARD: Walter Benjamin sagt, dass die Aura von Kunstwerken durch ihre technische Reproduktion verkümmere. Können Sie mit dem Begriff Aura überhaupt etwas anfangen?

Weidinger: Die Aura gibt es nicht, das ist eine philosophische Lüge.

STANDARD: Und das Erlebnis vor einem Original in einem Museum?

Weidinger: Dieses Erlebnis ist alleine ein Produkt unseres Gehirns. Ich habe lange im Belvedere gearbeitet und gesehen, wie Menschen in einer Andachtsstimmung vor Klimts Kuss versinken. Aber das hat doch nichts mit Aura zu tun, das Werk strahlt absolut nichts aus, das ist tote Materie! Alles ist Imagination.

STANDARD: Warum dann Museen?

Weidinger: Weil sie ein Speicher unserer Kulturgeschichte sind, der nicht nur analoge, sondern hoffentlich auch bald in zunehmendem Maße digitale Kunst sammelt, verwahrt und präsentiert.

STANDARD: Was bedeutet das Abwandern ins Digitale für unsere Kulturinstitutionen, in die das Gros der Subventionen fließen? Wird es zu Verteilungskämpfen zwischen analogen und digitalen Angeboten kommen?

Weidinger: Es wird ja nicht an den Grundfesten von Kulturinstitutionen gerüttelt. Aber es ist wichtig, dass auch sie sich mit den digitalen Möglichkeiten auseinandersetzen. Die Gesellschaft ist schon jetzt stark digital, jedes Navigationssystem ist ein eigenes Metaverse. Für jüngere Generationen ist digitale Kultur längst eine Selbstverständlichkeit.

STANDARD: Peter Weibel hat von "Opernhäusern als Pharaonengräbern der Zukunft" gesprochen.

Weidinger: Das ist sehr pointiert ausgedrückt, eine solche Aussage soll die Gesellschaft und ihre altehrwürdigen Institutionen wachrütteln. Wobei aus meiner Sicht die Theater weiter sind als die Museen. In Theatern und Opernhäusern ist die Erkenntnis, dass Digitalübertragungen wichtig sind, angekommen, die Kunst tut sich mit digitalen Möglichkeiten und selbst mit digitaler Kunst immer noch sehr schwer.

STANDARD: Sie sind ein Experte für digitale Kunst. Vergangenes Jahr gab es einen regelrechten Hype rund um die Versteigerung eines NFTs um 69 Millionen Dollar. Die Medienkünstlerin Hito Steyerl hat von einer "Blase für Doofe" gesprochen. Zu Recht?

Weidinger: NFTs sind keine Neuerfindung aus dem Jahr 2021, sie wurden schon länger im Spiel- und Musikbereich eingesetzt. Die meisten Kommentatoren haben sich offenbar nicht damit auseinandergesetzt, es ist ein mehrwöchiger Prozess nötig, um zu verstehen, wie NFTs und Blockchains funktionieren. Wenn man es einmal verstanden hat, dann ist man auch vor den Gefahren des Metaverse, wie es Mark Zuckerberg plant, gewappnet. NFTs haben schon jetzt eine große Relevanz, im Moment findet die Art Basel in Miami statt. In deren Umfeld gibt es an die 50 Veranstaltungen, in denen es um digitale Kunst geht.

STANDARD: Ästhetisch sind die Ergebnisse aber oft dürftig.

Weidinger: In der analogen Welt ist es ja auch so, dass vieles nicht ausstellungswürdig ist. Der Hype um NFTs hat viel ausgelöst. Wenn jemand von sich behauptet, Künstler oder Künstlerin zu sein, muss ich das erst mal wertschätzen. Es macht wenig Sinn, herkömmliche konservative Bewertungskriterien heranzuziehen, auch bei den Kriterien, wie man Kunst betrachtet, verändert sich vieles. Was ist gut, und was ist schlecht: Diese Fragen sind nicht mehr die wesentlichen Parameter.

STANDARD: Sondern?

Weidinger: Was sich durchsetzt, ist gemeinhin das, was die Gesellschaft als Qualität bezeichnet.

STANDARD: Warum gibt es so viele Vorbehalte gegen digitale Kunst und Kultur?

Weidinger: Viele fühlen sich in ihrer analogen Komfortzone bedroht. Der Wissensstand, den man sich über Jahrzehnte erarbeitet hat, wackelt und ist nur mehr bedingt anwendbar. Im konservativen Museumsbereich hat man prinzipiell Ressentiments gegen das Neue. Kunst muss sich heute nicht mehr jahrelang, etwa in der freien Szene, bewähren, um in einem Museum ausgestellt zu werden. Diese Zeit ist vorüber, und das ist gut so.

(Stephan Hilpold, 4.12.2021)