Triggerwarnungen in der Kunst – daran scheiden sich die Geister.

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Selbst wer nie ein Wort der Kärntner Autorin Ingeborg Bachmann gelesen hat, kennt ihren wahrscheinlich berühmtesten Satz: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar." Eine Aussage von scheinbar unumstürzlicher Autorität, die niemand je ernsthaft infrage stellte. Bis jetzt.

Nun soll es in der Literatur Warnungen vor bestimmten Inhalten geben: Nicht einmal mehr die Fiktion scheint manchen zumutbar. Triggerwarnungen sollen auf möglicherweise verstörende Inhalte hinweisen, zumindest jenes Publikum, das ein traumatisches Erlebnis erlitten hat.

Um diese Menschen zu schützen, soll es Triggerwarnungen geben. Trigger ist englisch und heißt Auslöser. Derlei Hinweise gibt es in sozialen Medien, vor Serien und Filmen. In der Literatur sind sie relativ neu – und umstritten.

"Literaturferne Kriterien"

Gerhard Ruiss von der IG Autorinnen Autoren sieht sie als einen Schritt, die Freiheit von Autoren einzuschränken, indem Texte mit "literaturfernen Kriterien" beurteilt würden. "Die entscheidende Frage ist doch, von welcher Position aus stellt ein Autor Gewalt dar und wie – die Frage darf nicht sein, ob sie Gewalt darstellen dürfen. Wie wollen sie als Autor in Konfliktstoffe hineingehen, wenn sie auf der anderen Seite eine Leserschaft vorfinden, die sagt, wenn diese Begriffe in Büchern vorkommen, lese ich sie nicht?" Er nennt das ein "Stichworterschrecken" ohne Blick auf den Kontext.

Eine Entscheidungshilfe

Der Innsbrucker Verlag Haymon warnt bereits vor Triggern: "Das vorliegende Buch konfrontiert dich mit Kindesvernachlässigung, dysfunktionalen familiären Verhältnissen, Alkohol- und Drogenmissbrauch bzw. -sucht und Gewalt." Solche Hinweise finden sich im Impressum einiger Bücher des Verlags. Die bei Haymon für Programm und Lektorat zuständige Katharina Schaller nennt Triggerwarnungen "eine Entscheidungshilfe, ob Kunden ein Buch lesen möchten oder nicht".

Ein Begriff in einem Nebensatz reicht allerdings nicht für eine Triggerwarnung, dazu muss ein Thema in einem Buch schon größer bearbeitet werden. Gegenstand der Warnungen sind vor allem sexualisierte Gewalt, Suizid und Rassismus. Die Leser hätten darauf bisher erfreut reagiert.

Der Begriff Trigger stammt ursprünglich aus der Traumatherapie. Er beschreibt Reize, die Erinnerungen an Traumata auslösen können, sodass diese Wunde, so lautet die Übersetzung des altgriechischen Wortes, erneut aufbricht.

Emotionale Egozentrik

Ins Gerede kam der Begriff, als er vonseiten der Political Correctness als ideologisches Instrument im Kampf gegen Rassismus oder Sexismus erkannt wurde. Durch die Verwendung im Dienste einer ideologischen Agenda wurde er berüchtigt, der dogmatischen Wokeness-Bewegung gilt er als Allzweckwaffe: Vor allem, was das Potenzial hat, jemanden zu verletzen, soll gewarnt werden. Das wächst sich aus.

An US-amerikanischen Universitäten gab es schon woke Forderungen, den Begriff "verletzen" nicht mehr zu verwenden, denn er könne ja jemanden ... – man ahnt es schon.

Kritiker werten derlei Ansinnen als überzogene emotionale Egozentrik, die in einem selbstgeschaffenen Opfermythos Distinktion lukriert. Meinungsfreiheit, intellektueller Austausch, emotionale Herausforderungen, die Freiheit der Kunst – alles, was einen erwachsenen und demokratischen Diskurs kennzeichnet, werde damit verunmöglicht. Stattdessen wuchert die sogenannte Cancel-Culture.

Revisionismus und Zensur

Sie ruft zum Boykott gegen Werke, Institutionen oder Personen auf, die der woken Moral nicht entsprechen, sät Revisionismus und Zensur. Die woke Welt ist in Gut und Böse eingeteilt, Platz für Zwischentöne gibt es kaum, Vergebung ist ihr ein Fremdwort. Cancel-Culture wird deshalb als Unkultur wahrgenommen, vielen erscheint sie wie das Werkzeug einer Sittenwächterei.

Dementsprechend aus der Balance geraten sind die Diskussionen: Was manchen ein Fortschritt ist, ist vielen zu radikal. Befürworter wähnen sich auf einer Mission gegen das Unrecht in der Welt; Kritiker prophezeien weitere Blasenbildung und dass sich Menschen Themen verschließen, die ihnen unangenehm sind. Sie sehen in Triggerwarnungen Tore zur Realitätsflucht: Was nicht passt, wird bekämpft.

Was sagen Betroffene

Bei Haymon glaubt man nicht, "dass ein großer Teil der Leserschaft sagt, wir lesen wegen dieser oder jener Triggerwarnung ein Buch nicht mehr, denn wir wollen uns mit der Problematik nicht auseinandersetzen". Aber was sagen Betroffene eigentlich dazu?

Marlene B. ist Psychotherapeutin und Traumaexpertin, die auf eine namentliche Nennung hier verzichten möchte. Sie hat betroffene Personen gefragt.

Die erste sagt: "Wenn ich in sozialen Medien die Content-Note lese und ich finde ein Stichwort zu einem Thema, das mich betrifft, gehe ich mit einer anderen Grundhaltung an den Text ran. Ich bin vorgewarnt. Als übersetzten Begriff würde ich ‚Inhalte‘ bevorzugen, da der Begriff Triggerwarnung zu sehr verbrannt ist und einen schwierigen Kontext schafft. Natürlich können dabei nur allgemein bekannte schwierige Inhalte erfasst werden und nicht individuell als schwierig erlebte Inhalte."

Eine zweite betroffene Person sagt: "Die Orientierung am Genre und der damit einhergehenden Erwartung ist ausreichend. Wenn ich einen Krimi sehe, weiß ich, was mich erwartet. Ich frage mich: Was sollen Triggerwarnungen bewirken? Sie führen zu einer ständigen Enttäuschung, nicht genug gewarnt zu werden. Mir muss klar sein, dass ich getriggert werde, und einen achtsamen Umgang lernen."

Gegenteiliger Effekt

Was bedeutet das für die Kunst? Warnungen vor unflätiger Sprache im Hip-Hop gibt es seit 30 Jahren. Was als moralisierender Hinweis gedacht war, wurde von Fans schnell zur Auszeichnung umgedeutet und bewirkte somit das Gegenteil. Soll die Literatur das wiederholen?

Manfred Rebhandl ist Autor beim Haymon-Verlag. Er zeigt für Triggerwarnungen kein Verständnis und nennt sie eine Zensurmaßnahme. "Die Welt ist alles, was vorstellbar ist, vom Dreck bis zur Schönheit, und die Kunst muss all das abbilden können und dürfen." Er verweist auf den Philosophen Robert Pfaller. Der schreibt, dass derlei Diskussionen bloß dem Neoliberalismus zuarbeiten würden und von den eigentlich wichtigen Problemen ablenken. Doch die Veränderung ist bereits im Gange.

Selbst wenn Haymon mit seinen Warnungen noch eher allein auf weiter Flur ist, machen sich auch andere Verlage Gedanken, wie mit dem Thema umzugehen ist. Allerdings spricht auf Anfrage niemand gern über das Thema. Der Grundtenor aber ist: Man vertraut darauf, Leser zu haben, die zwischen Figurenrede und Autorenmeinung unterscheiden und kontextspezifische Ausdrücke nachvollziehen können. Jedenfalls seien explizite Triggerwarnungen noch kein Thema und, so versichert nicht nur Haymon, man greife nicht in Texte ein, um sie zu glätten.

Wind aus den Segeln

Mehrere Titel machten heuer auch ohne das Label Triggerwarnung bereits Zugeständnisse an diese Empfindlichkeiten. Im Anhang ihres in den 1860ern spielenden Romans Wie viel von diesen Hügeln ist Gold, erklärt die Autorin C Pam Zhang, warum sie "Indianer" statt "Native Americans" verwendet. Und Colson Whiteheads Roman Harlem Shuffle wurde mit dem Hinweis versehen, dass es sich bei darin verwendeten Begriffen um die Sprache der 1960er handle, Sprache sich wandle und manche Begriffe heute nicht mehr verwendet würden.

Solche Nachworte scheinen Verlagen offenbar ein Weg zu sein, der Diskussion Wind aus den Segeln zu nehmen, ohne sich ihr zu beugen. (Karl Fluch, Michael Wurmitzer, 5.12.2021)