"Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, mitten in einem Lockdown, macht die ÖVP ihre interne Krise zu einer Regierungs- und Staatskrise." SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried
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Es war ein frostiger Oppositionsempfang für Neo-Kanzler Karl Nehammer und sein neues ÖVP-Regierungsteam.

SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried zerpflückte die Rochaden an der ÖVP-Regierungsspitze als "Zusammenbruch des türkisen Systems". Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, "mitten in einem Lockdown, macht die ÖVP ihre interne Krise zu einer Regierungs- und zu einer Staatskrise und das Kanzleramt zu einem Durchhaus und einer ÖVP-internen Verschubmasse", merkte Leichtfried wenige Minuten nach der Rede Nehammers an, in der dieser sich als neuer ÖVP-Obmann und Kanzlerkandidat vorgestellt hatte.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner will erst am Samstag um elf Uhr in einer Pressekonferenz zu den Vorgängen an der ÖVP-Regierungsspitze Stellung nehmen.

Chaosstunden

"Es tut mir im Herzen weh, dass die ÖVP die höchsten Ämter als parteipolitische Verschubmasse behandelt. Der Souverän sollte befragt werden." Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger
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Mit teilweise wortgleichem Vokabular wie Leichtfried beurteilte auch Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger die Chaosstunden an der ÖVP-Spitze. Es tue ihr "im Herzen weh, dass die ÖVP die höchsten Ämter als parteipolitische Verschubmasse behandelt". Die Regierung stehe "vor dem Scherbenhaufen im Pandemiemanagement", und die ÖVP, gegen die auch von der Staatsanwaltschaft als Partei ermittelt wird, sei mit sich selbst beschäftigt.

Nehammer sei als Bundeskanzler sicher "nicht das beste Zeichen", zumal er als Generalsekretär ein Spitzenfunktionär der Partei gewesen sei und als Innenminister offene Fragen, etwa zum Terroranschlag, hinterlasse. Mit Gerhard Karner als neuem Innenminister werde "das Bestreben, das Innenministerium auf professionelle Beine zu stellen und weg vom Postenschacher zu führen, zu Grabe getragen", sagte Meinl-Reisinger.

Tabula rasa

Auch SPÖ-Vizeklubchef Leichtfried fand wenig Freundliches zur bisherigen Performance des neuen Kanzlers Nehammer: "Statt Terroristen das Handwerk zu legen, wurden gut integrierte Schulkinder und ausgebildete Lehrlinge abgeschoben." Die SPÖ stehe jedenfalls "bereit für Neuwahlen, wenn die Regierung nicht weiter zusammenarbeiten kann und eine Regierungspartei die Koalition beendet", sagte Leichtfried.

"Die ÖVP versucht, in einer Notoperation alle türkisen Zellen aus der Volkspartei zu entfernen. An Neuwahlen führt kein Weg vorbei." FPÖ-Chef Herbert Kickl
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Wobei er Realist genug sei, um zu erkennen, dass die Chancen dafür nicht allzu gut stünden. "Was die ÖVP anstellt, um an der Macht zu bleiben, sehen wir wieder einmal dieser Tage. Und auch die Grünen haben in den vergangenen zwei Jahren oftmals gezeigt, dass sie politisch viel schlucken, um in der Regierung zu bleiben."

Schon am Vortag hatte auch Burgenlands SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil Neuwahlen verlangt: "Ich glaube, es ist jetzt die Zeit gekommen, Tabula rasa zu machen und zu sagen, jetzt gehen wir in Neuwahlen."

Kogler gegen Neuwahl

Mit im Boot wären auch die Neos. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger meinte, es wäre in dieser Situation "besser, den Souverän zu befragen". Zwar nicht aktuell im Lockdown, aber nach Bewältigung der Corona-Krise im frühen nächsten Jahr sollte "der Weg für Neuwahlen freigemacht werden".

Und schließlich: Auch für FPÖ-Obmann Herbert Kickl führt kein Weg mehr an Neuwahlen vorbei. Die ÖVP versuche zwar, "in einer Art Notoperation alle türkisen Zellen aus der Volkspartei zu entfernen", sie dürfe aber mit ihrer "breit angelegten Kindesweglegung" nicht durchkommen, sagte Kickl.

Eine Mehrheit für Neuwahlen könnten die Grünen bieten, aber Grünen-Vizekanzler Werner Kogler lässt die Appelle an sich abperlen: Jetzt sei kein Zeitpunkt für Neuwahlen. (Walter Müller, 3.12.2021)