Alois Birklbauer ist verstimmt. Der Leiter des Strafrechtsinstituts der Linzer Kepler Universität gehört zu jenen fast 140 Personen und Organisationen, die das neue Gesetz zur Sterbehilfe in Österreich analysierten und juristische Anmerkungen machten. Davon floss zu seinem Ärger aber nichts Erwähnenswertes mehr in die Regierungsvorlage ein, die das Justizressort erst kürzlich an den zuständigen Ausschuss im Nationalrat schickte. Überhaupt konnte das Gesetz nur drei Wochen begutachtet werden und wird am 7. Dezember nahezu unverändert besprochen. "Eine Farce", moniert Birklbauer.

Denn das Thema ist ein heikles. Zum Jahreswechsel gibt es ein neues Regelwerk für den "assistierten Suizid". Künftig ist es nicht mehr strafbar, einer schwerst- oder unheilbar kranken Person dabei behilflich zu sein. Dafür wurde eine sogenannte Sterbeverfügung geschaffen, mit der man sich ein tödliches Präparat aus der Apotheke holen kann. Es wurden aber auch einige Hürden einzogen.

Zeigten sich zufrieden mit dem aus ihrer Sicht "ausgewogenen" Kompromiss: Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und Justizministerin Alma Zadić (beide Grüne).
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Ausschließlich Volljährige können eine solche Verfügung "höchstpersönlich" bei einem Notar oder Patientenanwalt errichten. Davor ist ein aufklärendes Gespräch mit zwei Ärztinnen und Ärzten nötig – eine davon braucht eine palliative Ausbildung. Kommen Zweifel auf, was die Entscheidungsfähigkeit betrifft, wird die sterbewillige Person auch psychisch begutachtet. Dann folgt eine "Bedenkzeit" von zwölf Wochen, bis die Verfügung aufgesetzt wird. Nur wenn der Tod absehbar ist, verkürzt sich diese Frist auf 14 Tage. Das tödliche Präparat darf vom Betroffenen oder einer laut Verfügung berechtigten Person abgeholt werden – einnehmen müssen es die Schwerstkranken selbst.

Einschränkung "zumindest grenzwertig"

Genau dieses Prozedere kritisiert Birklbauer als zu aufwendig – und zu kostspielig. Das Justizressort hatte im Dialogforum zum Thema von etwa 2.000 Euro gesprochen. Birklbauer befürchtet, dass dies nicht reichen werde und der Sterbewunsch so zu einer Sache derer wird, die es sich leisten können.

"Das umso mehr, weil das Gesetz stellenweise so unbestimmt formuliert und jeder Arzt damit einem strafrechtlichen Risiko ausgesetzt ist", sagt Birklbauer. So sei etwa die "schwere, dauerhafte Krankheit" im Gesetz nicht näher definiert. "Das wird das Honorar der Ärzte deutlich erhöhen."

An sich glaubt Birklbauer, dass die Novelle noch ein Fall für den Verfassungsgerichtshof (VfGH) werden könnte. Denn dass der assistierte Suizid nur für bestimmte Personengruppen straffrei wird, sei "zumindest grenzwertig". Das Höchstgericht, das jene Passage im Gesetz im Dezember des vergangenen Jahres kippte, habe nicht vorgeschrieben, das "Jedermannsrecht" einzuschränken, wie der Jurist interpretiert. "Um das auszuweiten, fehlt aber der politische Wille."

Dammbruch für die ÖVP

Erst durch den VfGH-Spruch war die türkis-grüne Regierung überhaupt gezwungen, hier etwas zu tun. Vor allem in der ÖVP empfand man das als Dammbruch. Daraus machten Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) und Co kein Geheimnis. Um das Thema des assistierten Suizids hatte die ÖVP bisher einen großen Bogen gemacht – auch wegen ihrer Nähe zur katholischen Kirche.

Was diese davon hält, stellte die Bischofskonferenz unmissverständlich klar: Die neue rechtliche Praxis will man in den kirchlichen Spitälern verbieten, bei Zuwiderhandeln droht man Medizinern sogar mit Konsequenzen. Es wird betont, dass das Leben bis zu seinem natürlichen Ende zu schützen sei. Gesetzlich kann aber ohnehin weder die Hilfeleistung, die ärztliche Aufklärung, noch die Mitwirkung an der Sterbeverfügung erzwungen werden.

Nun hatten die Türkisen aber keine Wahl mehr. Bis Jahresende blieb Zeit, Regeln zu schaffen. Die ÖVP wollte ein möglichst restriktives Gesetz, bewegte sich aber. Die Koalition wird beispielsweise nicht nach einer Zweidrittelmehrheit suchen, um das weiterhin verbotene Töten auf Verlangen zur Absicherung in die Verfassung zu schreiben. Diesen Wunsch hegt die ÖVP seit Jahren. Die Grünen, die intern selbst zwischen liberaleren Ansichten und Caritas-Positionen zu vermitteln hatten, spielten da aber nicht mit.

Erst Ende Oktober präsentierten Edtstadler, Justizministerin Alma Zadić und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (beide Grüne) einen Kompromiss, den man als "ausgewogen" ansah. In der ÖVP hofft man seither vor allem, dass der angekündigte Ausbau der Hospiz- und Palliativeinrichtungen dazu führt, dass das neue Gesetz nur selten angewendet wird.

Rumoren in der Koalition wegen Waffenoption

Wenige Wochen, bevor die neuen Regeln gelten, rumort es allerdings in der Koalition. Zumindest vereinzelt ist man bei den Türkisen nicht nur zufrieden über das Verhandlungsergebnis – schuld daran seien die Grünen. Die Novelle, so der Vorwurf, erlaube es, dass künftig Suizidwillige auch straffrei dabei unterstützt werden können, an eine Waffe zu gelangen. Die Sterbeverfügung sei also keine absolute Bedingung für die Straffreiheit beim assistierten Suizid.

Das Gegenteil hätte sich ÖVP-Menschenrechtssprecherin Gudrun Kugler "gewünscht", wie sie sagt. Die bekennende Gegnerin von Abtreibungen und der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften beklagt, dass "gerade bei einer Mitwirkung bei einem Brutalsuizid" die zwölfwöchige "Bedenkzeit" damit wegfalle, "obwohl der VfGH ein geeignetes Mittel zur Feststellung der Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches eingefordert hat". Das ist etwa auch die Position der Bischofskonferenz. Aber auch dagegen stemmten sich die Grünen offenbar in den Verhandlungen.

"Dient nur dazu, Stimmung zu machen"

Der Juniorpartner entschied sich aus zweierlei Gründen für seine Linie: Zunächst verhalf einer der Antragsteller des VfGH-Entscheids selbst seiner schwer krebskranken Gattin zu einer Waffe und wurde dafür zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Das angeführte Beispiel des Koalitionspartners empfindet man daher als schlecht gewählt. Davon abgesehen entschied das Höchstgericht, dass der assistierte Suizid ganz allgemein ein Grundrecht im Sinne der Autonomie ist. Es bleiben aber auch hier Hürden, wie die Grünen auf Nachfrage betonen: Die betroffene Person muss schwerstkrank und eine ärztliche Aufklärung erfolgt sein. Alles, was davon abweicht, bleibt strafbar.

"Das jetzige Betonen dieser 'blutigen Suizide' ist kein rechtliches Argument", moniert Birklbauer, "sondern dient nur dazu, Stimmung zu machen." Dass der Fall des Antragsstellers ein Motiv für den Entscheid des Höchstgerichts war, glaubt er zwar nicht, eine konkrete Begehungsart sei für den VfGH nie im Fokus gestanden. Es gehe aber schlicht darum, die Möglichkeit des assistierten Suizids bei schwerer Krankheit und hinreichender Aufklärung zu ermöglichen. Damit stehe "alles zur Verfügung, außer der Bezug des Medikaments aus einer Apotheke", erklärt Birklbauer. An das Präparat gelangen Betroffene nur über den Prozess der Sterbeverfügung. "Wir wissen allerdings aus den Umfragen, dass die Mehrheit der Bevölkerung einen assistierten Suizid durch Medikamente will."

Bei den Grünen glaubt man, dass die ÖVP auf den letzten Metern noch "Angst vor der eigenen Courage" bekommt. In den Verhandlungen sei spürbar geworden, wie schwer sich die Türkisen mit dem Thema tun. Auch oder gerade mit der Kirche im Rücken. (Jan Michael Marchart, 6.12.2021)