Reden kann er. Der neue ÖVP-Chef und baldige Kanzler Karl Nehammer hat bei seiner programmatischen Ansprache großteils die richtigen Worte gefunden. Er hat die Rückkehr zur Handlungsfähigkeit und die Bekämpfung der Pandemie ins Zentrum gestellt. Doch reden konnte auch Sebastian Kurz, dessen Fußstapfen definitiv nicht so groß sind, wie es sein Nachfolger skizziert hat. Im Gegenteil: Der Erfinder der türkisen PR-Maschinerie, der trotzig mit den höchsten Ämtern des Staates zu seinem Machterhalt gespielt hat, hinterlässt einen Scherbenhaufen, der das Land lähmt und dessen Beseitigung noch viel Aufwand und politische Energie kosten wird. Kraft, die eigentlich für den Kampf gegen Corona nötig wäre.

Cartoon: Oliver Schopf

Die Auswahl der Personen für das neue ÖVP-Team klingt nach alter schwarzer Methode. Es wird versucht, möglichst Länder (Finanzminister Magnus Brunner aus Vorarlberg, Bildungsminister Martin Polaschek aus der Steiermark, Neo-Staatssekretärin Claudia Plakolm aus Oberösterreich) und Bünde (Elisabeth "Elli, es ist vorbei" Köstinger kann doch bleiben) zu bedienen, und am Ende gewinnt Niederösterreich. Durch diese Dominanz wird Johanna Mikl-Leitner, in deren Bundesland spätestens 2023 gewählt wird, zur neuen Schattenkanzlerin Österreichs. Dass der nicht für seine Sanftmütigkeit bekannte Niederösterreicher Nehammer und der für seine Schlammschlachten-Expertise berüchtigte Neo-Innenminister Gerhard Karner übernehmen, ist gewiss kein Zufall. Projekt Ballhausplatz-Verteidigung ist angesagt.

Überfällige Maßnahme

Zur Sicherheit wurden aus jetziger Sicht alle in der Chat-Affäre belasteten Türkisen ausgetauscht. Diese eigentlich überfällige Maßnahme sollte tatsächlich mehr Handlungsfähigkeit bringen und nimmt gleichzeitig der Opposition im Vorfeld des nächsten U-Ausschusses Angriffsfläche.

Doch geht sich das alles aus? Schafft die Regierung mit dieser erneuten Neuaufstellung tatsächlich die Rückkehr zur Sacharbeit? Sie hat wohl keine Wahl, denn wenn jetzt die Koalition gesprengt wird, dann zerbröselt es nicht nur die ÖVP, sondern mit ihr auch die Grünen. Der stärkste Profiteur wäre, wie so oft in diesem Land, die FPÖ, mit welcher kein Staat zu machen ist.

Doch was tun? Die ÖVP muss endlich aufhören, die Personalpolitik über die Sachpolitik zu stellen. Es geht nun schlicht darum, Verantwortung zu übernehmen. In Österreich ist das leider keine Selbstverständlichkeit. Nehammer hat als Regierungschef jetzt den Auftrag, gegen die von seiner Partei erzeugte Enttäuschung und Verunsicherung innerhalb der Bevölkerung zu arbeiten.

Das Pflegepersonal auf den Intensivstationen, das lange versprochenen geringen Prämien nachrennen muss, hat es nicht verdient, sich wegen der Egozentrik der Politik vernachlässigt zu fühlen. Die Jugend des Landes hat es nicht verdient, aufgrund von widersprüchlichen politischen Regeln im Unklaren darüber gelassen zu werden, wie es in der Schule weitergeht. Jene, die sich immer an alle Corona-Maßnahmen gehalten haben, haben es nicht verdient, dass eine selbstgefällige Politik unnötige Verzögerungen in der Pandemie-Bekämpfung erzeugt.

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Karl Nehammer muss eine neue Volkspartei bauen, die sich dem Volk verpflichtet fühlt.
Foto: REUTERS/LISI NIESNER

Karl Nehammer muss eine wirklich neue Volkspartei bauen. Eine, die sich dem Volk verpflichtet fühlt – statt zuallererst der Partei. Ob türkis, schwarz oder anders gefärbt, ist völlig egal. (Rainer Schüller, 3.12.2021)