Man dürfe "privilegierten Männern, die Care-Arbeit bestenfalls vom Zuschauen kennen, nicht allein die Umverteilung von Ressourcen überlassen", sagt die Schriftstellerin Gertraud Klemm im Gastkommentar anlässlich der Rücktrittsworte von ÖVP-Chef und Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel.

Illustration: Fatih Aydogdu

Da stehen sie, die frischgebackenen Papis Sebastian Kurz und Gernot Blümel, und pochen auf ihr Recht auf väterlichen Fruchtgenuss. Nach all den Monaten ungedankter, selbstverständlich erwarteter Fürsorgearbeit, die wir geliefert haben. Nach all den Wochen, in denen Schulen zu waren und Kirchen und Waffengeschäfte offen. Nach all den Bildern von Corona-Pressekonferenzen und Ministerratssitzungen, die ebenso gut in Prostata-Selbsthilfegruppen hätten entstanden sein können, in denen reine Männerrunden volkswirtschaftlich billige Schulschließungen in Kauf und "Familien"-nahe Unternehmen aus der Pflicht genommen haben. Nach all den Stunden, die Frauen und Mütter auf das normale Pensum noch draufgelegt haben, damit die Kinder in den Lockdowns lernen, essen und nicht verzweifeln. Nach all den Erfahrungsberichten, in denen uns die August Wögingers und Co verraten haben, wie toll das ihre brav home-schoolenden Frauchen mit den Kids hinkriegen. Nach dem herablassenden Geschwafel über die "Kulturverliebten" und den vorauseilenden Corona-Spritzen, die zu fetten Boni vergoldet wurden. Nach all den Statistiken über Burnouts, suizidale Jugendliche und analphabetische Drittklässler.

Vaterschaft im Doppelpack

Nach diesem Ohrfeigenmarathon also, und mitten im vierten Lockdown, fordern die Jungväter ihr Recht auf Familienzeit ein. Tauschen Machtverlust, Untreuevorwürfe, Korruptionsverdacht und drohende Absetzung ganz entspannt gegen das Privileg der Vaterschaft. Einer Vaterschaft, die mit der spirituellen Ideologie der ÖVP gesegnet ist. Die sich den Vater aus Fleisch und Blut erträumt, der seine Familie beschützt, so wie er sein Land verteidigt und sein Hab und Gut, sollte es mal nötig sein. Die sich aber im statistischen Alltag eher als Papi herausstellt, der mit dem Auto ins Büro fährt, drei Viertel des Familieneinkommens verdient und sich für Haushalt eher nicht geboren fühlt. Es ist eine Vaterschaft, die am liebsten in ihrer biologisch-historischen Herrschaftserzählung schwelgt und nur im Doppelpack mit der unbezahlten Mutterliebe funktioniert: Mutti darf gebären, kochen, putzen, liebhaben und ein bissi Teilzeit arbeiten. Wo Vati gibt, darf Mutti nehmen, und umgekehrt, und dann gibt’s auch reichlich glückliche AHS-gebildete Kinder mit roten Bäckchen. Vaterschaft als Hostie, die ideologisch aufgeladen bedeutsam strahlen darf, im praktischen Gebrauch aber eher untauglich ist.

Biologische Schwerkraft

Klick habe es gemacht, sagte der Kanzler. Es ist dieses fast zufällige Einrasten, das der Laut impliziert: Schnell ist sie eingetreten, die Erkenntnis, einem physikalischen oder biologischen Grundgesetz gehorchend. Als wäre Vaterschaft ein Software-Update, das sich mit einem Display-Wisch bewerkstelligen lässt. Als wäre sie nicht Teil einer Elternschaft, die von Millionen von Elternpaaren (gar nicht zu reden von Alleinerziehenden) wohlüberlegt abgewogen, durchgerechnet, bilanziert und entschieden werden muss, weil Kinderkriegen eben eine Umverteilung von bezahlten und unbezahlten Ressourcen verlangt, was dank ÖVP eben immer noch bedeutet, dass Frauen, einer biologischen Schwerkraft folgend, sich aus dem Erwerbsleben zurückziehen und das Unbezahlte übernehmen.

Das macht den Moment des Kinderkriegens zur Schlüsselstelle für so gut wie alle feministischen Baustellen: ungleiche Bezahlung, Frauenarmut, Abhängigkeit und Unterpräsentation in Machtzirkeln. Und in ebendiesem neuralgischen Moment drehen die Jungväter den Spieß um und beweisen den Umkehrschluss: Seht her, wir können Erwerbsarbeit gegen Vaterrolle tauschen. Einfach so! Was wirtschaftlich, rechtlich und einkommenstechnisch für euch Pöbel nicht Realität ist, weil Parteien wie unsere ÖVP das zu verhindern wissen, leisten wir uns. Und tschüss!

Machtgeile Männer

Und während sie gehen, erinnern wir uns, dass noch kein ausgemusterter Spitzenpolitiker in Agonie darben und Buße tun musste. Zu oft schon haben wir gesehen, wie sie in privatwirtschaftlichen Versorgungsposten gepolstert dem verdienten Ruhestand entgegenprosperieren durften (das gilt nicht für Johanna Dohnal). Wir wissen auch, dass nichts Besseres nachkommt. Haben jene Männer, die nachfolgen werden, jemals in Wortmeldungen oder Interviews durchblicken lassen, ob sie persönlich mit einem schreienden Baby, einem dementen Schwiegervater oder einem vollgekotzten Kinderzimmer zurechtkommen mussten? Dafür sehen wir sie schon auf den Wahlplakaten von morgen, entzückende Kindermodels väterlich an sich drückend. Ist nicht eh schon alles wurscht? Warum sollen Kurz und Blümel in ihren Abschiedsreden nicht ihre Babys als Feigenblätter missbrauchen?

Weil wir dank Pandemie, Skandalen und Kanzlerbaby selten so schön vorexerziert bekommen, was in diesem Land falsch läuft. Wir haben ein Problem mit privilegierten, machtgeilen Männern, die schlimmstenfalls weder berufliche noch private Lebenserfahrung haben. Ihren schieren Informationsmangel büßen wir: in Form ihrer Empathielosigkeit und Korrumpierbarkeit.

Ein Knochenjob

So, wie man Städte nicht mehr ohne Fahrrad fahrende und zu Fuß gehende Menschen planen darf, darf man privilegierten Männern, die Care-Arbeit bestenfalls vom Zuschauen kennen, nicht allein die Umverteilung von Ressourcen überlassen. Und schon gar nicht darf man sie durch Jüngere austauschen, die unbezahlte Arbeit nicht einmal vom Wegschauen kennen – um sie dann, wenn es einen Grund für einen Rücktritt braucht, keck aus dem Hut zu zaubern. Dieser Begriff von Vaterschaft ist eine Beleidigung für alle, die ihre Rolle ernst nehmen. Ganzheitliche Vaterschaft ist mehr als eine Hostie, die man lächelnd in die Kamera hält: Sie ist ein Knochenjob, für den oft echte Opfer gebracht müssen. Hoffen wir, dass wenigstens die Babys ihren Job gut machen und die Jungväter ein bisschen Empathie lehren. (Gertraud Klemm, 4.12.2021)