Anna Netrebko – glücklich im Schnee und in der Küche.


Foto: Melina Kutelas

Essen ist die Glücksinsel des stressgeplagten Erdenwurms, der letzte Zufluchtsort, wenn die Alltagslast zu erdrücken droht. Auch eine Diva kennt das, die Bühne ist nicht immer ein Garten der Erfüllung. Wer Anna Netrebkos CD Amata dalle tenebre ("Von der Dunkelheit geliebt") hört, die Leichtigkeit und Pracht ihres Timbres, möchte das natürlich nicht glauben. Kann es Erfüllenderes geben, als vokal so abzuheben wie sie bei Poveri fiori, gemme de’ prati aus Adriana Lecouvreur? Wohl kaum.

Dennoch schlummert da ein Defizit, das den Wunsch nach Gegenwelten befeuert. In ihrem Kochbuch Der Geschmack meines Lebens (Molden-Verlag) sind jedenfalls Bekenntnisse zu lesen: "Manche sagen: Um künstlerisch Wesentliches zu schaffen, muss man leiden. Aber ich will nicht leiden! Ich will glücklich sein!" Für die Austrorussin bedeutet dies, Freunde zu bekochen, wo immer sie als Kosmopolitin gerade singt.

Diese Mengen an Öl

Auch in ihrem Wiener Domizil lädt sie sich gerne Gäste ein, die jedoch auf ein Wiener Schnitzel nicht hoffen sollen. Isst sie selbst zwar gerne. Die Zubereitung jedoch liegt ihr nicht. Sie will nicht diese "Mengen an Öl verwenden" und übrigens auch keine Burger servieren! In Kalifornien, als ihre internationale Karriere begann und die Kraftausdrücke "Shit" und "Bullshit" Teil ihres Vokabulars wurden, kam sie zum Schluss, dass ihr "Crab-Cakes" besser schmecken.

Schwein gehabt

Der von Netrebko Bewirtete muss jedoch keine vegetarischen Attacken fürchten. Wenn sie etwa an der New Yorker Met gastiert und sich ihre Wohnung in Manhattan zum spontanen Partyhotspot wandelt, ist Schweinebraten das Angebot ihrer Wahl. Er sei leicht zubereitet und zerteilt, insofern ideal als Fingerfood. Klar. Am nächsten Morgen zahlt womöglich auch die Diva einen Preis für glückselige Stunden in Form von Müdigkeit.

"The Bomba", ein Smoothie mit Banane, Honig, Milch, einer Handvoll Walnüssen und zwei rohen Bio-Eiern, bringt womöglich Energie. Es braucht jedenfalls Extraenergie, um auch nur im Studio Isoldes Liebestod aus Tristan so hingebungsvoll, ehrlich und also sehr respektabel zu stemmen. Es gibt ein Reich, wo alles rein ist aus Strauss’ Ariadne auf Naxos ist da schon eher ein Problem.

Mailänder Scala

Da klingt die Stimme stark beansprucht, der das italienische Repertoire besser liegt. Da kann Netrebko auf der Einspielung Lyrisches, aber auch den dramatischen Touch einbringen. Auf Arte wird man das übrigens demnächst live erleben können. Der Sender überträgt die Saisoneröffnung an der Mailänder Scala, die Netrebko als Lady Macbeth beehrt (7. Dezember).

Im Kochbuch kommt die Heimat Verdis und Puccinis natürlich vor – Italien als Mekka der Nudeln. "In Pasta kann ich mich eingraben!", schwärmt "der Tomatenfreak" (Selbstdefinition Netrebko), der jedoch an anderer Kochbuchstelle seine Vielseitigkeit betont. In Salzburg, wo Netrebkos Karriere bei der Jagd nach Don Giovanni erblühte, "schmeckt mir alles".

Unüberbietbar bei Puccini

Doch Vorsicht! Bezogen aufs Singen gibt es ein paar Verbote – also keine harten Getränke, keine Nüsse, keine rohen Eier und damit wohl auch kein "Bomba-Smoothie". Wie immer sie sich jedoch vorbereitet hat: Es klingt Netrebko unüberbietbar bei Puccinis Un bel di, vedremo aus Madama Butterfly, während Purcells When I Am Laid in Earth aus Dido und Aeneas an zu viel Schönheit leidet. Da streut die Köchin zu viel Zucker in die Trauer von Dido.

Die Einspielung (mit Dirigent Riccardo Chailly und dem Scala-Orchester) ist dennoch empfehlenswert. Sie ist ein Dokument vokaler Höhepunkte und des Branchenzustands. Sie zeigt: Auch für die berühmteste Sopranistin der Gegenwart (sehr oft auch die beste) gibt es keine Gesamtaufnahmen von Opern, nur Häppchen-CDs wie die aktuelle, der quasi ein Kochbuch "beigelegt" wird. Kommt als Nächstes ein Hörkochbuch, bei dem Netrebko Rezepte singt? Eine Kochserie auf Netflix oder eine Reise durch ihre Kleiderschränke auf Youtube?

Wiener Blicke

Das Kochbuch ist immerhin – zwischen Rezepten für Blini-Torte mit Lachs und Forellenkaviar oder Tagliatelle mit Kaninchen – auch eine abwechslungsreiche kleine Biografie. Sie startet in Krasnodar, als man im Hause der kleinen Anna nicht Wodka, sondern von Papa zubereiteten Wein trank. Und sie endet im Wiener Domizil, von dem aus Netrebko einen beruhigenden Blick auf den Stephansdom werfen kann, während sie in der Küche den Stress der Bühne wegkocht. (Ljubiša Tošić, 4.12.2021)