Als die OMV 1974 auf dem Gebiet der heutigen Seestadt Aspern nach Öl und Gas bohrte, sprudelte es aus dem Boden – allerdings nicht schwarz, sondern blau. Statt eines Ölvorkommens hatte man einen unterirdischen Wasserspeicher angebohrt. Anzufangen wusste man mit der heißen Quelle damals allerdings wenig – und suchte weiter nach Öl.

Jahrzehnte später ist das Warmwasser unter Wien aber plötzlich wieder hochinteressant. Will man die Energiewende schaffen, müssen Alternativen zu den Gaskraftwerken her. Eine davon heißt Geothermie: Wärme aus der Tiefe. Wie groß und heiß das Wärmevorkommen unter Wien ist, versuchte das Projekt Geotief seit dem Jahr 2016 herauszufinden. Vergangene Woche präsentierte Geotief schließlich ein geologisches 3D-Modell des sogenannten Aderklaaer Konglomerats – und es ist vielversprechend.

Bis zu 100 Grad heiß soll der in rund 3.000 Meter Tiefe liegende Wasserspeicher sein, der sich über mehrere Quadratkilometer von Donaustadt bis Simmering erstreckt. In Zukunft könnte dieses Reservoir zigtausende Wienerinnen und Wiener mit klimafreundlicher Wärme versorgen.

Wärme für bis zu 125.000 Haushalte

Geotief schätzt das Potenzial in Wien auf bis zu 120 Megawatt – das ist etwa doppelt so viel, wie das Heizkraftwerk Spittelau derzeit ins Wiener Fernwärmenetz einspeist.

Will man weg vom Gas, ist die zusätzliche Wärmequelle dringend notwendig. Geht es nach dem Plan der Regierung, soll 2040 die letzte Gastherme abgeschaltet werden, bis dahin soll in Wien mehr als die Hälfte des Wärmebedarfs über Fernwärme gedeckt werden, der Rest über Wärmepumpen, so das Ziel von Wien Energie. Mit der Tiefen Geothermie, wie sie aus dem Aderklaaer Konglomerat gefördert werden kann, sollen bis zu 125.000 Haushalte versorgt werden.

"Es ist wirklich ein Wärmeschatz, der da unter Wien liegt", sagt Geotief-Projektleiter Peter Keglovic zum STANDARD. Ein "perfect match" sei, dass an der Oberfläche bereits eine Fernwärmeinfrastruktur bestehe, in welche die Wärme künftig einfach eingespeist werden könne.

Wärme wie in der Therme

Dazu wird bei einer zukünftigen Geothermieanlage das Reservoir an zwei Stellen angezapft: Durch die eine Bohrung strömt das heiße Thermalwasser an die Oberfläche, wo ihm die Wärme entzogen wird. Rund zwei Kilometer entfernt wird das abgekühlte Wasser wieder zurückgepumpt. Einmal aufgebaut ist so eine Anlage vergleichsweise günstig zu betreiben, weil sie etwa im Gegensatz zu einem Gaskraftwerk keinen Brennstoff benötigt.

Die Wärme im Erdinneren kommt zum Teil noch aus der Entstehung der Erde vor Milliarden von Jahren. Aufbrauchen kann man sie in nächster Zeit aber nicht, denn durch radioaktiven Zerfall entsteht ständig neue Wärme.

Die neuen Geothermieanlagen in Wien wären zusammen zwar das größte Erdwärmeprojekt in Österreich, ganz neu ist die Technologie aber nicht. In Oberösterreich und im steirischen Becken stehen schon zehn Anlagen, die älteste ist 20 Jahre alt.

Trotzdem spielt Geothermie in Österreich und auch weltweit eine bisher untergeordnete Rolle. Wenn man über die Energiewende spricht, ist meistens von Wind und Photovoltaik die Rede. "Wir hatten die letzten Jahre eine Diskussion, wo Energiewende gleich Stromwende geheißen hat", sagt Rolf Bracke, der die Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie leitet. Was oft vergessen werde: Rund die Hälfte der Energie wird als Wärme verbraucht. Nicht nur Wohnungen müssen beheizt werden, auch Betriebe – von der Papierfabrik bis zur Bäckerei – brauchen Hitze.

Wo diese herkommt, darüber hat man sich vielerorts lange keine Gedanken gemacht, sagt Bracke. In klassischen Kohleländern wie Deutschland oder Polen sind fossile Brennstoffe im Überfluss vorhanden. Werden sie verbrannt, fällt Wärme beim Verbrennen quasi als Abfallprodukt an. Mit der Stromwende ändert sich das zunehmend – denn Solar- und Windkraftanlagen bleiben kalt, wenn sie Strom produzieren.

In Island, wie hier im Hellisheiði-Kraftwerk nahe Reykjavík, wird Geothermie bereits angewandt.
Foto: ON Power/Arni Saeberg

Teure Suche

Im eher kohlearmen Skandinavien ist man schon weiter. In Schweden etwa konzentriert man sich seit längerem darauf, mit Strom aus Atom- oder Wasserkraft Wärme aus dem Untergrund zu gewinnen. Vor allem dort konnte sich langsam eine Geothermieindustrie etablieren.

Damit das auch in anderen Regionen gelingt, wünscht sich Bracke mehr Hilfe vom Staat. Denn damit die kostenlose Wärme aus dem Boden schießt, muss der Boden zuerst aufwendig untersucht werden – und das ist teuer. So manche Firma musste nach mehreren fehlgeschlagenen Bohrungen schon Insolvenz anmelden.

Staatlich finanzierte Untersuchungsprogramme, Absicherungsfonds oder Risikokapital von Investoren könnten dabei helfen, dass sich auch kleinere Stadtwerke die Exploration leisten können. Bei einer erfolgreichen Bohrung müssten die Unternehmen das Geld nach festgelegten Regeln wieder zurückzahlen. Das wurde schon von Entwicklungsbanken in Afrika und Lateinamerika erfolgreich ausprobiert, sagt Bracke.

Expertise aus der Ölbranche

Zum Flaschenhals könnte noch das Personal werden. Pro Megawatt installierter Geothermie – von Forschung bis Wartung – würden entlang der Wertschöpfungskette rund acht bis 15 Arbeitskräfte benötigt werden. Sollte es zum großflächigen Ausbau der Geothermie kommen, würde man jedes Jahr tausende neue spezialisierte Fachkräfte brauchen, die momentan noch fehlen. Gerade was die Exploration angeht, könnte aber viel Wissen und Personal von der Erdöl- in die Geothermiebranche wechseln.

Auch beim Forschungsprojekt in Wien ist die OMV beteiligt. Um das Aderklaaer Konglomerat auszukundschaften, hat sich das Team von Geotief der Reflexionsseismik bedient – einer Methode, die bereits in der Exploration von Öl- und Gasvorkommen zum Einsatz kommt, wie Keglovic erklärt. Dabei werden Wellen erzeugt, die von den verschiedenen Gesteinsschichten reflektiert werden, aus denen anschließend das 3D-Modell erstellt wurde.

Der Fund des Aderklaaer Konglomerats ist jedenfalls erst der Anfang der Geothermie in Ostösterreich. Denn in noch größerer Tiefe vermuten Geologen den nächsten heißen Tipp für die Wärmewende. (Philip Pramer, 6.12.2021)