Olaf Scholz hielt am Sonderparteitag der SPD eine Rede.

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Die Herzchen sind wieder da, sie poppen unaufhörlich auf dem Bildschirm auf und fliegen Olaf Scholz nur so um die Ohren. Gern hätte die SPD diesen Sonderparteitag als Präsenzveranstaltung abgehalten, es ist schließlich ein angenehmer und besonderer. Diesmal geht es nicht darum, eine neue Parteispitze zu wählen, weil die alte entnervt aufgegeben hat. Die Genossinnen und Genossen sind an diesem Samstag zusammen gekommen, um ihre Zustimmung zum ersten Ampelkoalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP in Deutschland zu geben.

Aufbruchsstimmung

Wegen Corona ist der Parteitag nur digital möglich, aber der virtuell geherzte Scholz ist dennoch sehr zufrieden. "Das ist ein ganz besonderes Gefühl", sagt er und erinnert an den letzten Parteitag der SPD im Mai. Da sei noch nicht klar gewesen, dass die SPD die Bundestagswahl gewinnen werde. Doch dann habe man es geschafft. Er erinnert an den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt, der 1969 ins Amt kam. "Es war eine große Zeit", sagt Scholz, "ein solcher Aufbruch soll uns wieder gelingen." Er erwähnt auch Gerhard Schröder (SPD), der 1998 Helmut Kohl (CDU) als Kanzler ablöste: "Auch das war ein Aufbruch für unser Land und für unsere Partei.

Richtig locker wirkt Scholz, als er noch einmal darauf hinweist, dass ab jetzt die SPD den Kanzler stellen werde: "Es ist unser gemeinsames Werk." Doch er mahnt auch: "Daraus erwächst eine klare Verantwortung. Wir sind verantwortlich für das ganze Land. Es geht nicht um uns, es geht um Aufgaben, die den ganzen Planeten umfassen.

Pandemie und Klimaschutz

Zunächst werde die Corona-Bekämpfung im Vordergrund stehen, da brauche es "eine neue Anstrengung" und eine neue Impfkampagne. Beim Klimaschutz aber werden "die Weichen gestellt für die Zukunft unseres Landes – ob wir es schaffen, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten". Man müsse aber auch dafür sorgen, dass auch in zehn oder 20 Jahren "noch gute Arbeitsplätze vorhanden sein werden"

SPD, Grüne und FDP müssten einen "neuen gesellschaftlichen Konsens stiften". Scholz greift noch einmal den Titel des Koalitionsvertrages auf. "Mehr Fortschritt wagen", lautet dieser. Der Fortschritt aber "kommt nicht von alleine", sagt er. "Zukunft wird gemacht" – von Menschen, von Parteien, von Regierungen und Unternehmern. "Das geht ohne Wagnis nicht", betont Scholz. "Dass etwas getan werden muss, ahnen die meisten und das wissen ziemlich viele", meint er. Nun müsse die Ampelregierung dafür sorgen "dass alle sagen können, es wird auch für mich etwas getan und für meinesgleichen"

98,8 Prozent Zustimmung

Nun müssten sich "alle Parteien einen Ruck geben". Aber er, Scholz, habe das Gefühl, das gefalle den dreien "jetzt ganz gut". Man wolle auch freundschaftlich zusammenarbeiten, um in vier Jahren wiedergewählt zu werden. Denn: "Die Arbeit wird nach vier Jahren nicht getan sein." Explizit erwähnt er noch einmal den Klimaschutz – dass man hier nicht Verzicht predigen wolle, sondern auf neue Technologien setzen.

Zum Schluss wirbt Scholz noch einmal für den Koalitionsvertrag: "Ein Aufbruch kann für Deutschland stattfinden." Wie nicht anders erwartet, stimmt die SPD mit überwältigender Mehrheit, nämlich 98,8 Prozent, für den Vertrag.

Mindestlohn und Ministerium für Bauen

Im Ampelkoalitionsvertrag hat die SPD die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns von 9,60 auf zwölf Euro pro Stunde durchsetzen können. Um Wohnen bezahlbar zu machen, sollen die Mietpreisbremse für Neuvermietungen verlängert und Mieterhöhungen in bestimmten Gebieten stärker gedeckelt werden. Stromkunden sollen entlastet werden, indem die milliardenschwere EEG-Umlage nicht mehr über die Stromrechnung finanziert wird.

Die Parteien verständigten sich darauf, ein neues Bundesministerium für Bauen einzurichten und das Wirtschaftsministerium um das Thema Klimaschutz zu erweitern. Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen, der Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorgezogen werden.

Die FDP entscheidet am Sonntag auf einem Parteitag über den Koalitionsvertrag, die Zustimmung gilt als gesichert. Am Montag endet die Frist des Mitgliedervotums bei den Grünen. Bei diesen dürfen die 125.000 Mitglieder abstimmen. Geben auch sie grünes Licht, dann kann Scholz am 8. Dezember im Bundestag zum Kanzler gewählt werden. An diesem Tag endet auch die 16-jährige Amtszeit von Angela Merkel offiziell. (Birgit Baumann aus Berlin, 4.12.2021)

Update um 14:13 Uhr: Das SPD-Abstimmungsergebnis wurde eingefügt.