Zusammenpacken, um für das Kind da zu sein?

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Sebastian Kurz ist dann also mal weg. Flankiert von sehr üblichen rhetorischen Floskeln, die er allerdings in bemerkenswert unüblicher Gelassenheit vorträgt, zieht sich der Ex-/Schatten-/Nicht-mehr-/Vielleicht-bald-wieder-Kanzler der Republik Österreich zurück. Alle Ämter will er zur Verfügung stellen, zehn schöne Jahre Politik, zwei erfolgreiche Wahlkämpfe, eine Ehre war es natürlich, danke, Mutti, Gott und Vaterland, dies das.

Jetzt freut er sich auf die gemeinsame Zeit mit seiner Freundin und seinem neugeborenen Sohn, sagt er. Es sei ihm gegönnt und viel Freude dabei gewünscht. Aber es ist schon auch etwas ("etwas" wird hier von mir als Idiom meines heimatlichen Berliner Metrolekts verwendet und bedeutet sehr, sehr viel, also im Prinzip fast alles) faul im Staate Österreich. Klick, habe es gemacht, wird Sebastian Kurz zitiert. Also nicht etwa, weil ihm Handschellen angelegt wurden, sondern als er das erste Mal seinen Sohn gesehen hat. Stundenlang könne man sich so ein Baby anschauen.

Care-Arbeit ist erschöpfender Körpereinsatz

Als Vater von vier Kindern pflichte ich ihm da gerne bei. Allerdings habe ich auch feststellen müssen, dass meinen stundenlangen Blicken keine psychokinetischen Kräfte innewohnen. Care-Arbeit erfordert dann doch sehr schnell vollen, ziemlich erschöpfenden Körpereinsatz. Zumindest wenn man sie zu leisten bereit ist beziehungsweise dazu verpflichtet wird. Und weil wir in der Vorweihnachtszeit besonders ehrlich miteinander sein wollen, können wir uns an dieser Stelle sicher darauf verständigen, dass Männer damit zumeist nicht gemeint sind.

Denn auch im ausgehenden Jahr 2021 gilt die alte Regel, dass es sehr wenig braucht, um als großartiger Vater zu gelten, und sehr wenig, um als beschissene Mutter verrufen zu werden. Ausrufe wie "Awww, das ist ja so süß. Toll, wie du dich kümmerst!" sind nach wie vor hauptsächlich für Väter reserviert. Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass ich nicht der Einzige bin, der die "Will mich jetzt um meine Familie kümmern"-Exitstrategie von Sebastian Kurz einigermaßen befremdlich findet.

Wir sprechen doch immer noch von dem Mann, der sich selbst vor gar nicht allzu langer Zeit für so wichtig und unersetzlich gehalten hat, dass er sich einen Vatermonat nicht vorstellen konnte, weil das "als Regierungschef gerade in so bewegten Zeiten" nun einmal nicht möglich sei.

Stundenland Babys anschauen

Es mag anachronistisch, ja töricht erscheinen, Sebastian Kurz zum jetzigen Zeitpunkt auf Existenz und Funktion Werner Koglers als Vizekanzler hinzuweisen, aber ich möchte mir das trotzdem nicht nehmen lassen. Vizekanzler, was könnte das bedeuten? Und wie ist es wohl zu verstehen, wenn in dunklen politischen Gassen darüber gemunkelt wird, dass Werner Kogler Anfang des Jahres für ein paar Wochen das Justizministerium geleitet hat, weil (halten Sie sich fest!) seine Kollegin Alma Zadić in Elternkarenz war. Ja ist denn das die Möglichkeit? Darf der das, ist das überhaupt so vorgesehen?! Also im Prinzip schon – wenn es sich dabei um Frauen handelt.

Frauen, die über die Mutterschaft immer noch naturalisiert und für Care-Arbeit haftbar gemacht werden, ob sie nun wollen oder nicht. Für Männer gilt das nicht. Männer können sich weiterhin Lob und Anerkennung dafür abholen, wenn sie stundenlang Babys anschauen und später mit glänzenden Knopfaugen berichten, wie sehr sie das alles bewegt hat. Sie werden allerdings auch weiterhin darauf reduziert. Und es bleibt eine der zentralen gesellschaftlichen Aufgaben, Männer darauf hinzuweisen, wie viel ihnen genommen wird, wenn man ihnen die Kompetenz und die Lust zum Kümmern qua Geschlecht abspricht. Dass es ihre Identität und Emotionalität verstümmelt, wenn sie sich weiterhin auf den alten Pakt einlassen, Kinder lediglich im Bedarfsfall geltend zu machen und sich nicht als Väter, als Kümmerer, als kompetente Erziehungspartner Geltung zu verschaffen.

Was wir bereuen – und was nicht

Für Sebastian Kurz, dessen Rhetorik unbewusst oder von ihm intendiert nahelegt, dass ihm seine Wahlsiege so viel bedeuten wie die Geburt seines Kindes, bleibt noch viel Zeit, genau das zu tun. Also auch dann Verantwortung zu übernehmen, wenn sie so richtig ungemütlich wird, und nicht nur, wenn sie die Gelegenheit ergibt, mit netten Anekdötchen das eigene Image aufzupolieren. Jenseits aller politischen Vorbehalte wünsche ich ihm genau das. Denn am Ende bereuen wir nicht, zu selten in Meetings gewesen zu sein und uns zu wenig auf unsere Karrieren konzentriert zu haben.

Wir bereuen, nicht offener und freigiebiger geliebt und uns gekümmert zu haben. Wir bereuen unsere Verantwortungslosigkeit, im Angesicht der überwältigenden Möglichkeiten und Notwendigkeiten, Verantwortung zu übernehmen. Wir bereuen, was wirklich zählt. (Nils Pickert, 6.12.2021)