Verstappen und Hamilton in einem der verrücktesten und unterhaltsamsten Rennen aller Zeiten Rad an Rad.

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Der Niederländer brachte seine Führung nicht ins Ziel, er kassierte eine Fünf-Sekunden-Strafe und musste Hamilton passieren lassen.

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Ein sichtlich schwer enttäuschter Verstappen (li) und ein eher Emotionen verbergender Hamilton am Podest.

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Jeddah – Strategiepoker, Basar, Farce, böses Foulspiel: Die Formel 1 bekommt ihr Herzschlagfinale. Lewis Hamilton (Mercedes) und Max Verstappen (Red Bull Racing) gehen in der engsten WM-Saison der Geschichte punktgleich (369,5) ins letzte Saisonrennen am kommenden Sonntag in Abu Dhabi. Über Hamiltons Sieg im Grand Prix von Saudi-Arabien wird aber noch lange gesprochen werden.

Das erstmalige Rennen in Jeddah musste am Sonntag zweimal gestoppt und dreimal gestartet werden. Beide Starpiloten lagen mehrmals in Führung und lieferten sich einen erbitterten Kampf – mit teils fragwürdigen Mitteln. Verstappen kassierte für zwei umstrittene Manöver eine Fünf- und Zehn-Sekunden-Strafe. Eines davon führte zu einer Kollision.

Letztlich gewann Hamilton das Rennen trotz eines beschädigten Frontflügels vor seinem Rivalen und holte sich zudem einen Punkt für die schnellste Runde. Für Abu Dhabi gilt: Wer vor dem anderen in den Punkterängen ins Ziel fährt, ist Weltmeister. Scheiden beide Piloten aus, geht der Titel aufgrund der höheren Anzahl an GP-Siegen (9:8) an Verstappen.

Turbulentes Rennen

Die beinahe WM-entscheidende Schlüsselszene passierte 13 Runden vor Schluss. Verstappen hatte sich davor durch Abkürzen einen unlauteren Vorteil verschafft und sollte Hamilton vorbeilassen. Der Niederländer bremste vor der DRS-Erkennungslinie ab. Der Brite zögerte und fuhr mit seinem Mercedes so knapp an das Heck des Red-Bull-Piloten heran, dass er bei Verstappens "Bremstest" seinen Frontflügel beschädigte.

Die Rennleitung bestimmte nach Anhörung der beiden Fahrer und Auswertung der Telemetriedaten Verstappen als Hauptverursacher der Kollision, weil er "plötzlich" und "merklich" gebremst habe. Er fasste dafür nach Rennende eine Zehn-Sekunden-Zeitstrafe aus. Hamilton hatte es nach diesem Vorfall trotzdem noch an Verstappen vorbeigeschafft und sicherte sich am Ende seinen 103. GP-Sieg. Auf das Ergebnis hatte die Strafe ebenfalls keine Auswirkung, da Verstappens Vorsprung auf den Dritten Valtteri Bottas (Mercedes) groß genug war. Der Finne hatte dem Alpine-Fahrer Esteban Ocon noch auf der Zielgeraden den Stockerlplatz entrissen.

Kontakt mit der Mauer

Verstappen war am Samstag auf dem Weg zu einer klaren Pole-Position in der letzten Kurve gegen die Mauer gekracht und musste deshalb von Platz drei in das Rennen starten. Eine Rückversetzung blieb dem WM-Führenden erspart, weil das Getriebe bei dem Unfall trotz aller Befürchtungen keinen Schaden nahm.

Die Hoffnung, am Start zumindest einen Mercedes zu schnupfen, erfüllte sich nicht. Hamilton kam aus der Pole gut weg, Bottas deckte links von ihm die Frontlinie und so musste sich Verstappen auf dem nagelneuen, 6,17 Kilometer langen und sehr schnellen Stadtkurs zunächst mit Platz drei zufriedengeben.

Mercedes kontrollierte vorne zunächst das Rennen und hatte mit Hamilton vor Bottas das Momentum für sich, während Verstappens "Wingman" Sergio Perez hinter dem Ferrari von Charles Leclerc auf Platz fünf feststeckte.

Zweimal rote Flagge

Es war Haas-Pilot Mick Schumacher, der mit einem Unfall in Runde zehn eine Safety-Car-Phase auslöste und alles auf den Kopf stellte. Hamilton und Bottas kamen sofort zum Reifenwechsel an die Box, Verstappen blieb hingegen draußen. Weil die beschädigten TechPro-Barrieren repariert werden mussten, wurde das Rennen aber gestoppt.

Die rote Flagge holte das Feld an die Box zurück und war scheinbar der Jackpot für Verstappen. Denn damit ging er nicht nur als Führender in den stehenden Restart, sondern ersparte sich auch noch einen Reifenwechselstopp.

Die Fortsetzung dauerte aber nur Sekunden. Hamilton gewann von P2 aus den Start, Verstappen überholte ihn aber mit einem unerlaubten Abkürzmanöver in Kurve eins, Ocon nutzte die Gunst der Stunde und zog dabei ebenfalls an Hamilton vorbei. Weil hinten drei Fahrer crashten, wurde das Rennen jedoch erneut gestoppt, um den Schrott von der Strecke zu räumen.

Verhandlung vor drittem Start

Nun war die Frage, ob und wie Verstappen für sein Abkürzmanöver bestraft werden würde. Um dies zu klären, eröffnete Rennleiter Michael Masi mit Red Bull eine Feilscherei wie auf dem Basar. Red Bull bekam von Masi zunächst das Angebot, als Schadenswiedergutmachung von P2 zu starten. Masi hatte aber übersehen, dass Ocon im Tumult nach vorne gekommen war. Also einigten sich die Beteiligten auf Platz drei für Verstappen beim Restart, hinter Ocon und Hamilton. Verstappen holte sich daraufhin in Kurve eins mit einem Weltklasse-Überholmanöver die Führung zurück, Hamilton überholte Ocon.

Der erste und zweite Restart.

Auch danach zeigte der Speedkurs mit wenigen Auslaufzonen und vielen Mauern seine Schwächen. Denn immer wieder lösten kleine Unfälle eine Reihe von virtuellen Safety-Car-Phasen aus, immer wieder lagen Autoteile auf der Strecke.

Hamilton: "Der Typ ist verrückt"

13 Runden vor Schluss war Hamilton dann an Verstappen doch so gut wie vorbei, ehe der mit Händen und Füßen kämpfende Niederländer wieder abkürzte, um in Führung zu bleiben. "Der Typ ist verrückt", beschwerte sich Hamilton. Am Ende derselben Runde 37 kam es zur umstrittensten Szene des Abends, als Hamilton in das Heck des Red Bull krachte.

"Ich habe nicht verstanden, warum er plötzlich so hart auf die Bremse gestiegen ist", sagte ein "verwirrter" Hamilton später. Insgesamt sei das Rennen "unglaublich hart" gewesen. "Ich habe versucht, so hart und vernünftig wie möglich zu sein, mit all meiner Erfahrung."

In Runde 42 ließ Verstappen Hamilton vorbei, nur um sich die Führung postwendend zurückzuholen. Dazu kam aber auch eine Fünf-Sekunden-Zeitstrafe aufgrund des Abkürzmanövers und das Rennen kippte endgültig zugunsten Hamiltons, der danach zu einem seiner wichtigsten Siege fuhr.

Verstappen: "Für mich ist das nicht die Formel 1"

"Ich weiß nicht, warum er nicht einfach vorbeigefahren ist", wunderte sich Verstappen. Red-Bull-Berater Helmut Marko meinte beweisen zu können, dass sein Fahrer nicht abrupt gebremst hatte. "Lewis hat sich einfach verschätzt", war der Steirer überzeugt. "Für mich ist das nicht die Formel 1. Es ist heute nur um Strafen und nicht ums Racing gegangen", ärgerte sich Verstappen. "Es ist unglaublich, was heute passiert ist."

Mercedes-Teamchef Toto Wolff war die Erleichterung anzusehen. "Es war ein unheimlich intensives Rennen, das ein paar Mal gewonnen und ein paar Mal verloren schien." (APA, sid, red, 5.12.2021)

Endstand des Formel-1-Grand-Prix von Saudi-Arabien am Sonntag in Jeddah:
(Rennlänge: 50 Runden zu je 6,175 km = 30,875 km)

1. Lewis Hamilton (GBR) Mercedes 2:06:15,118 (Schnitt: 14,702 km/h)
2. Max Verstappen (NED) Red Bull +11,825
3. Valtteri Bottas (FIN) Mercedes +27,531
4. Esteban Ocon (FRA) Alpine +27,633
5. Daniel Ricciardo (AUS) McLaren +40,121
6. Pierre Gasly (FRA) AlphaTauri +41,613
7. Charles Leclerc (MON) Ferrari +44,475
8. Carlos Sainz (ESP) Ferrari +46,606
9. Antonio Giovinazzi (ITA) Alfa Romeo +58,505
10. Lando Norris (GBR) McLaren +1:01,358
11. Lance Stroll (CAN) Aston Martin +1:17,212
12. Nicholas Latifi (CAN) Williams +1:23,249
13. Fernando Alonso (ESP) Alpine +1 Runde
14. Yuki Tsunoda (JPN) AlphaTauri +1 Runde
15. Kimi Räikkönen (FIN) Alfa Romeo +1 Runde

Ausgeschieden: Nikita Masepin (RUS) Haas, Sergio Perez (MEX) Red Bull, George Russell (GBR) Williams, Mick Schumacher (GER) Haas, Sebastian Vettel (GER) Aston Martin

Schnellste Runde: Lewis Hamilton (GBR) Mercedes in der 47. Runde in 1:30,734 (Schnitt: 245,000 km/h)

WM-Stand (nach 21 von 22 Rennen):

1. Max Verstappen (NED) Red Bull 369,5
2. Lewis Hamilton (GBR) Mercedes 369,5
3. Valtteri Bottas (FIN) Mercedes 218
4. Sergio Perez (MEX) Red Bull 190
5. Charles Leclerc (MON) Ferrari 158
6. Lando Norris (GBR) McLaren 154
7. Carlos Sainz (ESP) Ferrari 149,5
8. Daniel Ricciardo (AUS) McLaren 115
9. Pierre Gasly (FRA) AlphaTauri 100
10. Fernando Alonso (ESP) Alpine 77
11. Esteban Ocon (FRA) Alpine 72
12. Sebastian Vettel (GER) Aston Martin 43
13. Lance Stroll (CAN) Aston Martin 34
14. Yuki Tsunoda (JPN) AlphaTauri 20
15. George Russell (GBR) Williams 16
16. Kimi Räikkönen (FIN) Alfa Romeo 10
17. Nicholas Latifi (CAN) Williams 7
18. Antonio Giovinazzi (ITA) Alfa Romeo 3

Stand Konstrukteurs-WM (nach 21 von 22 Rennen):

1. Mercedes 587,5
2. Red Bull 559,5
3. Ferrari 307,5
4. McLaren 269
5. Alpine 149
6. AlphaTauri 120
7. Aston Martin 77
8. Williams 23
9. Alfa Romeo 13