FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein bei einer Nationalratssitzung im November.

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Die Empörung über eine falsche Behauptung der FPÖ-Abgeordneten Dagmar Belakowitsch hält an: Sie hatte am Samstag bei einem Auftritt bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Wien behauptet, die Betten in den Spitälern seien nicht mehrheitlich mit Corona-Infizierten belegt, sondern mit Menschen, die aufgrund eines Impfschadens behandelt werden müssten. Einmal mehr drängt sich damit die Frage auf: Was ist nun der offizielle blaue Corona-Kurs? Was ist Parteilinie der FPÖ und was Privatmeinung?

Zunächst: Die Mutmaßung von Belakowitsch ist falsch, beim Großteil der wegen einer Covid-Erkrankung Behandelten handelt es sich um Nicht- oder Teilweise-Geimpfte. So erklärte etwa Arschang Valipour, Lungenfacharzt der Klinik Floridsdorf, in der "Zeit im Bild" am Sonntag, den Großteil der Patientinnen und Patienten machten weiterhin Ungeimpfte aus. Hinzu kämen inzwischen Impfdurchbrüche bei Personen, deren zweite Impfung länger her ist. Jene, die bereits einen Drittstich hätten und dennoch ins Spital müssten, könne man "an einer Hand abzählen", sagte Valipour. Bei diesen "sehr, sehr wenigen" Personen handle es sich meist um Ältere oder um Menschen mit schweren Nebenerkrankungen.

Kritik aus anderen Parteien

In der ORF-Sendung "Im Zentrum" zeigten sich am Sonntag alle anderen Parteien fassungslos über Belakowitschs "Lüge". ÖVP-Klubobmann August Wöginger, Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer, SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger waren über deren Auftritt bestürzt: Mit einer Partei, die bereit sei, offen zu lügen, sei es schwer zusammenzuarbeiten, "aber unsere Hand ist ausgestreckt", sagte Maurer. Wöginger und Leichtfried erinnerten daran, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl ein Entwurmungsmittel gegen Corona empfohlen und damit die Gesundheit von Menschen gefährdet habe.

Die Salzburger FPÖ-Chefin und stellvertretende Bundesparteichefin Marlene Svazek wollte dazu nichts sagen: Derartiges debattiere man in der FPÖ nicht in einer ORF-Sendung, sondern parteiintern, sagte sie am Sonntag. Bei der Kundgebung am Heldenplatz war neben Belakowitsch auch die stellvertretende FPÖ-Klubobfrau Susanne Fürst als Rednerin aufgetreten.

FPÖ spricht von "künstlicher Aufregung"

FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz wies die von Regierung und "ihr ergebener Opposition erzeugte Aufregung" über Belakowitsch zurück. "Offenbar brauchen vier Parteien dringend etwas, um von ihrer kolossalen Impfzwang-Lüge abzulenken. Denn sie alle haben immer versprochen, dass die Impfung freiwillig bleiben müsse", schrieb Schnedlitz in einer Aussendung. Er griff darin außerdem die in Österreich gemeldeten Nebenwirkungs-Verdachtsfälle auf.

Die gibt es tatsächlich, allerdings handelt sich dabei zum allergrößten Teil um harmlose Reaktionen, die nach ein bis zwei Tagen wieder abflauen und auch bei anderen Vakzinen auftreten: vor allem leichte Schmerzen an der Einstichstelle, Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Schüttelfrost. "Der Großteil dieser Meldungen betrifft zu erwartende Impfreaktionen, wie sie in den klinischen Studien der Zulassungsverfahren der Impfstoffe beschrieben wurden", schreibt das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (Basg) in seinem aktuellsten Bericht über vermutete Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung. Als tatsächliche Nebenwirkung eines Impfstoffs gilt jede Reaktion, die schädlich und unbeabsichtigt ist. Impfreaktionen sind davon zu unterscheiden, sie können eben prinzipiell auftreten und sind auch erwartbar.

"Hintergrundinzidenz"

Grundsätzlich wird aber jede Meldung aufgenommen, ungeachtet dessen, ob es sich um eine Nebenwirkung oder eine Impfreaktion handelt. Zudem ist nicht jedes Krankheitszeichen, das im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung auftritt, auch auf die Impfung zurückzuführen, wie auch im Basg-Bericht festgehalten wird. Wird sehr viel geimpft, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass nach einer Impfung Beschwerden auftreten, die nicht durch ein verabreichtes Vakzin, sondern durch andere Ursachen wie eine zeitgleich oder kurz danach aufgetretene andere Erkrankung ausgelöst wurden ("Hintergrundinzidenz").

Die Ärztekammer wies Belakowitschs Aussage am Montag "aufs Schärfste zurück". Diese Behauptung widerspreche allen wissenschaftlichen Evidenzen, teilte sie mit. Belakowitsch ist FPÖ-Gesundheitssprecherin und Medizinerin. Sie hat allerdings nie als Ärztin gearbeitet und sei nicht im Ärzteregister aufgelistet, weswegen die Ärztekammer rechtlich nichts gegen sie tun könne.

Abweichende Meinungen innerhalb der FPÖ

Rascher bei der Hand war die FPÖ kürzlich mit einer Distanzierung, als sich der ehemalige EU-Mandatar Andreas Mölzer für eine Corona-Impfpflicht aussprach. Das freiheitliche "Urgestein" hatte gemeint, er könne sich eine solche Maßnahme vorstellen, "wenn es uns nützt und wenn es auch verfassungsrechtlich hält". Mölzers Meinung sei eine Privatmeinung und nicht Parteilinie, reagierte die Bundespartei: Mit der "DNA" der Freiheitlichen sei diese nicht vereinbar. Mölzer hatte selbst betont, er sei "wirklich da nicht ganz auf Parteilinie". Der Herausgeber der rechten Wochenzeitschrift "Zur Zeit" war zuvor selbst an Corona erkrankt. Er habe zwei Astra-Zeneca-Vakzine erhalten und werde sich nun ein drittes Mal impfen lassen.

Mit Susanne Riess kritisierte inzwischen eine weitere ehemalige FPÖ-Spitzenpolitikerin die Linie des blauen Chefs Herbert Kickl. Die Wüstenrot-Generaldirektorin und ehemalige Vizekanzlerin sagte im "Kurier": "Ich halte die Politik von Herbert Kickl für verantwortungslos und verstehe auch nicht, dass man dagegen nicht mehr unternehmen kann." Und: "Ich bin überzeugt, unter Jörg Haider hätte es so eine Politik nicht gegeben." "Gänsehaut" bekomme Riess außerdem bei Belakowitsch: "Sie ist für mich die weibliche Inkarnation der schlimmsten Figuren."

Nach der Kritik aus den eigenen Reihen betonte Kickl vergangene Woche, dass der Einsatz von Medikamenten – darunter das Entwurmungsmittel Ivermectin – nicht die Impfung ersetzen, sondern "ein zweites Standbein" sein solle.

Geimpfte und ungeimpfte FPÖler

Während Kickl Ende September einen Antikörpertest präsentierte, um Gerüchte abzuwehren, wonach er selbst gegen Corona geimpft sei, sind sämtliche freiheitlichen Granden vom Chef abwärts weit weniger skeptisch. Die "Kronen Zeitung" berichtete im September, dass der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp, mit ihm alle blauen Landtagsabgeordneten im Rathaus, Partei-Urgestein und EU-Mandatar Harald Vilimsky plus die anderen EU-Parlamentarier, Ex-Staatssekretär Hubert Fuchs, Nationalratskollege Martin Graf und überhaupt der Großteil der FPÖ-Abgeordneten sowie Landesspitzen geimpft seien. Zugeben würden dies die "freiheitlichen Impf-Revoluzzer, die dann doch lieber echten Medizinern vertrauen", allerdings "nur hinter vorgehaltener Hand".

Einzig Vilimsky gab dies damals offen zu: Er sei "selbst ein kleines Opfer des indirekten Impfzwangs durch meine vielen Auslandsreisen", gab der ehemalige Generalsekretär als Begründung an. Gegen die Parteilinie sei das nicht zu verstehen: "Die FPÖ ist für die Wahlfreiheit", zitierte ihn die "Kronen Zeitung". Im Fall von Norbert Hofer war der Impfstatus zu dem Zeitpunkt bereits benannt. Der ehemalige FPÖ-Chef, der vergangenen November selbst an Covid-19 erkrankt war, hatte am Freitag auf Twitter bekanntgegeben, dass er geimpft sei. Er wehre sich zwar dagegen, ungeimpfte Personen zu stigmatisieren. Aber er sei "aufgrund der Faktenlage davon überzeugt, dass eine Impfung schützt".

Damit stellte sich der Dritte Nationalratspräsident klar gegen den radikalen Kurs seines Nachfolgers Kickl. Der oberösterreichische FPÖ-Obmann Manfred Haimbuchner, der sich nach einer Corona-Infektion zeitweise in Lebensgefahr befand, bestritt in der Vergangenheit ebenfalls nicht die Schutzwirkung der Impfung – auch wenn er ihre Rolle als "Gamechanger" der Pandemie in einem STANDARD-Interview in Zweifel zog. Zudem befinden sich nach Haimbuchners Darstellung keineswegs nur Impfgegnerinnen und -gegner unter den Freiheitlichen. Parteichef Kickl reagierte am Montag auf Facebook: Wenn sich freiheitliche Politiker impfen lassen, sei das "keine Rebellion", sondern "eine höchstpersönliche Entscheidung". (giu, 6.12.2021)