Howard Carpendale fährt auf "Happy Christmas" mit Symphonieorchester schwere Geschütze auf.

Foto: Universal

Der Begriff Pop kommt bekanntlich von populär. Deshalb gehört es auch seit der Erfindung der Schallplatte zum guten Ton jedes Künstlers und jeder Künstlerin im Genre, dass man zumindest einmal im Leben ein Weihnachtsalbum oder zumindest einen Weihnachtssong aufnimmt. Hallo, selbst Bob Dylan, diverse Gangsta-Rapper, David Guetta aus der Disco mit Dachschaden oder Hunde- und Kinderpunk-Bands werden in der stillsten Zeit des Jahres diesbezüglich recht sentimental und musikalisch verhaltensauffällig aktiv.

Wo wir gerade bei lustig sind: Aktuell betreibt etwa Thomas Spitzer mit seiner eigentlich offiziell aufgelösten Band Erste Allgemeine Verunsicherung auf dem Album Ihr Sünderlein kommet (Gridmusic) Resteverwertung. Als Gäste treten Leute von Seiler & Speer, Turbobier oder Willi Resetarits mit bisher im Giftschrank dämmernden Songs auf.

ICH FIND SCHLAGER TOLL

Vom Punk in Der geile Weihnachtsmann bis zum heimatliebenden Alpinwalzer Scheitlknian am Weihnachtsabend wird erwartbare, allerdings unterhaltsame Kost für Christkindskeptiker geboten. Bodenständiger Punk kommt auch von den deutschen Broilers auf Santa Claus (Skull & Bones). Statt Punsch wird Dosenbier serviert.

Wer lieber unter dem Christbaum einschläft, kann 2021 auf die somatisierende Kunst der Kuschelsängerin und Pianistin Norah Jones vertrauen. I Dream of Christmas (Blue Note Records) beweist, dass "Jazz" unter keinen Umständen Strafmusik bedeuten muss. Und der Schlaf nach einem veganen Tofu-Gansl noch vor der Mitternacht gilt als der gesündeste.

Der sehr oft auch im Bereich von Schöner Wohnen und Raumakustik für Snobs tätige deutsche Jazztrompeten-Superstar Till Brönner geht es auf Till Christmas (Masterworks) auch ziemlich sphärisch an. Zur Begleitung von Bass und Klavier schläft man aber im Gegensatz zu Norah Jones auf höherem Niveau ein.

Ed Sheeran

Was wurde über Schnulzenkaiser Ed Sheeran noch nicht gesagt? Es wurde alles gesagt. Auf Drängen seines großväterlichen Freunds Elton John geht es in Merry Christmas (Warner) mit Jingle Bells auf fröhliche Schlittenfahrt ins Reich der Plastiktannen. Manchmal wünscht man sich fast Mariah Carey zurück. Halt, sie ist mit All I Want For Christmas Is You eh verlässlich wieder da.

Schnulze ist natürlich ein böses, herablassendes Wort. Der heurige Sieger aller Klassen heißt Howard Carpendale. Der deutsch-südafrikanische Schlagersänger der S-Klasse erfüllt sich mit Happy Christmas (Universal) nicht nur ein weiteres Mal den Traum eines jeden Schlagerstars, seine Musik einmal im Leben mit einem klassischen Orchester zur Bedeutungsschwere aufzublasen.

Nach eigenen Songs stehen 2021 jetzt auch Weihnachtsklassiker auf dem Plan. Gemeinsam mit dem Londoner Royal Philharmonic Orchestra interpretiert "Howie" unkaputtbar-besinnliche Gassenhauer wie Little Drummer Boy, Winter Wonderland, Happy Xmas (War Is Over) oder, als modernes Zugeständnis an die heutige Rentnerjugend, den Regionalradiohit Driving Home For Christmas von 1986.

Die Kalorienbombe

Vollständig erschließt sich der Charme seiner warmen Stimme allerdings erst bei deutschen Liedern wie Leise rieselt der Schnee. Dank seines noch nach mehr als 50 Jahren im Schlagergeschäft nicht weggebügelten englischen Akzents kommt dann richtig festliche Stimmung auf: "Weihnacktlisch glänsset der Wald, froie disch, Christkind kommt bald."

Zu einem schweren Festtagsmenü gehört auch kalorienreiche Musik. Happy Christmas von Howard Carpendale ist auch dank des abschließenden Sprechstücks Stille Nacht eine Bombe. (Christian Schachinger, 7.12.2021)