Während sie vor den Krankhäusern Pfiffe von Corona-Leugnern ertragen müssen, kämpfen sie drinnen um das Leben der Covid-Patienten. "Es gibt so viel Wut und Ärger bei den Leuten, die sich den Arsch aufreißen", sagt Günter Valda und meint damit das Gesundheitspersonal – in der mittlerweile vierten Corona-Welle. "Das Personal ist so frustriert, sie fühlen sich so verlassen und verloren." Verlassen von der Politik, die wieder viel zu spät die Notbremse gezogen habe, und verloren, weil kein Ende der Dauerbelastung in Sicht sei. "Es gibt keine Verschnaufpause."

Hilferuf aus dem Spital: wenn die Augen sprechen.
Foto: Günter Valda

Selbst wenn sich in einigen Wochen die Intensivstationen mit Corona-Patienten leeren sollten, dann gehe es weiter mit dem Aufarbeiten der verschobenen Operationen. "Die Leute sehen keinen Horizont." Viele seien ausgebrannt, kämpften mit psychischen Problemen oder hätten ohnehin bereits gekündigt, erzählt einer, der es wissen muss. Günter Valda ist selbst Krankenpfleger in einem Wiener Krankenhaus. Zwar nicht auf einer Covid-Station, aber dennoch mit dem Virus konfrontiert.

Und Valda ist nicht nur Krankenpfleger, sondern auch Fotograf. Sein neues Projekt heißt Die Gesichter der Pandemie. Kein Lächeln sichtbar und soll im März 2022 in Buchform erscheinen. Um es mit dem Kettler-Verlag realisieren zu können, ruft Valda via Crowdfunding zur Unterstützung auf. Er braucht bis Ende des Jahres 7000 Euro als Druckkostenbeitrag. Derzeit hat er 5700 Euro gesammelt (Stand: Montag am Nachmittag).

Angst, Wut und Verzweiflung

Für sein Buch hat Valda hunderte Selfies mit ausgemergelten Gesichtern aus den Krankenhäusern bekommen. Sie alle erzählen eine Geschichte der Pandemie. Gezeichnet vom stundenlangen Tragen von Schutzbrille und Ausrüstung, sind in den Gesichtern vor allem Verzweiflung, Wut und Angst zu sehen, manchmal schimmert auch Hoffnung durch.

Die Fotos kommen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, aber auch aus Island, Russland oder den USA, erzählt Valda dem STANDARD. Das Virus kenne keine Grenzen, die Emotionen auch nicht. 100 Fotos sollen Eingang in das Buch finden, das bei erfolgreicher Finanzierung mit einer Auflage von 1000 Stück gedruckt wird. Der Preis? 38 Euro.

"Viele Leute haben mir ungefragt Fotos geschickt, um zu zeigen, wie mühsam es gerade ist." Die Selfies würden als eine Art Ventil fungieren. Valda hat sie auf Fotopapier ausgedruckt und den Absendern mit der Bitte geschickt, ihre Gefühle zu beschreiben. Herausgekommen sind "Zeitdokumente", so Valda: "Zum einen geben sie ihnen das Gesicht, zum anderen auch eine Stimme, die das kommentiert. Die Selfies sprechen für sich, viel näher kommt man an so ein Thema nicht mehr ran."

Wie viele andere auch ein Gesicht der Pandemie: Krankenpfleger und Fotograf Günter Valda würdigt die Arbeit des Gesundheitspersonals.
Foto: Günter Valda

Flugzeuge parallel steuern

In den Krankenhäusern sei der Personalschlüssel mittlerweile so schlecht wie noch nie. "Das hält man nicht mehr aus", kritisiert Valda: "Die Leute haben Panikattacken und reden vom psychischen Druck, der nicht mehr zum Gegensteuern ist." Er ortet einen "irrsinniger Leistungsdruck" in den Diensten und eine enorme Verantwortung, so viele Patienten gleichzeitig zu haben. "Es gibt genügend Fälle, wo eine Pflegekraft vier Intensivpatienten betreut, das ist so wie zwei oder drei Flugzeuge parallel zu steuern. Man kann nicht überall gleichzeitig sein, das ist fahrlässig." Hier passiere "gerade ein ziemliches Trauma gegenüber dem Personal. Die Leute, die abspringen, sind länger weg oder kommen nicht mehr retour".

Die Inspiration für Die Gesichter der Pandemie hat sich Valda beim US-Fotografen Jim Goldberg geholt, der Mitte der 1980er-Jahre Protagonisten für die Arbeit Rich and Poor bat, die Fotos mit handschriftlichen Kommentaren zu versehen.

16 Jahre in der AKH-Notaufnahme

Valda hat 16 Jahre in der Notaufnahme im Wiener AKH gearbeitet, bevor er Ende 2019 das Krankenhaus gewechselt hat. Seine Eindrücke von dort hat er im Frühjahr in das Buch House of Fate gegossen, wo er Einblicke aus der Notaufnahme veröffentlicht hatte – finanziert mit Crowdfunding. Jetzt ist er guter Dinge, dass es wieder gelingt, eine "Öffentlichkeit für das Personal" zu schaffen. Für ein weiteres Herzensprojekt sucht er noch Unterstützung. Valda würde die Selfies gerne an die Fassade von Krankenhäusern projizieren – stehen sie doch stellvertretend für alle im Gesundheitswesen. Das könnte auch den einen oder anderen Corona-Demonstranten davor zum Nachdenken bringen. (Oliver Mark, 8.12.2021)

Link zum Crowdfunding

startnext.com/gesichter-der-pandemie

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Zwischen Leben und Tod: Intime Fotos aus der Notaufnahme – Krankenpfleger und Fotograf Günter Valda holt mit seinem Buch "House of Fate" jene vor den Vorhang, die ansonsten nur im Hintergrund agieren

Foto: Günter Valda
Foto: Günter Valda
Foto: Günter Valda
Foto: Günter Valda
Foto: Günter Valda
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Foto: Günter Valda
Foto: Günter Valda
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